Prwachsenwerden   In diesem Alter treten gewisse organische Veränderungen ein, die Maria wohl zu schaffen machten. So gut es der Anstand zuläßt, erklärte Else ihr das Wichtigste über die weibliche Natur. »Kind, du mußt nicht erschrecken, es ist das Erwachsenwerden.« Maria reagierte darauf mit einem fast hochmütigen Lächeln, aber an ihrem nervösen Verhalten änderte sich nichts.

In unserer Umgebung begannen sich absonderliche Vorgänge zuzutragen. Es verschwanden Gegenstände: eine meiner Zigarettenspitzen, ein Kamm von Else, meine Löschblattwiege, ein abgeschabtes Portemonnaie, in dem Else Kleingeld für den Zeitungsjungen und für die Brötchen bereithielt. Die Sachen waren eben vorher noch benutzt, oder wenigstens gesehen worden - plötzlich waren sie unauffindbar. Einiges tauchte Wochen später, zum Teil an den unwahrscheinlichsten Orten, wieder auf: Das Portemonnaie fand sich im Staubsauger - obgleich es unmöglich durch die Saugdüse oder den Schlauch hindurchgeschlüpft sein konnte; der Kamm lag auf der Oberseite einer Hängelampe, im jahrelang angesammelten Staub. Es war irritierend.

Andere Vorgänge beunruhigten uns mehr. Vor unseren Augen, ohne sichtbaren Anstoß, fiel die große japanische Ziervase von der Kommode im Flur und zerbrach - zerfiel - auf eine müde, haltlose Weise. Ein starker Veilchengeruch entströmte auf einmal dem Eisschrank: Im Wohnzimmer beulte sich blasig der Teppich auf, ließ sich kaum einebnen.

Als wir eines Abends von einem Konzertbesuch heimkehrten, fanden wir die Wohnung in einem wüsten Zustand vor. Die Zimmertüren waren alle ausgehängt, die Möbel - darunter das Buffett und schwere Schränke - klumpig zusammengestellt und übereinander getürmt, Elses Konzertflügel umgestürzt mit aufragenden Beinen. Mitten im Durcheinander Marias Bett - Maria darin in tiefem, friedlichen Schlaf. Als wir sie weckten, und sie um sich blickte, schien sie erstaunt: »Ziehen wir um?« fragte sie. - Walter E. Richartz, Der letzte Beweis. In: W.E.R., Das Leben als Umweg. Zürich 1988

Erwachsenwerden  (2)

Erwachsenwerden  (3)  Simon dachte: »Gleich werden die Männer von dem russischen Schiff hereinkommen, um den Mörder ihres Kameraden zu suchen, und an meinen Händen werden sie erkennen, daß ich es getan habe." Diese fünf Minuten, während derer er an der Wand des Tanzsaales inmitten der fröhlichen, schwitzenden Tänzer stand, waren von großer Bedeutung für den Jungen. Ihm selber kam es vor, als würde er in dieser Zeitspanne erwachsen und so wie andere Menschen. Er haderte nicht mit dem Schicksal, und er klagte nicht. Hier war er, er hatte einen Mann getötet und hatte ein Mädchen geküßt. Er verlangte nicht mehr vom Leben, und auch das Leben verlangte nun nicht mehr von ihm. Er war Simon, ein Mann wie die Männer um ihn herum, und mußte sterben, wie alle Männer sterben mußten.

Es wurde ihm erst wieder bewußt, was außerhalb seiner selbst vorging, als er sah, daß eine Frau hereingekommen war und mitten auf der leeren Tanzfläche stand und um sich schaute. Es war eine kleine, breite alte Frau in der Tracht der Lappen, und sie behauptete ihren Platz mit solcher Majestät und Grimmigkeit, als gehöre das ganze Haus ihr. Es war offensichtlich, daß die meisten der Anwesenden sie kannten und sich ein wenig vor ihr fürchteten, wenn auch einige lachten; das Getöse im Tanzsaal verstummte, als sie zu sprechen begann.

»Wo ist mein Sohn?« fragte sie mit einer hohen, schrillen Stimme, die der eines Vogels glich. Gleich darauffiel ihr Auge auf Simon, und sie steuerte durch die Menge hindurch, die sich vor ihr öffnete, auf ihn zu, streckte ihre alte, dürre dunkle Hand aus und nahm ihn beim Ellenbogen. »Komm jetzt mit mir nach Hause«, sagte sie. »Du brauchst heute nacht nicht hier zu tanzen. Du wirst vielleicht noch bald genug hoch droben tanzen müssen.«  - Tania Blixen, Wintergeschichten, Reinbek bei Hamburg 1989

Erwachsenwerden  (4)  Nachdem sie zwei Tage lang umhergeschifft waren, landeten sie an einer Küste, die mit einer unübersehbaren Menge grüner Felsblöcke bedeckt war, zwischen denen eine merkwürdige, kupferfarbene Vegetation wucherte: Pflanzen mit Blättern, die so weich waren wie Pomade. Auf diesem Flecken Erde lebte eine große Zahl von Kamelen, so dick wie Schafe und anschmiegsam wie die Angorakatzen einer Concierge. Überall sah man, so weit das Auge reichte, Nähmaschinen, Staubmäntel, blonde, nackte Frauen, die vor Entsetzen zitterten, und dunkelhaarige kleine Mädchen, die unzüchtige Blicke umherwarfen und die Beine spreizten, als erwarteten sie ihren Beschäler. Aber auch alte Frauen gab es, die lautlos in große Seidentaschentücher weinten. Und vor allem gab es wohlriechende Arme, die überall in der Luft herumgaukelten wie welke Blätter, sowie Brüste, die einem auf den Kopf plumpsten wie Äpfel.

Der kleine Junge sah sich dieses Schauspiel eine Weile aufmerksam an. Dann nahm er eine der Brüste, aß sie aui und fühlte, wie er groß und stark wurde.

„Ich bin ein Mann«, sagte er sich und lachte aus vollem Halse. - (per)

Erwachsenwerden  (5)

 

Erwachsen

 

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