undament, moralisches    »Mein Junge, hast du jemals von den sieben Todsünden gehört?«

»Natürlich. Mein Vater ist Geistlicher, und ich bin auf diesem Gebiet gut unterrichtet.«

»Um so besser für dich. Kannst du sie mir aufzählen?« »Sicher«, sagte Charles.  »Es  sind Hoffart,  Neid, Zorn, Trägheit, Geiz, Völlerei und Wollust.« »Ganz richtig. Und hast du jemals einer davon gefrönt?« Charles war sprachlos.

»O komm, komm, mein Junge«, sagte P. O. D. Immergrün jovial. »Kein Grund, um rot zu werden. Kein Grund, etwas zu verschweigen. Wenn es dich tröstet, laß mich dir sagen, daß ich selber diese angeblichen Sünden keineswegs als solche betrachte. Im Gegenteil, sie sind genau die Fundamente, auf denen hier bei uns die Moral aufgebaut ist.« Charles witterte eine Falle. »Wirklich?« fragte er vorsichtig.

»Ja, wirklich. Und nun zwinge dich mal, an diese Sünden nicht als Sünden, sondern als Tugenden zu denken, und dann achte darauf, ob du nicht im selben Augenblick ein herrliches Gefühl der Befreiung verspürst. Ein Gefühl der Erleichterung, der Zuversicht, des Wohlbefindens. Aha, an deinem Gesichtsausdruck kann ich sehen, daß dem so ist. Es ist ein bemerkenswertes Gefühl, nicht wahr?« Er hatte recht. Aber dann überfielen Charles Zweifel. Er sagte: »Ich verstehe nicht ganz ...«

»Das kommt schon, mein Junge, das kommt schon noch.« Die Zweifel blieben. Charles sagte: »Aber nehmen wir zum Beispiel Hoffart ... Stolz ... Wenn ich hier Stolz zur Schau trüge, würde man mir das nicht übelnehmen?« »Ja. Aber es würde gleichzeitig deinen Wert auch denen klarmachen, die ihn kennen sollten und auf andere Weise vielleicht nie davon erführen. Stell dir vor, du arbeitest hier in einer untergeordneten Position. Du hast eine Idee und machst einen guten und nutzbringenden Vorschlag. In jeder anderen Firma würde dein nächster Vorgesetzter dir die Idee stehlen und den Verdienst für sich einheimsen. Aber hier erwartet man von dir, daß du deinen Stolz über diese Idee so laut werden läßt, daß die Ehre dafür gerechterweise dir zuteil wird.«

»Das genau meine ich ja. Ohne Zweifel wird diese Haltung meinen nächsten Vorgesetzten und viele andere neidisch auf mich machen.«

»Allerdings, das wird es. Der blasse Neid wird sie auffressen, bis sie mit einer Idee ankommen, die die deine übertrifft. Dann ist die Reihe wieder an dir. Und auf diese Weise gelangen wir alle zu Wohlstand. Die Zivilisation ist auf Neid aufgebaut. Das Menschengeschlecht hat noch immer Nutzen aus dem Neid gezogen. Wir wollen das nicht verächtlich machen.« - Stanley Ellin, Die sieben tugendhaften Todsünden. In: St.E,: Der Acht-Stunden-Mann. Bern u. München 1986

 

Moral Festigkeit Fundament

 

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