uppe  Wenn die Welt nicht ein vor uns verstreutes Puzzlespiel ist, sondern lediglich eine Suppe, in der chaotisch Stücke umherschwimmen, die von Zeit zu Zeit rein zufällig zu einem Ganzen zusammenkleben? Während alles, was existiert, fragmentarisch, unvollendet, fehlgeboren ist, während alle Vorgänge ein Ende haben ohne Anfang oder nur eine Mitte, ein Vorderteil ohne Abschluß, sortieren wir fortwährend, sondern aus und rekonstruieren, bis wir Liebe, Verrat und Niederlage als Einheit zu sehen beginnen, obgleich wir in Wirklichkeit partikulär und zufällig sind.

Unsere Gesichter, unsere Schicksale determiniert die Statistik, wir sind das Ergebnis der Brownschen Bewegung, der Mensch ist eine unvollendete Skizze, ein zufällig entworfenes Projekt. Perfektion, Vollkommenheit, Vollendung - das sind rare Ausnahmen, die nur deshalb auftreten, weil die Fülle der Erscheinungen so unerhört, so unvorstellbar ist! Das gewaltige Ausmaß der Welt, ihre grenzenlose Vielfalt sind der Regelungsmechanismus der Alltäglichkeit, durch ihn werden scheinbare Lücken und Risse ausgefüllt, für seine eigene Erlösung sucht das menschliche Denken die zerstreuten Fragmente aus und fügt sie zusammen.

Religion und Philosophie sind der Leim, fortwährend sammeln und fügen wir die auseinanderstrebenden Bruchstücke in der Statistik zusammen, um sie in ein sinnvolles Ganzes einzubinden wie zu einer Glocke unseres Ruhmes, so daß sie als eine einzige Stimme vernehmbar wären. Dabei ist es lediglich eine Suppe . . .

Die mathematische Ordnung der Welt ist unser Gebet an die Pyramide des Chaos. Nach allen Seiten hin ragen Bruchstücke des Lebens empor jenseits der Bedeutung, die wir als einheitlich festgesetzt haben, und wir wollen und wollen das nicht sehen! Indessen existiert nur die Statistik.

Der vernünftige Mensch - ist der statistische Mensch. Wird ein Kind hübsch oder häßlich? Wird es an Musik Gefallen finden? Wird es an Krebs erkranken? Alles das wird in einem Würfelspiel entschieden. Die Statistik steht bei unserer Empfängnis Pate, sie lost das Konglomerat der Gene aus, durch die unsere Körper geformt werden, sie bestimmt durch das Los unseren Tod. Die Begegnung mit der Frau, die ich lieben werde, meine Lebenserwartung, alles bestimmt der statistische Durchschnitt, also vielleicht auch, daß ich unsterblich werde? Vielleicht wird diese Unsterblichkeit auch jemandem zuteil, blindlings, durch den Zufall, von Zeit zu Zeit, ebenso wie Schönheit oder Gebrechen?

Wenn aber keine eindeutigen Abläufe existieren, wenn Verzweiflung, Schönheit, Freude und Häßlichkeit Produkte der Statistik sind, dann liegt die Statistik unserer Erkenntnis zugrunde, dann existiert nur der blinde Zufall, das ewige Arrangement zufälliger Muster. Die unendliche Vielzahl der Dinge spottet über unsere Liebe zur Ordnung. Sucht - und ihr werdet sie finden; ihr werdet sie am Ende immer finden, wenn ihr nur eifrig genug sucht, denn die Statistik schließt nichts aus, sie macht alles möglich, sie hält es lediglich für mehr oder weniger wahrscheinlich. Die Geschichte aber ist die Realisierung des Brownschen Bewegungsgesetzes, ein statistischer Tanz der Moleküle, die nicht aufhören, von einer anderen irdischen Welt zu träumen . . . - Stanislaw Lem, Die Untersuchung. Frankfurt am Main 1978 (zuerst 1959)

