Entbartung    »So sage mir denn, wiesel«, fuhr der abendliche Simeon fort, »was habe ich zu tun, um diesen wunderlichen fellbart, so mein rein äußerliches einem einzelgängerischen höhlenbären ähnlicher macht, als dem eines ächten einsiedels, der, seine betrachtungen aus frömmigkeit und zweifeln mischend, nichts lieberes wünscht, denn mit aller weit in frieden und eintracht zu leben?«

»Abschneiden«, sagte das flinke tierlein. »Ich kenne einen türcken in der Stadt, der ein geschickter barbierer sein soll. Ich pflege im garten desselben türcken sonn- und feiertags, oder auch sonst irgendwie unter der woche, regelmäßig ein schock hühnereier auszutrinken. Was sonst auch möchte ich bei ihm tun, so ich keine rasur nötig habe. Du wirst es ja mit eigenen augen sehen, daß mein bart kaum der rede wert ist!«

»Da muß ich wol in die stadt?« sagte der eremit erschrocken.

»Ei freilich wirst du zu dieser bescheerung in die stadt reisen müssen. Gleich in der ersten straße links wohnt unser türck. Es ist das schöne, zweistöckige holzhaus, aus dem, wie du nicht wissen wirst, die mädchen immer verkehrt zum fenster heraus sehen4. Verfehlen kannst du meine adresse nicht, da sie ohnedies noch quasi auf dem lande ist.«

»Also muß ich de facto in die Stadt!« seufzte der fromme kläusner und blickte nach dem inzwischen aufgegangenen vollmond. »In eine stadt, der ich VII heilige jahre entsagt, und die ich nimmermehr zu betreten gedachte. Wie auch konntest du mir solchen rat antun, verwegener nickel! Niemals los werde ich ihn, unterlasse ich aus standhaftigkeit seine ausführung. Aber seis auch um das! Ich will kurzen urlaub nehmen von diesem stillen walde, der meine heimat ist und in dem ich selbst nixen und einhörner zu einem anständigeren lebenswandel erziehe (denn dies ist mein beruf). Fahrt wohl, ihr grünen teiche und klaren quellen, bleibet meiner lehren eingedenk ihr käuze und moostauben, verhaltet euch brav, ihr fröschlein und ameisenspechte, vergesset mich nicht gleich, ihr amseldornbüsche und farnkrautgehege — es sind ja nur X oder XI stunden, die ich euch fernbleiben werde!« Am nächsten tag ums mittagbrod kam der fromme Simeon unter der lästigen würde seines bartes vor den bescheidenen, jedoch sauber gehaltenen laden des herrn Bayazet, denn so hieß der tapfere bartmeister. Bayazet, ein retirirter janitscbar und beininvalide, bekam kugelrunde augen und legte in der ersten perioäe seines heftigen erstaunens die gazett, aus welcher er noch eben gelesen, irrtümlicherweise in ein mit warmwasser gefülltes messingbecken. »Beim Einzigen & Unbestechlichen . .« entfuhr es ihm, und die sonne der weit fiel lieblich durch den perlenvorhang, der die stelle einer türe vertrat, und gitterte den ungefegten, mit allerlei locken und anderen haarrelikten bedeckten boden. Der redliche waldklausner, seiner alten erfahrungen wieder eingedenk, nahm in dem scheerstuhle platz und erwartete mit ergebung laken und scheere.

»Bei der wahrhaftigen nacht des ratschlusses, dieser redliche wildkläusner soll mir der prüfstein meines erlauchten barbiertums werden!« sagte der bartmeister, welcher sich schon ein wenig, wenn auch noch nicht ganz, von seinem staunen erholt hatte. »Ich will diesen semlramidischen haargarten mit einem einzigen, fleißigen schnitt, halbmondförmig und scharpf, unter dem kinn wegputzen!«

Alsdann griff er nach seinem frischgeschliffenen barbiereisen, ließ es, wie einen blinkenden doppelsäbel vor der schlacht, durch die angenehme dämmerung seines ladens kreisen, hielt aber gleich wieder inne und wandte sich um. Es war seine jüngste tochter, die, obgleich sie sehr schön war, nichts weiter gelernt hatte, als mit dem gießkännchen die blumen zu besprengen. »Wozu störst du mich in diesem entscheidenden augenblicke? Siehst du nicht, wie ich drauf und dran bin, den zenith meiner kunst zu erspringen, das meisterstück meiner alten tage zu executieren?

Das mädchen, den frommen menschen gestuhlt und mit einem weißen laken um den hals erblickend, setzte sich wie sie war vor ausgelassenheit mit ihren ziemlichen ründungen mitten auf die hölzernen dielen des ladens hin und begann, ihr gießkännchen im kreise Über dem köpf zu schwenken, dem alten janitscbaren zum spott, da es dieser in derselben weise kurz zuvor mit seiner blitzenden scheere so gemacht, als ihm die schlacht von Widdin in den sinn gekommen.

»Was sollen diese ohnzierlichen possen einer mißratenen jüngsten tochter in gegenwart eines redlichen kunden, dem ich außerdem keinen einzigen para abverlangen werde, so er mir die gelegenheit zu meinem meisterstücke schenkt?! Schamloses geschöpf, das es wagt, in die mysterien einer entbartung einzudringen. Heb dich sofort hinweg, erfrechte!«

Das lose mädchen, durch den mißmut ihres vaters zu noch größerer lustigkeit gereizt, rief aber: »Wie soll ich wissen, daß ihr einen redlichen kunden entbartet. Als ich hereinkam, dachte ich, ihr hättet einen braunen bären aus Sultans menagerie im sessel! Laßt uns nur recht da-zusehen, damit er uns nicht gar über bienen und honig kommt!«

Der empörte vater wollte zuerst seiner jüngsten tochter eine maulschelle versetzen, besann sich aber rechtzeitig, da ihm ein solches tun, im beisein eines dritten, ein verstoß gegen die wolanständigkeit dünkte, und mit einem genauen schnitt, nicht zu kurz, nicht zu lang, fuhr des meisters scheere um das kinn des eremiten. Da! Schon hielt er den gefallenen bart, triumfierend wie ein paschah seinen neuerworbenen roßschweif, hocherhoben in der linken! Wütend sah er nach seinem ungezogenen kind, das noch immer kichernd auf dem boden des ladens hockte. »Bei irgend einem djinn«, rief er aus, »ich wünschte, dieser ehrenbart in der geschichte des scheerenschnitts säße dir jetzt für immer und ewig wie einer stute am hintern!«

Der waldkläusner griff nach seinem kinn, der janitscbar sah verdutzt nach der leeren linken, die schöne jungfrau aber tastete, geängstigt durch irgend eine fühlbare veränderung, nach dem teil auf dem sie saß. Dort jedoch saß leider auch — daß die ertzheiligen und derwische ein solches nie mehr zuließen — der verwunschene bart Simeonis. . . fest, unverrückbar und schön buschig, wie bei einem frischgestriegelten braunen.

  

 - (hus) 

Bart

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