aulheit
Karfreitag, 20. April 1764. — Es ist keine Besserung zu verzeichnen;
ich habe vollkommen unnütz dahingelebt, noch sinnlicher im Denken
und mehr als je dem Essen und Trinken
ergeben.
Seit ich zuletzt das Abendmahl empfing, ist meine Arbeitsunlust
recht eigentlich zur Faulheit ausgeartet, und die Zerfahrenheit hat bedenklich
überhand genommen. Meine Gedanken waren durch Sinnlichkeit getrübt; des
übermäßigen Genusses scharfer Getränke habe ich mich zwar seit Anfang des
Jahres einigermaßen enthalten; im übrigen aber waren die Gelüste stärker
als meine Vernunft. Ein merkwürdiger Dämmerzustand
ist über mich gekommen, so daß ich nicht weiß, was aus dem vergangenen
Jahr geworden ist; was ich erlebe und vernehme, geht über mich hinweg,
ohne irgendeinen Eindruck zu hinterlassen. - (
johns
)
Faulheit (2) Das Geld
ist nichts als ein kleines Stück Faulheit. Je mehr man davon hat, desto
ausgiebiger wird man die Glückseligkeit der Faulheit kennenlernen. Im
Kapitalismus ist die Arbeit auf eine Weise organisiert, die den Zugang
zur Faulheit nicht allen Menschen gleichermaßen ermöglicht: Genießen kann
die Faulheit nur, wer durch Kapital abgesichert ist. So hat sich die Klasse
der Kapitalisten von dieser Arbeit befreit, von der sich die gesamte Menschheit
befreien muß. - Kasimir Malewitsch, Faulheit - eigentliche Wahrheit
der Menschen (1921)
Faulheit (3) bestehet in einem Verdruss zur Arbeit,
indem entweder die Arbeit an sich verdrüsslich, und denen Sinnen unangenehm,
aus welchem Grund die wollüstigen gern zu faulentzen pflegen; oder man
erlangt nicht denjenigen Vortheil, den man sich von der Arbeit versprochen,
und da kann gar bald geschehen, dass auch ein sonst fleissiger Mensch bey
seiner Arbeit verdrossen wird, von seinem Fleisse nachlässet und sich der
Faulheit nähert. - Aus: Johann Heinrich Zedler,
Groszes
vollständiges Universal Lexicon aller Wissenschaften und Künste. Band 9
(1735)
Faulheit (4) Mancher lamentiert / diser und
diser / sagt er / stehet so wol / bei ihme ist der Mondschein allezeit
im Auffnemmen / bei mir aber immerzu im Abnemmen; er saufft ein guten Nußdorffer
/ ich aber ein frischen Brunner; er frist offt Indianer / ich aber kümmerlich
Knödlianer; ihme thut man auffsetzen Artischocken / mir aber schwartze
Nocken; er hat ein eignes Hauß / ich zwar auch / aber wie ein Schneck trag
es allzeit auff dem Buckel; er schreibt sich von Weingarten / ich mich
von Wasserburg. Lenzophile wilst du wissen die Ursach / er war in seiner
Jugend sehr embsig / fleissig / und arbeitsamb / darumb stehet er anjetzo
so gut; du aber bist allzeit ein fauler Narr gewest / hast vermeint / du
seiest ein Holtzbirren Arth / so erst im Ligen zeitig werden. Ein solcher
ist gewest einer mit Namen Hieronymus Nothleider / sonst von reichen Eltern
gebürtig / diser hat das Seinige durch den stätten Müssiggang / und stinckfaulen
Wandel völlig ahn worden; als ihme bei nächtlicher Weil die Dieb eingestigen
/ und er solches vermerckt / da sagte er unerschrockener zu ihnen / ihr
Phantasten / was sucht ihr hier in meinem Hauß bei der Nacht / indem ich
beim hell-liechten Tag nichts darinnen finde? -
Abraham a Santa Clara
Faulheit (5) Zehn Knechte, die den ganzen Tag nichts
getan hatten, wollten sich am Abend nicht noch anstrengen, sondern legten sich
ins Gras und rühmten sich ihrer Faulheit. Der erste sprach 'was geht mich eure
Faulheit an, ich habe mit meiner eigenen zu tun. Die Sorge für den Leib ist
meine Hauptarbeit: ich esse nicht wenig und trinke desto mehr. Wenn ich vier
Mahlzeiten gehalten habe, so faste ich eine kurze Zeit, bis ich wieder Hunger
empfinde, das bekommt mir am besten. Früh aufstehn ist nicht meine Sache, wenn
es gegen Mittag geht, so suche ich mir schon einen Ruheplatz aus. Ruft der Herr,
so tue ich, als hätte ich es nicht gehört, und ruft er zum zweitenmal, so warte
ich noch eine Zeitlang, bis ich mich erhebe, und gehe auch dann recht langsam.