Suppe (2) Die Suppe war einmalig, deswegen hatte sie auch kein Rezept, dafür ein Zustandekommen. Sie wurde gebraut. Erlaubt war alles, vorausgesetzt es kam etwas Suppiges zustande. Leitbild schien also eine gewisse Löffelbarkeit gewesen zu sein. Schusternägel, Styroporschrot und winzige Glühbirnen, zu gleichen Teilen gemischt, ergaben bald ein sauber gleitendes Süpplein. Andere Ur- oder Grundsuppen, in denen das fließende, das schöpferische Kriterium den Ausschlag gab, waren aus gasigen Zellen und geschmolzener Schwermut legiert. Die Phantasie läßt Spielräume zu, die Suppe füllt sie. - (pas)

Suppe (3)  

ist die suppe weiß
läuft der löffel krumm

der sich nicht gehört
wo ein knödel schlürft

wie gefällt dir das
wenn belinda stöhnt

geh nach oben schon
bis der schädel kommt

denn der topf zerspringt
weil er ihn ihr nimmt

daß der bulbus hält
weil er ihn ihr nimmt

denn der topf zerspringt
bis der schädel kommt

geh nach oben schon
wenn belinda stöhnt

wie gefallt dir das
wo ein knödel schlürft

der sich nicht gehört
läuft der löffel krumm

ist die suppe weiß

- (palin)

Suppe (4)  Wer suppe ißt, muß dafür bezahlen: eine nonne ißt eine suppe aus stierhoden, wird lüstern und schwanger.

Der fluß rauscht an der wehr, Wassermänner beschwimmen wasserfrauen, eine kätzin schleicht unter nassen, weißen rosen.

Wer suppe ißt, muß dafür bezahlen: man zahlt mit banknoten, münzen, tauschartikeln, haut und haar, gut und blut.

Ein chirurg biegt um die ecke, er hat suppe gegessen.

Zwei störche haben die ehe beschlossen, ein nest wird gerichtet: der storch beschwingt die nasse, weiße störchin.

Der chirurg mit der scharfen kleinen säge ist der intelligente sohn einer entweihten nonne, er bezahlt die suppe wie jeder andere.

Rindsuppe, ein evangelium aus mancherlei zutaten: der koch dosiert seine salze, seine pfeffer, seine muskatpartikelchen, seine petersilienatome.

Der chirurg versorgt klaffende wunden und löffelt dezent seine rindsuppe: nasse, weiße rosen haben dornen, ärzte haben glänzende löffel und sägen.

Der topf läßt feine heiße dämpfe, der koch lächelt wie durch morgennebel. Hühner durchgackern den regen, oh, und der hahn folgt ihnen mit öliger eleganz.

Auf der bank vor dem haus liegt ein aufgeschlagenes buch; technicolor: Paget-erkrankung mit weitgehender sklerosierung der rinde.

Der walnußbaum, das warmduftende muhen im kuhstall, die lüsterne nonne naß und weiß wie eine störchin im regen in einem lila nest aus Wiesenschaumkraut.

Nasses, heißes suppengrün bleibt im sieb zurück oder wird passiert - die petersilie; die möhre, die sellerie.

Das medizinische buch ist vom sommerregen durchnäßt, aber nicht eben direkt unbrauchbar - der chirurg hat seiner schülerin nicht auf die finger gesehen.

Das kino liegt unweit des dorfes der sommerfrischler, der fluß nicht dazwischen - ein angeschwollener wasserarm, gespeist von hunderten von adern der nahen bergzüge.

Das neugeborene kind der entflohenen nonne liegt auf weißem linnen, licht fällt durch das halbgeöffnete fenster, das licht des tages nach tagen der wolkenbrüche und der agonien. Suppe ißt der chirurg diesmal im hellen speisesaal des hospitals - ein klinischer anblick.

Die störchin hat ihr drittes ei gelegt, der storch hat ein exemplar der arctium lappa im gefieder, es wird jedoch bald abfallen . . .

Wassermänner mit nassen, grünen huflattichkronen, wasserfrauen mit kränzen aus giftigem seifenkraut, kein chirurg unter ihnen, sie treiben es aus lüsternheit auf vielfache weise.

