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Fallenstellen (2) Alles dieses war wie eine Falle eingerichtet, und angesogen, angezogen kam ‹die Seelen› von selber, ließ sich dort nieder und war gefangen; rasch dann, wenn ich mich derart ihrer bemächtigt hatte, wärmte ich sie, wie ein unfertiges Insekt oder einen eben ausgeschlüpften Vogel, und sowie sie sich zu regen begann, ließ ich sie nicht mehr frei, dtang mit Fragen in sie, forschte sie aus.
Da liegt der Knoten meines Dramas, der Tragödie, als welche der pathetische, der herzbewegende Akt des Schreibens sich mir darstellte:
Es galt, aufs Genaueste die Lebensgrenzen eines Menschen zu umreißen, und sobald der Zeitpunkt, der Ort seines Aufenthalts festgelegt waren, begann ich, seine Kleidung, seine Physiognomie, seine Bewegungen bis ins kleinste zu beschreiben. Immer enger schloß ich ihn ein, und getreulich verzeichnete ich jedes Detail, das seine Ähnlichkeit noch mehr hervortreiben konnte, vom banalsten bis zum bedeutendsten, bildkräftigsten, und plötzlich wurde in dieser magischen <Puppe> das <Wesen>, das ich mit meinen Wünschen herbeirief, so gegenwärtig, daß es für einen Augenblick leibhaftig vor mir zu stehen schien, und hatte ich es derart in immer deutlicherer Verbildlichung nach und nach aufs äußerste <verselbstet>, so geschah das Wunder: ein heimliches Getriebe begann, zu kreisen, die Gestalt erwachte wie aus einem langen Schlaf, regte, bewegte sich unter meinen Händen, nach meinem Belieben und auf ihre Weise, in ihrem eigenen Rhythmus, und wie von einer Glorie umgeben, tat sie den Mund auf und sprach. Das <Geheimnis> ihres Lebens war in meiner Gewalt.
Alle meine Kunst hatte nur dazu gedient, diese Schlinge auszulegen, Seelen und Geheimnisse einzufangen.
Homunculi, Alraune, Golems, Roboter sind nur plumpe Gleichnisse der Requisiten, deren sich der Schöpfer bei einem solchen Zauberstückchen bedient; sicher ist dabei mehr Hexerei im Spiele, als man glaubt, und auch ein wenig Dieberei, nur darf man, damit alles auf natürliche und gesunde Weise vor sich geht, nicht wissen, was man tut, man muß vielmehr dem Instinkt vertrauen, der weiß, was er will... In allem, was ich unternahm, war nicht der geringste Kunstverstand am Werk, sondern ein schicksalhafter Zwang, dem etwas vom Laster und von Vorbestimmung anhaftete. Im nachhinein erst konnte ich feststellen, was sich ereignet hatte. Was wollte ich in meinen Anfängen? Erst, wenn mich eine gewisse Erregung, Erschütterung, Betroffenheit, eine Begeisterung meines ganzen Wesens im Laufe der Arbeit überkam, erfuhr ich mit einemmal, wie ein keineswegs nur eingebildetes Leben <anweste>, sich in meinen Krallen regte, und nicht nur eine bloße Lebendigkeit, sondern ein Jemand, eine menschliche <Person>, deren Rätsel mir wie unter einem blendenden Blitzstrahl lesbar wurde ...
Zuerst mußte ich blindlings drauflosschreiben, ohne zu wissen, wohin ich
unterwegs war, wohin meine Hand mich führte, worauf mein Erzählen hinaus wollte,
bis zu dem Augenblick, wo dieses Erzählen selber mich belehrte: unerwartet tauchte
eine winzige Wichtigkeit auf, die meine Einbildungskraft überraschte und mit
einem Feuerzeichen erhellte; nun war ich einverständigt, eingeweiht; das Ziel,
das ich im Dunkeln verfolgt hatte, begann sich abzuzeichnen. Einer Art höllischer
Aufforderung oder himmlischer Verkündigung gab ich
nun nach, gezogen, gebannt und außerstande, mich zurückzuziehen. Wie trunken
nahm ich das Ganze wieder auf, ohne die früheren Niederschriften zu benutzen.
Gewitzigt durch das, was sich mir entdeckt hatte, dahingetragen zugleich in
einem schwindelnden Sturz, erhaschte ich im Fluge neue Goldkörner an ‹Wahrheit›,
wie spiegelnden Staub, und kehrte ich dann ein drittes Mal zurück, so erhellte
sich auch der Anfang, weil das Ende die Erklärung gebracht hatte. - Marcel Jouhandeau, nach:. M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964
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