So läßt sich das Leben ertragen.' Der zweite sprach 'ich habe ein Pferd zu besorgen,
aber ich lasse ihm das Gebiß im Maul, und wenn ich nicht will, so gebe ich ihm
kein Futter und sage, es habe schon gefressen. Dafür lege ich mich in den Haferkasten
und schlafe vier Stunden. Hernach strecke ich wohl einen Fuß heraus und fahre
damit dem Pferd ein paarmal über den Leib, so ist es gestriegelt und geputzt;
wer wird da viel Umstände machen? Aber der Dienst ist mir doch noch zu beschwerlich.'
Der dritte sprach 'wozu sich mit Arbeit plagen? dabei kommt nichts heraus. Ich
legte mich in die Sonne und schlief. Es fing an zu tröpfeln, aber weshalb aufstehen?
ich ließ es in Gottes Namen fortregnen. Zuletzt kam ein Platzregen, und zwar
so heftig, daß er mir die Haare vom Kopf ausriß und wegschwemmte, und ich ein
Loch in den Schädel bekam. Ich legte ein Pflaster darauf, und damit wars gut.
Schaden der Art habe ich schon mehr gehabt.' Der vierte sprach 'soll ich eine
Arbeit angreifen, so dämmere ich erst eine Stunde herum, damit ich meine Kräfte
spare. Hernach fange ich ganz gemächlich an und frage, ob nicht andere da wären,
die mir helfen könnten. Die lasse ich dann die Hauptarbeit tun, und sehe eigentlich
nur zu: aber das ist mir auch noch zuviel." Der fünfte sprach 'was will
das sagen! denkt euch, ich soll den Mist aus dem Pferdestall fortschaffen und
auf den Wagen laden. Ich lasse es langsam angehen, und habe ich etwas auf die
Gabel genommen, so hebe ich es nur halb in die Höhe und ruhe erst eine Viertelstunde,
bis ich es vollends hinaufwerfe. Es ist übrig genug, wenn ich des Tags ein Fuder
hinausfahre. Ich habe keine Lust, mich totzuarbeiten.' Der sechste sprach 'schämt
euch, ich erschrecke vor keiner Arbeit, aber ich lege mich drei Wochen hin und
ziehe nicht einmal meine Kleider aus. Wozu Schnallen an die Schuhe, die können
mir immerhin von den Füßen abfallen, es schadet nichts. Will ich eine Treppe
ersteigen, so ziehe ich einen Fuß nach dem andern langsam auf die erste Stufe
herauf, dann zähle ich die übrigen, damit ich weiß, wo ich ruhen muß.' Der siebente
sprach 'bei mir geht das nicht: mein Herr sieht auf meine Arbeit, nur ist er
den ganzen Tag nicht zu Haus. Doch versäume ich nichts, ich laufe, soviel das
möglich ist, wenn man schleicht. Soll ich fortkommen, so müßten mich vier stämmige
Männer mit allen Kräften fortschieben. Ich kam dahin, wo auf einer Pritsche
sechs nebeneinander lagen und schliefen: ich legte mich zu ihnen und schlief
auch. Ich war nicht wieder zu wecken, und wollten sie mich heim haben, so mußten
sie mich wegtragen.' Der achte sprach 'ich sehe wohl, daß ich allein ein munterer
Kerl bin, liegt ein Stein vor mir, so gebe ich mir nicht die Mühe, meine Beine
aufzuheben und darüber hinwegzuschreiten, ich lege mich auf die Erde nieder,
und bin ich naß, voll Kot und Schmutz, so bleibe ich liegen, bis mich die Sonne
wieder ausgetrocknet hat: höchstens drehe ich mich so, daß sie auf mich scheinen
kann.' Der neunte sprach 'das ist was Rechts! heute lag das Brot vor mir, aber
ich war zu faul, danach zu greifen, und wäre fast Hungers gestorben. Auch ein
Krug stand dabei, aber so groß und schwer, daß ich ihn nicht in die Höhe heben
mochte und lieber Durst litt. Mich nur umzudrehen, war mir zu viel, ich blieb
den ganzen Tag liegen wie ein Stock." Der zehnte sprach 'mir hat die Faulheit
Schaden gebracht, ein gebrochenes Bein und geschwollene Waden. Unser drei lagen
auf einem Fahrweg, und ich hatte die Beine ausgestreckt. Da kam jemand mit einem
Wagen, und die Räder gingen mir darüber. Ich hätte die Beine freilich zurückziehen
können, aber ich hörte den Wagen nicht kommen: die Mücken summten mir um die
Ohren, krochen mir zu der Nase herein und zu dem Mund wieder heraus; wer will
sich die Mühe geben, das Geschmeiß wegzujagen.' - (
grim
)
Faulheit (6) Wenn die Arbeiterklasse sich das Laster,
welches sie beherrscht und ihre Natur herabwürdigt, gründlich aus dem Kopf schlagen
