egrabenwerden  Es erwies sich, der Mann lag schief in dem engen Raum, und die eine seiner Schultern stand über den Rand des Kastens hinaus. Man legte die Bohle darauf, jemand benutzte die Bohle als Bank. So stauchte man Kebads Kenyas Körper hinab. Mochte er sich einrichten. Dann begann man, Nägel in das Holz zu treiben. Es mußten starke und lange Nägel sein, zu erkennen am Ton, den sie ansteigend sangen, an der Härte der Hammerschläge. Die Nachbarn hatten daran nicht gespart. Kebad Kenya zählte zweimal zwanzig Nägel. Das Holz ächzte und knisterte. Gerade über seinem Kopf zersprang es, und ein Splitter trieb sich ihm ins Haar. Es wurde eine Stille und eine Dunkelheit, wie Kebad Kenya sie noch niemals erfahren hatte. Er begann sich zu fürchten, er wollte rufen. Aber seine Stimme versagte. Es wäre auch gegen seinen innersten Wunsch gewesen, einen Laut von sich zu geben. Vielleicht überfiel ihn ein kurzer Schlaf. Oder war es eine Ohnmacht? Jedenfalls war die Bewußtlosigkeit tief. Er erwachte daraus, indem er eine schwankende Bewegung feststellte, die der Kasten und damit er selbst vollführte. Sie trug nicht dazu bei, seine unbequeme Lage wohltuender zu machen. Sollte das bootsähnliche Schaukeln lange währen, so würde er sich erbrechen müssen. Einstweilen versuchte er, die Übelkeit zu bekämpfen. Die Tage des Hungerns erwiesen sich jetzt als nützliche Vorbereitung. Er hatte die Einzelheiten seiner Erlebnisse nicht vorbedacht; aber der Ablauf schien auch ohne den Aufwand berechnender Weisheit fügsam den schlimmeren Zwischenfällen auszuweichen. Geräusche, die zu dem Eingesargten drangen, erlaubten die Folgerung, er war getragen worden und wurde nun, höchst unfeierlich und rücksichtslos, auf einen Wagen geschoben. Die Pferde zogen sogleich an. Die Nachbarn schienen große Eile zu haben. Sie schämten sich nicht einmal, Galopp anzuschlagen. Der Weg war holperig. Schlaglöcher und Knüppel reihten sich aneinander. Die Knechte hatten ihre Pflicht versäumt. Aber es war jetzt zu spät, an ihre Bestrafung zu denken. Hätte der liegende Mann seine Stimme erhoben, niemand hätte ihn gehört, zu laut ratterten die Räder über den unebenen Weg. Gräßlich nur, daß der Sarg unregiert hin und her geschleudert wurde, plumpe Sprünge ausführte und wie ein Baumstamm krachend gegen die Schotten des Wagens schlug. Kebad Kenya streckte die Hände aus, als ob es ihm möglich gewesen wäre, die Zügel zu fassen. Doch er griff ins Leere. Sein Gesicht stieß gegen die nahe Begrenzung. Er glich schon einem Ding. Er war festgeschraubt in dem engen Raum. Die Schmerzen, die er empfand, schienen keinen Platz neben ihm zu haben; sie lagen wie feuchter Tau außen über dem Sarg. Die Wegstrecke wollte kein Ende nehmen. Sobald die Pferde in langsame Gangart fielen, sauste die Peitsche auf ihre Kruppe. Es gab einen Ruck, ein Poltern, ein Tanzen der Kiste. Die Nachbarn hatten große Eile.

