utzen
Wissenschaft hat heutzutage vielerlei
Nutzanwendungen; ihr Hauptnutzen aber besteht
darin, lange Wörter zur Verfügung zu stellen,
mit denen sich die Verfehlungen der Reichen bemänteln lassen. Ein kommunes
Beispiel für das, was ich meine, ist das Wort »Kleptomanie«. Es hat denselben
Stellenwert wie jene absonderliche Theorie (die immer dann vorgebracht
wird, wenn ein Reicher oder Prominenter auf der Anklagebank sitzt), öffentlich
bloßgestellt zu werden sei für den Reichen eine härtere Strafe als für
den Armen. Wahr ist natürlich genau das Gegenteil. Öffentliche Bloßstellung
ist eine härtere Strafe für den Armen als für den Reichen. Je reicher jemand
ist, desto leichter fällt es ihm, ein Vagabund zu sein. Je reicher jemand
ist, desto leichter fällt es ihm, auch in der fernen Karibik zu Beliebtheit
und allgemeiner Achtung zu gelangen. Je ärmer einer ist, desto wahrscheinlicher
ist es, daß er sein vergangenes Leben braucht, wann immer er ein Bett für
die Nacht haben möchte. Für Aristokraten ist Ehrbarkeit ein Luxus, für
Hausdiener hingegen eine Notwendigkeit. Dies alles freilich interessiert
hier nur beiläufig, nämlich als Beispiel für die von mir vertretene allgemeine
These, daß die heutige Erfindungsgabe zum Großteil darauf verwendet wird,
Entschuldigungen für das unentschuldbare Verhalten der Mächtigen zu finden.
Wie schon gesagt, werden diese Ausreden gemeinhin und mit dem größten Nachdruck
in Form der Berufung auf die Wissenschaft vorgebracht. - Gilbert
Keith Chesterton, Ketzer. Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter.
Frankfurt am Main 2004 (it 3023, zuerst 1905)
Nutzen (2) Am Morgen kostete es ihn große Anstrengung,
aufzustehen und ins Krankenhaus zu gehen. Maxim Nikolajitsch, der Feldscher,
befahl ihm, eine kalte Kompresse auf den Kopf zu legen, und gab ihm ein
Pulver; seiner Miene und seinem Ton glaubte Jakow entnehmen zu können, daß die
Sache schlimm stehe und daß man mit keinem Pulver mehr etwas auszurichten vermöchte.
Heimkehrend überlegte er, daß man vom Tode nichts als Nutzen erzielen würde:
man brauchte nicht mehr zu essen, nicht zu trinken, keine Abgaben zu entrichten,
keine Menschen zu kränken, und da der Mensch in seinem kleinen Grabe nicht nur
ein Jahr, sondern Hunderte und Tausende von Jahren liegen würde, so müßte das,
wenn man es zusammenrechnete, einen ungeheuren Nutzen bringen. Vom Leben habe
der Mensch nur Verluste, vom Tode dagegen Nutzen.
Diese Überlegung war natürlich richtig, doch sie war trotzdem schmerzlich und
bitter: warum bloß herrscht auf der Welt eine so sonderbare Ordnung, daß das
Leben, welches dem Menschen doch nur einmal gegeben wird, ohne Nutzen vergeht?
- Anton Tschechow, Rothschilds Geige, nach
(tsch)