und sich in ihrer furchtbaren Kraft erheben wird, nicht um die famosen »Menschenrechte«
zu verlangen, die nur die Rechte der kapitalistischen Ausbeutung sind, nicht
um das »Recht auf Arbeit« zu fordern, das nur das Recht auf Elend ist, sondern
um ein ehernes Gesetz zu schmieden, das Jedermann verbietet, mehr als drei Stunden
pro Tag zu arbeiten, so wird die alte Erde, zitternd vor Wonne, in ihrem Inneren
eine neue Welt sich regen fühlen. Aber wie soll man von einem durch die kapitalistische
Moral korrumpierten Proletariat einen männlichen Entschluß verlangen! O Faulheit,
erbarme Du Dich des unendlichen Elends! O Faulheit, Mutter der Künste und der
edlen Tugenden, sei Du der Balsam für die Schmerzen der Menschheit! -
PAUL LAFARGUE, DAS RECHT AUF FAULHEIT, nach (
enc
)
Faulheit (7) Augustinus
erzählt, während er in Italien gewesen sei, habe er von einigen Weibern
gehört, die den Wanderern ein Zaubergift im Käse gaben
und sie dadurch in Lasttiere verwandelten; wenn diese nun, was sie wünschten,
getragen hatten, machten sie wieder Menschen aus ihnen. - (nett)
Faulheit (8) Ah Ihr Bankiers, Studenten, Arbeiter, Beamte, Ihr Dienstboten, Ihr seid die Speichellecker des Nützlichen, die Lustknaben der nackten Notdurft! Ich dagegen werde niemals arbeiten. Meine Hände sind rein. Ihr Toren, verbergt Eure Hände und jene intellektuellen Schwielen vor mir, auf die Ihr so stolz seid! Ich verfluche die Wissenschaft, diese Zwillingsschwester der Arbeit, Erkenntnis! Habt Ihr je die Unergründlichkeit dieses finsteren Brunnenschachtes ausgelotet? Und was habt Ihr dort gefunden? Etwa einen Stollen, der in den Himmel ausmündet? Ich wünsche Euch darum nur ein tüchtiges Schlagwetter. Das ist das einzige, was Euch in die Faulheit zurückwerfen kann. Die Faulheit aber ist die einzige Heimstatt des echten Denkens . . .
Wir werden mit allem fertig. Zunächst einmal richten wir jene Kultur und
Zivilisation zugrunde, die Euch so teuer ist und in die Ihr hineingeformt seid
wie vorsintflutliche Lebewesen in den Muschelkalk. Westliche Welt, du bist zum
Tod verurteilt. Wir sind die Miesmacher des Abendlandes. Möge der Osten, vor
dem Ihr so zittert, unserem Ruf antworten. Allenthalben werden wir die Keime
der Verwirrung und des Unbehagens erwecken. Wir sind die Aufwiegler des Geistes.
Gegen Eure verfluchten kleinen Glückseligkeiten sind ausnahmslos alle Barrikaden,
alle Hindernisse recht. Juden, kommt aus Euren Ghettos heraus! Das Volk soll
Hunger leiden, damit es endlich lernt, wie das Brot des Zornes schmeckt! Rühre
dich, tausendarmiges Indien, großer sagenhafter Brahma! Dann auch du, Ägypten!
Mögen die Rauschgifthändler unsere schreckgelähmten Länder verheeren! Soll doch
das ferne Amerika mit seinen weißen Wolkenkratzern inmitten seines absurden
Alkoholverbots und seiner übrigen Sperrgesetze in sich zusammenstürzen! Erhebe
dich, Welt! Seht doch, wie ausgedörrt diese Erde ist, wie bereit, in den Flammen
jeglicher Feuersbrunst aufzugehen! Wie Stroh, so dürr. - Louis Aragon
1925, nach: Maurice Nadeau, Geschichte des Surrealismus. Reinbek
bei Hamburg 1986 (rde 437)
Faulheit (9) Wir erfrischten uns durch ein
zweites, ausgedehnteres Bad und nahmen unsere Lagerplätze wieder ein.
Immer eilte die Zeit wie auf Flügeln dahin. Es gibt wenig Dinge, denen
wir uns ganz ohne Langeweile
hingeben können und die das Heer der Gedanken zerstreuen, dessen
unablässigem Angriff wir in unseren Städten unterworfen sind. Hierzu
gehören die Betrachtung des flackernden Feuers, der Anblick der wirbelnden Schneeflocken
und der dunkle, brausende Ton, mit dem die Welle am Strande sich
überschlägt. Der ferne Anblick der grauen Ringmauer von Korcula mit
ihren runden, mächtigen Wehrtürmen steigerte das Gefühl der
Zeitlosigkeil, man konnte meinen, daß man sich an einem vergessenen
Gestade des Mittelalters oder selbst der homerischen Welt befand. - Ernst Jünger, Aus der Goldenen Muschel. Gänge am Mittelmeer. Stuttgart 1984 (entst. 1929 ff.)
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