Da alle Vorgänge in der Zeit geschahen und nicht in der Ewigkeit, kam der Wagen ans Ziel. Vorübergehend hatte es Kebad Kenya geschienen, als sei er auf der niemals endenden Straße der Unendlichkeit. Und er versuchte, eine Rede vorzubereiten, um seine Sünde zu erklären oder zu entschuldigen. Wiewohl sein Vortrag erst hinter den Sternen angehört werden würde. Sehr spät. Und möglich, daß man dort gar nicht begriff, wovon er redete. Daß er einsam gewesen war. Als ob die unendlichen Weiten nicht noch einsamer daständen. Als ob der unendliche Ablauf nicht auch tausendmal der Menschen Schicksal durchgekostet. Welchen Gefährten hatte der Wind? Immerhin, Kebad Kenya konnte seinen Betrug, gestorben zu sein, nicht mehr widerrufen. Und wenn der Tod einen Mann haßte, mußte die Geduld aufgebracht werden oder die Überwindung, abzuwarten, was ihm geschehen würde. Nachdem der Wagen zum Halten gebracht war - die Pferde, es mußten ihrer vier sein, prusteten sich ab -, spürte Kebad Kenya nur noch wenige und kurz dauernde Bewegungen. Er stellte sich vor, er war irgendwo hinabgelassen worden. An Tauen, wie er vermutete. Vielleicht auch hatte man eine größere Veranstaltung getroffen, eine Baugrube, die an einer Seite schräg abfiel. Davonfahrende Wagen, das Knirschen von Pferdehufen im Kies. Tritte von Männerfüßen waren über ihm. Schwere Steine, in quellenden Kalkbrei gebettet, legten sich über ihn. Es wurde stiller und stiller. Die Schritte der Männer, noch immer geschäftig, klangen gedämpft, wie aus fernen Gelassen, herab. Allmählich wurde ihr Klang so mager wie ein Lispeln im Gras. Und wie Kebad Kenya nach einer Weile hinhorchte, war es stumm über ihm. Möglich, ein Wind fuhr durch das Geäst des Buschwerks. Es war unwichtig. Eine Täuschung. Ein Nichts. Er wollte bei sich ausmachen, ob er den Tod nun überlistet hätte. Aber es fiel ihm schwer, seine Gedanken bei dieser Frage verweilen zu lassen. Nicht, daß sie ihm überflüssig geworden. Es war nur unfaßbar schwer inzwischen, die Begriffe bei den Worten zu erhalten. Es war Kebad Kenya, als ob er einen Tag und noch länger benötigte, um eine Silbe in die ihr gemäße Vorstellung einzuordnen. Begreiflich, er war müde. Die Nachbarn - um sich ihrer und ihres Krams zu entsinnen, er mußte darauf ein Jahr verwenden, so schläfrig war er.

Inmitten der ausgedehnten Langsamkeit erlebte er doch das eine oder andere. Er hörte nicht auf, zu fühlen. Dieser Sinn schien sich im Gegenteil zu verfeinern und ihn wie ein Netz, aus dünnerem Stoff als Haar, einzuspinnen. Das Gehör schien sich mit Taubheit zu beschlagen. Ob nun Taubheit in ihm oder Stille um ihn her, die Entscheidung  darüber war unwichtig. Und wäre es auch bedeutsam gewesen, dies genau zu ermitteln, welche Maßnahmen hätte er ergreifen sollen, da er sich nicht bewegen konnte, sondern nur langsam, gewissermaßen auffallend langsam denken? Auch die Augen schienen in Blindheit unterzutauchen. Die Dunkelheit war ja nicht an das öffnen und Schließen der Lider gebunden. Der Einfachheit halber, es war ziemlich unverständlich, warum er gerade diese Lösung wählte, ließ er sie dauernd geöffnet. Ob nun die Blindheit in ihm oder die Dunkelheit außer ihm der Grund für die Schwärze war, eine Streitfrage, die ganz der anderen in bezug auf das Ohr glich. Kebad Kenya hätte sich gewiß für gestorben gehalten und als Sieger über seinen Gegner, den männlichen Engel des Todes, gefühlt; wenn dies Spinnwebnetz feinster Wahrnehmungen nicht über ihn geworfen worden wäre. Er fühlte sich aufquellen. Es war ohne jede Beunruhigung für ihn. Er nahm zu. Es war gegen die Vernunft. Er füllte den Sarg allmählich bis in die letzten Ecken aus und bekam so die Gestalt eines großen vierseitigen Prismas. Er fürchtete das Grab, den Sarg, das Gemäuer zu sprengen. Es war nicht eigentlich Furcht, nicht einmal Unbehagen; derlei Worte waren zu handfest, verankert in einer unausweichbaren Bedeutung; man mußte sie widerrufen. Erwartung einer lockeren, nicht endgültigen Überraschung. Ehe die groben Worte hinab und widerrufen waren, erlosch das eintönige halbdumpfe Erwägen einer Möglichkeit. Aber der Exzeß blieb aus. So wie Kebad Kenya zugenommen hatte, verfiel er auch wieder. Das Spinnweb, in dem er lag, teilte ihm mit, daß er jetzt einfalle, sich entblättere. Entblättere, sagte das Spinnweb. Und dürr werde. Und wie ein Baum im Winter anzuschauen sei. Daß das Knochen wären, seine, die er immer besessen, er verstand das nicht ganz richtig. Mit Kümmernis erfüllte es ihn, daß er sein Antlitz einbüßte.

Langsam wurde es ihm zur Gewißheit, sein Angesicht war fort. Es gab keine Kontrolle mehr für sein Aussehen. Er war wie jedermann. - (jah)

 

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