rehen  Der Doktor winkte; sie wurde von starken Männern in ein Rad gesetzt und schrecklich gedreht, daß sie zu sterben meinte. Kaum heraus gebracht, fragte man sie wieder nach dem König, da antwortete die Erschöpfte: »Er kann seine vielen Kinder nicht schützen, Gott sei uns gnädig!« »Es hat schon geholfen«, sagte der Doktor, »fahren Sie alle Tage so fort, der Wahnsinn ist durch die sitzende Lebensart, politische Schwärmerei und unbefriedigte Liebe entstanden.« Nun stürzte die unglückliche Frau jammervoll zusammen, sie sah, daß sie des Wahnsinns beschuldigt worden, daß ihr darum Vermögen und Freiheit genommen. Wer hatte diese Gerüchte verbreitet? Sie dachte umsonst nach, doch fiel ihr die boshafte Kammerjungfer ein; oder strebte jemand nach ihrem Vermögen? Sie bemerkte bald aus dem Reden der läppischen Schüler des Doktors, daß ihre Verehrung für den König den Schein gegeben, daß ihre Freigebigkeit ihn vermehrt und ihre Einsamkeit jedermann darin bestärkt hatte. Aber war es denn nicht möglich, alles dem Doktor deutlich vorzustellen? Sie versuchte es oft, aber kaum hatte sie einige Worte gesprochen, so lächelte der Doktor selbstgefällig und schickte sie in das schreckliche Drehrad. Ihr Mut wuchs mit der Verzweiflung, kein Drehen vermochte mehr ihre laute Anklage zu ersticken; sie wurde in Wasser getaucht, nichts überwand ihre Klage über Grausamkeit; der Doktor erklärte den Schülern: die Frau sei unheilbar und sprach dabei recht herzliche Worte voll Mitleid über ihren Zustand aus. Sie konnte ihm nicht zürnen; er wäre vielleicht ein tüchtiger Vieharzt gewesen, das böse Geschick hatte ihn über Menschen gesetzt.  - Achim von Arnim, Frau von Saverne. In: A.v.A., Erzählungen. München 1979 (dtv 2056, zuerst 1817)

Drehen (2)

-  Tomi Ungerer's Kompromisse. Zürich 1982 (kunst-detebe 26070, zuerst 1970)

Drehen (3)   So drehe sich eben das ganze Leben wie ein Rad und schnell komme man kopfüber wieder dort an, wo man einmal angefangen habe, nur daß man im Vorbeidrehen alles etwas anders sehe, und mehr könne man wahrscheinlich vom Leben auch nicht verlangen. Er wolle an dieser Stelle gar nicht erneut auf seine eigene Gleichung von der Revolution und der Heimarbeit eingehen, auch wenn es interessant wäre, den Wortstamm der Revolution auf dieses Drehen hin zu untersuchen, das er eben beschrieben habe. Vielleicht sei die Revolution tatsächlich der Zustand, in dem man noch einmal, und zwar kopfüber, an all dem vorbeigedreht werde, was man kenne, um es in diesem Vorbeigedrehtwerden noch einmal aus einer anderen Perspektive zu sehen.

Man solle die Sprache keineswegs unterschätzen, weder im Wortstamm der Revolution noch im Alltag noch in der Dichtung. Denn an der Sprache könne man am besten ablesen, wie weit Revolution und Heimarbeit und nach innen verlegtes Arbeitslager schon gediehen seien. Genau das könne man an der Sprache ablesen, und wenn man es auch nicht mehr aufhalten oder rückgängig machen könne, so wisse man zumindest, wo man stehe. Beobachte man die Sprache genau, so könne sie einem alles entschlüsseln und sämtliche Widersprüche auflösen. Man wisse dann auf einmal, warum ein Philosoph Philosoph habe sein können und gleichzeitig Faschist. Auch wisse man, warum die Revolution ihr Scheitern als Drehung schon in sich trage. Gerade am Verschwinden der Wörter könne man erkennen, was in der Welt vorgehe, denn ein Wort wie Heimarbeit verschwinde nicht ohne Grund, sondern manifestiere in seinem Verschwinden die nicht mehr aufzuhebende Trennung zwischen Arbeit und Individuum. Als Befreiung feiere das Kapital deshalb das Verschwinden der Heimarbeit und die Benennung einer Erneuerung mit dem Begriff der Drehung, die das Kapital niemals aus dem Sessel hinaus, sondern nur einmal im Drehstuhl um sich herum befördere. Doch gerade wenn Begriffe verschwänden, entstehe eine Lücke, in der sich etwas Neues bilde. So sei die Heimarbeit längst wiedererstanden, säßen überall Menschen und bastelten Bomben.  - (rev)

Drehen (4)  Es gibt kein Ding, das mit einer leichten Drehung der Imagination nicht ein anderes sein könnte. In einer grünen See emporgestiegene Tümmler, der bei Einbruch der Nacht die rosenroten Gräser beugende Wind, und du - in deiner Schürze auf Verfolgungsjagd - sagst, es scheint dir dein Sohn zu sein. Wie lächerlich! Du wirst hochschweben in eine Wolke und auf mich zurückblicken, den kritzelnden Narren vor deinen Knien nicht mitrechnen, der Flügel an deine Fersen heftet.   - (kore)

 

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