rwachsen  Wie ein Mensch ›erwachsen‹ wird und dabei so etwas wie ›eine Welt‹ bekommt, läßt sich zwar nicht erklären, doch beschreiben mit dem Begriff der Distanz. Was ›den Erwachsenen‹ mit Wehmut im Rückblick auf die Kindheit erfüllt und ihm als das Unwiederbringliche an ihr erscheint, ist die verlorene Nähe zu den Dingen, bis zur Körperwärme im Wort- wie im Übertragungssinn. Doch wem es gelänge, Kind zu bleiben und damit kindisch zu werden, der bekäme nie eine Welt. Einer der bedeutenden Verleger dieses Jahrhunderts - von denen es immer so wenige zu geben scheint, wenn gerade wieder einer im Generationswechsel auf sanfte oder rauhe Art abtritt - hat in seinen unterbeachteten Erinnerungen mit nahezu phänomenologischer Einstellung beschrieben, was vor sich geht, wenn dem Kind eine Welt aufzugehen beginnt. Mit der Auflehnung gegen die abstrakte Belehrung des älteren Bruders im mecklenburgischen Penzlin setzt es ein: die Erde sei rund. Es ist milde ausgedrückt, wenn der Autor sich erinnert, er sei ›erstaunt‹ gewesen. Nicht jedes Erstaunen setzt sich in Nachdenklichkeit um. Dieses tat es.

Nein, das konnte unmöglich stimmen. Schon hier auf dem Hof die Ecke an der Treppe, und das Haus mit den vielen Ecken, und die Kirche mit dem Turm! Zweifellos, die Erde war eher eckig als rund: eine Summe von Ecken. Und es ist ja gut für das Kind zu wissen, daß die Erde der Inbegriff von Möglichkeiten ist, sich zu stoßen. Zugleich geht in das Nachdenken eine Komponente ein, die den Weg zum größeren Überblick öffnet, wenn auch noch nicht ausschreitet:

die Veränderung des Blickpunkts. Doch auch da: Nein, auch wenn man die Erde noch so sehr von weitem ansah -, rund konnte sie auch dann nicht sein.

Daß in dem ›Noch so sehr von weitem‹ der Hinterhalt des ›Noch nicht weit genug‹ steckte, machte die Differenz von der Kindeslebenswelt zu avancierten Formen von Weltvorstellungen aus. Die Distanz war ungeahnt, unbegrenzt, ›unendlich‹ veränderlich - und da verloren sich die Ecken im Gleichmaß mit der Lebenskunst, sich an ihnen nicht zu stoßen. Die Theorie machte nur den Gewinn der Praxis mit, deblockierte die Versetzung auf imaginäre Standorte. Alles, was an Weltansicht noch zu gewinnen war - und es blieb eine Zumutung an die Imaginationskraft -, ergab sich aus immer neuen Wiederholungen der ersten Distanzergreifung. Die Behaglichkeit der ›Lebenswelt‹ bestand nur darin, die Distanzen nicht abrupt zu verändern - das konnten nur die kinderäugigen Einsteine. -  (blum)

Erwachsen (2)  Als Kind war Malli groß für ihr Alter gewesen, doch dauerte es lang, bis sie sich zur Frau entwickelte. Noch mit sechzehn, als sie konfirmiert wurde, sah sie aus wie ein langaufgeschossener Junge. Als sie aber dann erwachsen wurde, wurde sie schön. Kein Menschenkind ist reicher an Erfahrung als ein unansehnliches, zu lang und zu schmal geratenes junges Mädchen, das im Lauf von ein paar Monaten plötzlich zu einer schönen jungen Frau heranreift. Das ist eine wundersame Überraschung und zugleich die Erfüllung von etwas Erwartetem; es ist eine Schicksalsgunst und zugleich eine wohlverdiente Auszeichnung. Das Schiff hat in einer Kalme stillgelegen, und es ist in stürmischen Strömungen hin und her geworfen worden; nun aber füllen sich die weißen Segel, und es schwebt hinaus aufs offene Meer. Die Fahrt selbst gibt Sicherheit. - Tania Blixen, Schicksalsanekdoten. Reinbek bei Hamburg 1988 (zuerst 1958)

Erwachsen (3)  

Goofy

Die Bösewichter sind bei Disneys Comic-Figuren nicht die einzigen, die übertrieben erwachsene Züge tragen. Auch Goofy hat wie Mortimer einen im Verhältnis zu seiner Körperlänge kleinen Kopf und eine vorstehende Schnauze.

- Stephen Jay Gould, nach: Der Rabe, Magazin für jede Art Literatur Nr. 35, Zürich 1993

Erwachsene (4)  Abgesehen von schönen Frauen wie meiner Mutter konnte ich Erwachsenen sowieso nicht viel abgewinnen. Sie waren häßlich, behaart und grob. Außerdem plump und schwerfällig und viel zu sehr der Wirklichkeit verhaftet. Sie hatten vermutlich auch einmal jene geheime zweite Welt entdeckt, aber das Staunen und Phantasieren mittlerweile verlernt. Daß sie mich süß fanden und anlächelten und mich mit Geschenken überhäuften, ließ ich mir wohl gefallen, aber die Küsserei war mir manchmal zuviel. Wenn sie nach Zigaretten oder schweren Parfüms rochen, war mir das zuwider, und dazu kamen auch noch stechende Bärte. Daß Männern auf den Fingern und aus Nase und Ohren heraus Haare wuchsen, machte sie in meinen Augen zu minderwertigen Wesen.  - Orhan Pamuk, Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt. Frankfurt am Main 2011

Erwachsene (5)  
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