äutung   Eines Tages röstete To Karwuwu Brotfrüchte. Da kam To Kabinana, der gerade spazieren ging, zu ihm und fragte: »Kochst du da?« - »Jawohl.« - »Weshalb tust du es denn heimlich? Soll die Mutter es nicht wissen? Bringe ihr doch auch eine halbe Brotfrucht.« To Karwuwu ging zur Hütte der Mutter. Sie war wieder ein junges Mädchen geworden und hatte sich gehäutet. Ihr Sohn erkannte sie darum nicht wieder. Er sagte: »Wo bist du, Mutter?« - »Ich bin hier « - »Nein«, entgegnete er, »du bist nicht meine Mutter.« - »Du irrst dich«, sagte sie, »ich bin es doch.« - »Aber du siehst nicht so aus wie meine Mutter.« - »Und ich bin es doch; sieh, ich habe mich nur gehäutet.«

Da weinte To Karwuwu bitterlich, daß seine Mutter eine andere Haut bekommen hatte, denn er kannte sie nicht wieder. »Ich mag dich nicht mehr leiden«, sagte der Sohn, »du gefällst mir so nicht. Sag, wo hast du deine alte Haut gelassen?« Sie erwiderte: »Ich habe sie ins Wasser geworfen, das sie schon fortgeschwemmt hat.« To Karwuwu weinte weiter: »Oh, deine neue Haut mag ich gar nicht, ich werde dir die alte wiedersuchen.«

Er stand auf, ging fort und suchte und suchte, bis er sie schließlich in einem Gestrüpp hängen fand; das Wasser hatte die Haut dorthin getragen. Er nahm sie mit, kehrte wieder zur Mutter zurück und zog sie ihr an.

Am Abend kam To Kabinana heim und fragte seinen Bruder: »Weshalb hast du Mutter wieder die Haut angezogen, die sie abgestreift hatte? Du bist wirklich ein großer Narr! Nun müssen unsere Nachkommen immer sterben. Und nur die Schlangen werden sich häuten.«

To Kabinana war sehr wütend über To Karwuwu, weil er das Häuten der Menschen vereitelte, und nur die Schlangen es verstehen. Ärgerlich trat er der Schlange auf den Kopf, so daß er breit wurde. »Du hast uns um das Häuten gebracht!« sagte er.

So häuten wir uns nicht, sondern die Schlangen. Ursprünglich hätten wir es tun sollen, dann wären wir immer wieder jung geworden.  - Südsee-Märchen. Hg. Paul Hambruch. Köln Düsseldorf 1979 (Diederichs: Märchen der Weltliteratur)

Häutung  (2) Eine Kristallnadel, die von ihrem eigenen Ebenbild bewohnt wird, wird Quarzphantom genannt. Der wiederholte Grundriß ihrer Gestalt skandiert sie in ihrer Dichte wie ebensoviele aufeinanderfolgende Schleier oder Häute, welche die Häutung aufbewahrt hätte, statt sie zu ersetzen. Hartnäckig drängt sie die Vorstellung, das Bild, wenn nicht den Beweis einer persönlichen Entwicklung auf, die in einem Universum, das sie ausschließt, der gebieterischen Schicksalhaftigkeit eines Keimes gehorcht. - (cail)

Häutung  (3)

Häutung des Marsyas

- Giulio Romano

Häutung  (4) Es hat ja nicht viel Sinn, aus der Haut zu fahren, um die gegenwärtige Daseinsform abzustreifen, ohne zu wissen (oder zumindest zu futurisieren), welche alternativen Formen zur Verfügung stehen.

Man hat es aus verständlichen Gründen satt, nach all dem im zwanzigsten Jahrhundert Geschehenen als Mensch herumzulaufen, und will sich ändern. Es ist nur allzu verständlich, daß einem nicht wohl in der eigenen Haut ist. Aber, nach Abstreifen dieser Haut, als nunmehr rückgratlose, amorphe, schleimige Masse, in welche Form soll man sich krümmen? Was soll aus einem werden, der keine Lust mehr hat, angesichts der jüngsten Vergangenheit Mensch zu bleiben? Vielleicht ist die Gentechnik, und die Technik überhaupt, nicht kompetent für eine Antwort auf solche Fragen.

Die Inkompetenz ist vielleicht für das klägliche Scheitern des Kommunismus (dieser eigenartigen Gentechnik) verantwortlich zu machen. Es ist vielleicht technisch nicht machbar, Alternativen zum Menschsein zu entwerfen. Die gegenwärtige Gentechnik würde, nach Abstreifen der Haut zugunsten Chitinpanzer, eine ameisenförmige Alternative ausarbeiten können. Also eine ziemlich perfekte Gesellschaft mit kollektivem Eierstock und genetisch programmierter Arbeitsteilung. Keine begeisternde Alternative nach Auschwitz. Und die sich im Grunde von der eben gescheiterten kommunistischen Variante nur durch ihre Verankerung im Biologischen statt im Ökonomischen unterscheidet. So also ist nicht aus der Haut zu fahren. - Vilém Flusser

Häutung  (5)  Kabezy-Mpungu sandte einen Mann und zwei Frauen zur Erde. Diese ersten Bewohner der Erde lebten glücklich, bis die eine Frau zu altern begann. Solches hatte der große Geist vorausgesehen und ihr die Gabe sich zu verjüngen geschenkt; und Kraft, daß ihr gelinge, die Gabe zu bewahren, sich und allen Menschen. Da sie sich verschrumpft sieht, nimmt sie die Getreideschwinge der Gefährtin, die eben Mais, zum Met bestimmt, schwingen wollte, und verschließt sich in die Hütte. Sorgfältig schließt sie die Tür. Dann reißt sie die ganze alte Haut ab, wovon sie sich mühelos befreit, und legt die Stücke auf die Schwinge. Gleich erschien eine Haut, frisch wie die eines kleinen Kindes. Dies Geschehen neigte dem Ende entgegen; nichts blieb mehr übrig zu bedecken als Kopf und Hals. Da näherte sich die Gefährtin der Hütte, die Schwinge zu nehmen. Der Alten blieb nicht Zeit, sie zu hindern; schon hatte sie die Tür aufgestoßen. Aber ach, im gleichen Augenblick stürzt die Frau, fast schon verjüngt, tot zur Erde. Darum müssen wir alle sterben.  - Afrikanische Märchen und Legenden. Hg. Carl Einstein. Berlin 1980 (zuerst 1925)
 
Haut Schlange Verjüngung Schinder
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