Roman, entgleister Aus der Wolke, dem Chaos, den trüben Gewässern, aus Strudeln, Gebrause, Gewoge, aus dem Schilf und Tang, aus dem Froschgequarre sollte ich mich hinausbegeben zwischen klare, kristallisierte Formen - mich zurechtkämmen, in Ordnung bringen, in das gesellschaftliche Leben der Erwachsenen eintreten und mit ihnen disputieren.

Gewiß! Ich hatte es schon versucht und mich angestrengt — und ein kleines Lachen schüttelte mich bei dem Gedanken an die Resultate meines Versuches. Um mich zurechtzukämmen und nach Möglichkeit zu klären, hatte ich schließlich ein Buch geschrieben - sonderbar, schien es mir doch, daß mein Eintritt in die Welt nicht ohne Erklärung geschehen könne, obwohl man noch nie eine Erklärung gesehen hat, die nicht eine Verdunkelung gewesen wäre. Ich wünschte, mich erst einmal durch ein Buch in ihre Gunst einzukaufen, um dann für die persönliche Fühlungnahme einen schon vorbereiteten Boden vorzufinden, und - so kalkulierte ich - wenn es mir gelänge, in die Seelen eine günstige Vorstellung von mir einzusäen, so würde diese Vorstellung ihrerseits auch mich gestalten; auf solche Weise würde ich, selbst wenn ich nicht wollte, reif werden. Wieso hat mich die Feder dennoch verraten? Warum hat mir die heilige Scham nicht erlaubt, einen notorisch abgedroschenen Roman zu schreiben, und anstatt die oberen Fäden aus dem Herzen, aus der Seele zu spinnen, warum spann ich sie aus den unteren Abzweigungen, brachte irgendwelche Frösche, Beine, lauter unreife und vergorene Themata in den Text, die ich einzig durch Kühle und Beherrschtheit in Stil, Stimme und Ton auf dem Papier isolierte, um nachzuweisen, daß ich auf solche Art hier mit dem Gärstoff abrechnen wollte? Warum gab ich - wie meinen eigenen Absichten zum Trotz - dem Buch den Titel 'Tagebuch aus der Zeit des Reifens'? Vergebens rieten mir Freunde, daß ich keinen solchen Titel geben und mich überhaupt vor der geringsten Anspielung auf Unreife hüten solle. »Tu das nicht«, sagten sie. »Unreife ist ein drastischer Begriff; wenn du dich selbst als Unreifen erkennst, wer wird dich als Reifen anerkennen? Verstehst du denn nicht, die erste Bedingung der Reife, ohne die es weder so noch anders geht, ist, daß man sich selbst als reif anerkennt?« Doch mir schien es, daß es sich einfach nicht gehöre, allzu leicht und billig den Rotzbengel in sich loszuwerden, daß die Erwachsenen allzu scharfsichtig und scharfsinnig sind, um sich betrügen zu lassen, und daß der, den der Rotzbengel unermüdlich verfolgt, sich öffentlich nicht ohne den Rotzbengel sehen lassen dürfe. Vielleicht hatte ich ein zu ernstes Verhältnis zum Ernst, vielleicht überschätzte ich das Erwachsensein der Erwachsenen allzusehr.  - (fer)

 

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