Der kopf einer geschlachteten henne: nasse, weiße hühner streiten sich wie gackernde megären darum.

Die nonne im kindbett ißt einen apfel, ein butterbrot und suppe aus dem fleisch der geschlachteten henne, sie betet und atmet leicht.

Die schülerin des chirurgen hat am fluß ein schlangennest entdeckt und füttert das gezücht mit fleischresten aus der suppenküche; die nasse, weiße sonne blüht bereits an allen wegen . . . - AQUARIUM MIT HÜHNERN.  In: H.C. Artmann, Unter der Bedeckung eines Hutes. Montagen und Sequenzen. Frankfurt am Main 1976 (st 337, zuerst 1974)

Suppe (5) Die Suppe war einmalig, deswegen hatte sie auch kein Rezept, dafür ein Zustandekommen. Sie wurde gebraut. Erlaubt war alles, vorausgesetzt es kam etwas Suppiges zustande. Leitbild schien also eine gewisse Löffelbarkeit gewesen zu sein. Schusternägel, Styroporschrot und winzige Glühbirnen, zu gleichen Teilen gemischt, ergaben bald ein sauber gleitendes Süpplein. Andere Ur- oder Grundsuppen, in denen das fließende, das schöpferische Kriterium den Ausschlag gab, waren aus gasigen Zellen und geschmolzener Schwermut legiert. Die Phantasie läßt Spielräume zu, die Suppe füllt sie. - (pas)

Suppe (6) In den nordischen Staaten erschien 1643 eine anonyme Flugschrift unter dem Titel Dania ad exteros; de perfidia Suecorum. Der Verfasser wurde ausfindig gemacht und in Schweden verhaftet. Das Urteil war ungewöhnlich. Es stand dem Autor frei, zwischen zwei Möglichkeiten zu wählen: Entweder mußte er sein Pasquill aufessen, oder man wollte ihm den Kopf abschlagen. Der Verfasser, der anscheinend am Kopf empfindlicher war als am Magen, wählte das erstere. Übrigens zeigten sich die Richter milde genug, er mußte die Schrift nicht in Form von Rohkost verspeisen, sondern es wurde ihm gestattet, sie sich in die Suppe zu kochen. -  Istvan Ráth-Végh, Die Komödie des Buches. Leipzig 1984

Suppe (7) Was für eine schlechte Sache das Leben ist, nicht wahr? Es ist eine Suppe, in der viele Haare sind und die man doch essen muß. Daher hebt sich einem der Magen oft vor Widerwillen!  - (flb)

Suppe (8)  Die Suppe kommt.

Podol fischt Rogen, Milch, Fischstücke, Gemüse, Lorbeerblatt und Wacholder aus dem Teller und genießt sie einzeln, bei den Gewürzen den Anblick. »Wie meine Karpfensuppe zu Weihnachten! Ich klaube auch den Kopf ab. Olbram, du hast so ein Stück, das ist hinter den Kiemen«, er zeigt auf ein dunkleres Fleisch in Maltzahns Teller. »Dazu geröstete Semmelbrösel, wer mag. Habt ihr mal die Augen probiert?«

Maltzahn schluckt und schiebt das Dunkle auf den Tellerrand.

»Suruj erzählte, daß Rentieraugen ein Leckerbissen sind«, sagt Nordanc. »Und die Kamtschadalen würden...«

»Hör auf!«, Maltzahn greift nach Podols Wodka und schiebt die Suppe von sich.

»Magst du nicht mehr, Olbram?«, Podol zieht sich Maltzahns Teller heran. »Schade, daß Patera nicht da ist.«

Die Burjatin bringt das Hauptgericht, viermal Fisch. »Wie hat Ihnen die Ucha geschmeckt?«

»Die Suppe? Ausgezeichnet Was ist das für einen Brocken?«

»Das ist der Omul. Das ›lebende Gold‹ des Baikal, wie die Russen sagen. Der einzige Fisch, der eine Stimme hat. Wenn man sie aus dem Wasser zieht, schreien sie. Der heult wie ein Omul, sagt man.«  - Libuše Moniková, Die Fassade. München 1990

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