Lehmkloß  »Am Tag nach der Hochzeit zog Süssl ein schäbiges Kleid an, ein Paar zerrissene Schuhe und schlurfte von Zimmer zu Zimmer. Das Mädchen fragte sie bald nicht einmal mehr, was sie kochen solle. Auf alle Fragen hatte Süssl nur eine Antwort: ›Was geht mich das an?‹ Ihr war alles gleich. Sie lag auf ihrem Bett und döste. Man erwartete, daß sie Kinder bekommen würde. Nicht einmal dazu taugte sie. Sie hatte eine Fehlgeburt, dann schloß sich ihr Schoß für immer.«

»Solche Schlemihle gibt es in jeder Stadt«, bemerkte Beila Riva.

»Meine Mutter pflegte zu sagen, daß der elendeste Köter die fettesten Brocken bekommt«, stimmte Breina Gitel zu.

»Wartet, unterbrecht mich nicht«, sagte Tante Jentl. »Ja, sie hatte sich endlich verheiratet. Das hatte ihr noch gefehlt. Sie war schon vorher faul gewesen, aber jetzt, wo sie ihr eigener Herr war, wurde sie ein Lehmkloß. Sie schlief am Tage, sie schlief bei Nacht, sie war selbst zum Essen zu faul. Wenn man sie ansprach, wußte sie nicht, worum es sich handelte.  ›Was, wer, wo‹, murmelte sie schlaftrunken. Als Mendels Kinder in Amerika hörten, daß ihr Vater die Mutter durch Süssl ersetzt hatte, schickten sie kein Geld mehr. Aber er hatte genug. Nach einiger Zeit ging das Dienstmädchen und niemand vermißte sie. Süssl lag wie gelähmt herum, und wenn Mendel ihr kein Essen brachte, dann aß sie nicht.  -  Isaac Bashevis Singer, Der Totengräber. In: I.B.S., Leidenschaften. Geschichten aus der neuen und der alten Welt. München 1993 (zuerst 1975)

 

Klumpen Kloß

 

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