äutchen  Wir blicken zum Himmel auf, und er scheint unendlich zu sein. Wir atmen, ohne uns dessen bewußt zu sein - wie sich alles vollzieht, was von Natur aus geschieht. Ohne nachzudenken reden wir immer wieder vom endlosen Luftmeer.

Aber dann setzt du dich in ein Raumschiff, wirst von der Erde losgerissen, und binnen etwa zehn Minuten stößt du durch die Luftschicht, hinter der das Nichts ist! Leere, Kälte, Dunkelheit. Der endlose blaue Ozean des Himmels, der uns das Atmen ermöglicht und vor abgründiger Weite und Tod schützt, hat sich als ein ganz zartes Häutchen erwiesen.  - Wladimir Schatalow, nach: Der Heimatplanet, ed. Kevin W. Kelley, Frankfurt am Main 1989 (zuerst 1988)

Häutchen (2)    FAUST: Der Schwindel ist mir unbekannt. Vielleicht versagt? . . . Ich kann wohl mit einiger Neugier in einen Abgrund hinabschauen. Meist jedoch mit kaltem Gleichmut. Hier aber, auf diesem Dach der Welt, wandelt mich ein leichtes Unbehagen an ... Nicht die Höhe verwirrt mich, noch die saugende Macht der jähen Tiefe und ihrer Leere. Nein, eine ganz andere Leere wirkt hier auf mich ein, und in ganz anderem Sinne. . . Die wesenhafte Einsamkeit, die äußerste Öde und das Fehlen lebender Wesen. . .Ich blicke um mich: niemand; und dann: noch weniger als niemand. Kein Hälmchen, kein Moos. Ein wenig unterhalb meines Standortes erliegt alles Wachstum der Erde und kann vor Erschöpfung nicht mehr weiter. Hier bleiben nur Fels und Schnee, ein wenig Luft, die Seele und die Gestirne. Vier bis fünf Worte reichen hin, um alles von diesem sehr hochgelegenen Orte auszusagen. Daß dieses Wenige alles sagt, ist wahrlich ein Zeichen des Weltalls. Es ist so ungeheuer viel des Nichts im All. . . Der Rest? Eine Prise hingesäter Staub . . . Und das Leben? Eine unmerkliche Spur auf einem Körnchen dieses Staubes. Doch selbst diese Spur ist zu maßlos für das, was sie an Geist enthält. Warum bin ich bis zu diesem gefährlichen Punkte aufgestiegen? Weiß ichs? Vielleicht war es das Streben, eine Stelle unserer Welt zu erreichen, wo man eben die Nasenspitze aus der Existenz hinausstrecken kann . . . Unter mir wimmelt dieses seltsame Durcheinander von Gattungen und Arten, die hartnäckig ihr Leben fortfristen, in dieser dünnen Kruste von Abfällen und Schlacken, die unsere Erde umhüllt . . . und oberhalb dieser Kruste nichts, das lebte; nichts, das drunter lebte . . . Und das heckt und wuselt, zersetzt sich im Laufe der Zeit, ersetzt sich wieder. . . Und mitunter denkt es. Das Seltsamste aber ist, daß alle Anstrengungen dessen, was in diesem kümmerlichen Belag denkt, einzig darauf gerichtet sind, die offenkundigste Bedingung seiner Existenz zu verdecken oder zu leugnen: eben dieses dünne Häutchen! Sollte das Leben nur dauern können in der Unwissenheit über sich selbst!. . .  - Paul Valéry, Mein Faust. München 1963 (dtv sr 16, zuerst ca. 1940)

Häutchen (3)  Es ist alles ohne Zukunft. Eine kleine Hämorrhagie hat mich zu einem feigen, erbärmlichen Todesgedanken zurückgebracht. Es ist schrecklich, daran zu denken, daß wir inmitten von Dingen leben, die viel härter als unser Körper sind, und wie wenig es den Tod kostet, uns unser Blut verlieren zu lassen. Wird dieses doch wie durch ein Wunder nur von dünnen Häutchen zusammengehalten und kann jeden Augenblick auseinanderfließen wie das Weiße bei jenen Eiern ohne Schale, die man Windeier nennt.  - Tommaso Landolfi, La bière du pêcheur. Reinbek bei Hamburg 1994

Kleinigkeiten Haut
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