ngeschossen Dr. Auer verspürte ein ihm unbekanntes Gefühl. Ihm war, als werde er ein anderer. Unruhe, Atemnot befiel ihn, sein Herz klopfte stark. Aus Büchern, die er gelesen, glaubte er zu verstehen, was es sei. Es hieß: Grauen.

Fügsam näherte er sich dem daliegenden Igel, der sich auf die Seite legte, wobei er mit einen Stacheln den Bezug der Couch zürn Knistern brachte, und mit der einen Pfote zeigte er auf die betreffende Stelle. Auer tastete, indem er die Hand vorsichtig zwischen die Stacheln steckte: In Höhe der Wirbelsäule trat ein Knoten her vor, hart und groß wie eine Billardkugel.

»Mein Gott«, stieß der Staatsanwalt hervor; es war ihm klar, daß unbedingt etwas gesagt werden müsse.

Sogleich streckte der Kranke sich wieder aus und jammerte mii einem eigenartigen Stimmchen: »Die anderen auf den Wiesen spie len, die anderen auf Jagd gehen nach Würmern, die anderen herumlaufen zwischen den Blumen, und ich hier liegen auf Kissen...« Und er begann zu schluchzen.

»Immer so, immer«, sagte die Mutter mitleidsvoll. »Was für ein Jammer, der arme Junge! Los, Dorr... dem Herrn deine Geschichte erzählen... erzählen, wer mit Gewehr geschossen haben ...«

»Ein Mann gewesen sein«, flennte der Igel, »ein Mann weder groß noch klein, ein Mann wie der da«, und mit der Pfote zeigte er auf den Staatsanwalt, »auch Gesicht bißchen ähnlich sein...«

Endlich begriff Dr. Auer: Es war tatsächlich der Igel, den er vor Jahren mit seinem Tesching angeschossen hatte.

Was würde jetzt geschehen? Er erwog, davonzulaufen. Aber es war nicht einfach, bis zu der auf die Treppe hinausgehenden Tür zu gelangen. Dazu mußte der Igelvater, der ihn schweigend anstarrte und ihm den Weg versperrte, zuvor erledigt werden.

»Ach, ich nicht fertigbringe, jemandem ein Haar zu krümmen«, erklärte die Mutter. »Aber wenn ich kennen diese Kanaille, wenn ich ihr begegnen... Du, Gog, sag: Wenn du begegnen diesem Mann, was du tun?«

Nun er befragt wurde, ließ der Vater endlich seine Stimme ertönen, eine heisere, tiefe Stimme mit einem Akzent, der irgendwie an den in den Marken geläufigen erinnerte: »Ich stieße ihm meine Zähne ins Fleisch«, erwiderte er ohne Zögern, »ich weiß, wohin... und so schnell ließe ich ihn nicht wieder los, nicht so schnell!« Nach diesen Worten fletschte er die Zähne, und es blieb unklar, ob er drohen oder lachen wollte.  - Dino Buzzati, Die Maschine des Aldo Christofari. Frankfurt am Main 1985

Angeschossen ⁽²⁾  Der Entdeckungsreisende sieht Johnson achselzuckend an, aber der beachtet ihn gar nicht - er sitzt nur auf seinem Pferd und deutet wortlos mit einem Stock auf den Affenbrotbaum über ihnen. Dort oben, wie ein gehetztes Tier, hockt der Dieb, kauert etwa zehn Meter hoch auf einem knotigen Ast. Zitternd legt er den Kopf schief und läßt dann den Gegenstand fallen, den seine Faust umschlossen hielt. Einer der Männer hebt ihn auf. Es ist ein in Kork gefaßter Kompaß, der Kompaß, den Ailie Mungo zum Abschied gegeben hatte. Damit du immer den Heimweg zu mir findest, hatte sie gesagt.

„Schießen Sie, Mr. Park!" Johnsons Stimme.

Martyn, dessen Blut in Wallung ist, macht einen Refrain daraus: „Schießen Sie! Schießen Sie!"

Ganz langsam, zentimeterweise, hebt der Entdeckungsreisende die Pistole, bis er über den Lauf hinweg den erbärmlichen kleinen Kerl anstarrt, der da oben im Baum bibbert. Der Augenblick dehnt sich ewig lange aus, der Jäger und seine Beute, Gewinner und Verlierer. Klein und ausgehungert, mit nasser, fast violetter Haut, glotzt ihn der Dieb aus hoffnungslosen Augen an, aus Augen, die schon erloschen sind, über denen eine milchige Trübe liegt, wie bei geschlachteten Kälbern oder überfahrenen Hunden. Der Oberschenkel des Mannes ist kaum stärker als Mungos Unterarm. Auf der Innenseite, dicht unter dem Bauch, ist das Fleisch zerfetzt, als. wäre er in eine Maschine geraten, und an den Wundrändern kleben Haarbüschel und Erde und feuchte Blätter. Der Regen spielt eine Klagemelodie im Laub der Baume. „Schießen Sie!"   - T. Coraghessan Boyle, Wassermusik. Reinbek bei Hamburg 1990