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C. Artmann, Nachrichten aus Nord und Süd. München 1981 (dtv 6317, zuerst
1978)
Küste (2) So wie ihr Treibsand von einer
Strömung aus dem antarktischen Süden fortgeschleckt wurde, so verschlang die
Küste die Zeit von dem Augenblick an, da man sie erreichte. Sie bot dem Leben
nichts: der Boden dort war trocken, Salzwinde, vom großen Benguelastrom durchfröstelt,
bliesen von der See herein und vernichteten alles, was wachsen wollte. Es herrschte
ein ewiger Kampf zwischen dem Nebel, der einem das Mark gefrieren ließ, und
der Sonne; hatte sie erst einmal den Nebel durchbrochen, war ihr nicht mehr
zu entrinnen. Oft schien sie den Himmel über Swakopmund ganz auszufüllen, so
sehr war sie vom Nebel über dem Meer gebrochen. Ein lichtes Grau, das zu einem
augenschmerzenden Gelb neigte: man gewöhnte es sich rasch an, getönte Brillen
zu tragen, um sich vor dem Himmel zu schützen. Wenn man lange genug dort lebte,
kam man zu der Einsicht, es sei eine Zumutung für einen Menschen, in dieser
Gegend leben zu müssen. Der Himmel war zu weit, die Siedlungen unter ihm zu
winzig. Der Hafen von Swakopmund füllte sich unaufhaltsam mit Sand, Männer brachen
unter geheimnisvollen Umständen unter der Nachmittagssonne zusammen, Pferde
wurden wild und gingen in der zähflüssigen Brühe am Strand zugrunde. -
(v)
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