rsaufen   Sie hatte sich schon einmal auf den Rand gesetzt, war einen weißen Halbkreis hinuntergelaufen bis zur Suppe und befand sich in der Luft, ehe ein Schatten sie vom Teller verscheuchte. Sie flog zum Vorhang, kraxelte einer Stange entlang und kletterte über Messingringe, klebte einen Moment fest und war bereits wieder über dem Teller, aus dem warmer Erbsengeruch hochstieg. Sie landete auf einer Glatze und spazierte mit ihren behaarten Beinen kahles Terrain ab, setzte sich hin und begann ihren Rüssel zu putzen, ließ sich durch kein Rütteln und Schütteln beeindrucken und hob erst ab, als hart neben ihr ein Fingernagel zu kratzen begann. Sie summte vor einem Ohr und streifte beinahe die Härchen, die hervorschauten. Sie steuerte um den Hinterkopf, setzte ihre Schwingkölbchen ein, drehte, flog zurück, drehte erneut und flog auf Kragenhöhe zur Gegenseite, wo sie vor dem andern Ohr Kreise zog und dazu summte. Wiederum ließ sie sich auf dem Tellerrand nieder, verharrte regungslos, nur mit ihren Fühlern vibrierend, lief eine Schräge hinauf und wartete. Als sich eine Hand näherte, führte sie vor, wie man in einer Sekunde mehr als zweihundert Mal mit den Flügeln schlägt, kurz stieg sie hoch und ließ sich auf dem Tischtuch nieder, lief über ein blauweißes Karree einem Löffelstiel entlang bis zur Gabel, umkreiste die Zacken, untersuchte und beleckte Krümel, hockte sich hin und schob ihre Mittelbeine zwischen Vorder- und Hinterbeine, die sich putzten. Sie floh vor einer Messerspitze, die im Tischtuch einen Abdruck hinterließ. Sie zog eine Achterschleife über der Erbsensuppe, verringerte ihre Flughöhe und wurde abgetrieben von einem Windstoß, der aus einem Mund kam. Sie näherte sich einer Brille und dirigierte die Pupillen hinter den beiden Gläsern, richtete sich auf die Falten der Stirne aus, machte aber kurz vor ihnen auf dem Gestell halt, lief den Bogen der Brille ab, stieg auf und setzte, mit Vorschild, Schild und Schildchen bewehrt, zum Sturzflug an. Sie berührte fast die Oberfläche der Suppe, flog aber darüber hinweg zur Decke. Im letzten Moment vor der Landung drehte sie ihren Körper, klebte sich mit den Füßen fest, den Kopf noch immer in der Flugrichtung, und tief unter ihren großen braunroten Augen der Tisch mit dem vollen Suppenteller. Sie ruhte sich aus, summte und begann als Stubenfliege die Stube zu inspizieren. Sie begab sich zunächst zur Anrichte, beachtete die Früchteschale kaum, kehrte zu ihr zurück und naschte mit ihrem Rüssel an der fauligen Druckstelle eines Apfels, dann umlief sie die beiden Türme der Menagere, verirrte sich in den Blättern einer Zeitung und strampelte sich zurück. Sie wechselte zum Sofa, legte den ganzen Weg einer Kissennaht nach oben zurück und stieg auf der andern Seite wieder herunter. Als sie aufflog und sich der Lampe näherte, schien das Licht durch ihre gläsernen Flügel und machte diese noch klarer. Sie wechselte zur Wand, kroch das Blattmuster der Tapete hoch und lief quer durch ein Souvenirbild, wo sie über der Braut in Weiß einen weißen Flecken hinterließ. Auf dem Kalender daneben huschte sie kreuz und quer durch die Daten. Dann setzte sie zum Direktflug Richtung Suppe an. Sie ließ sich am oberen Tellerrand nieder und hielt sich auf der Glasur mit den Haftläppchen ihrer Füße fest, wagte einige Schritte, verharrte, flog auf und setzte sich an der gleichen Stelle nieder und machte erneut einen sechsfüßigen Vorstoß. Am Suppenrand streckte sie ihren Rüssel aus und tupfte Flüssigkeit auf. Sie ließ nicht ab vom Aufsaugen und füllte ihren Kropf; aus ihm quollen auf die Rüsselscheibe dicke Tropfen zurück, sie sog diese wieder ein und neigte sich zur Suppe. Die Flüssigkeit machte sie schwer und träg; sie rutschte, konnte sich noch festkleben, so daß sie nicht kippte. Doch sie geriet mit einem Flügel in die Suppe. Mit dem freigebliebenen holte sie aus; so sehr sie mit ihm schlug, sie schlug nur um sich und kriegte den andern nicht mehr hoch.  - (loe)

Ersaufen (2)

- Max Klinger

Ersaufen (3)

Ersäufen Suppe

 

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