Angesehenwerden

 Angesehenwerden (2)

- N. N.

Angesehenwerden (3)  Er ging auf das Porträt zu, um diese wunderlichen Augen näher zu betrachten, und merkte mit Schrecken, daß sie ihn wirklich ansahen. Es war keine Kopie der Natur mehr; es war jene seltsame Lebendigkeit, von der das Gesicht eines aus dem Grabe auferstandenen Toten erfüllt sein mag. War es das Mondlicht, das Träume mit sich bringt und alles in eine andere Gestalt kleidet, die den Gestalten des positiven Tages entgegengesetzt ist, oder hatte es einen anderen Grund, - jedenfalls war es ihm plötzlich, er wußte selbst nicht warum, schrecklich, allein im Zimmer zu sitzen. Er trat still vom Porträt weg, wandte sich um und bemühte sich, es nicht mehr anzusehen, aber seine Augen schielten immer wieder unwillkürlich hin. Zuletzt war es ihm sogar unheimlich, im Zimmer auf und ab zu gehen: es schien ihm, daß gleich jemand anders anfangen würde, hinter ihm auf und ab zu gehen, und er sah sich jedesmal ängstlich um. Er war niemals feige gewesen; aber seine Phantasie und seine Nerven waren sehr empfindlich, und an diesem Abend hätte er sich auch selbst seine unwillkürliche Angst nicht erklären können. Er setzte sich in einen Winkel, aber auch hier war es ihm, als würde ihm gleich jemand über seine Schulter ins Gesicht blicken. Selbst das Schnarchen Niki-tas, das aus dem Vorzimmer herüberklang, vermochte seine Angst nicht zu verscheuchen. Schließlich erhob er sich ängstlich, ohne die Augen zu heben, von seinem Platz, ging hinter den Bettschirm und legte sich aufs Bett. Durch die Ritzen im Bettschirm sah er sein vom Mondlicht erleuchtetes Zimmer und das direkt vor ihm hängende Porträt. Die Augen bohrten sich noch schrecklicher, noch bedeutungsvoller in ihn und schienen nur ihn allein anschauen zu wollen. Von einem beklemmenden Gefühl erdrückt, entschloß er sich, vom Bett aufzustehen, ergriff ein Laken, ging auf das Porträt zu und hüllte es ganz ein.

Nachdem er dies getan, legte er sich etwas beruhigt ins Bett und begann über die Armut und das elende Los des Künstlers nachzudenken und über den dornenvollen Pfad, der ihm in diesem Leben bevorstand; indessen blickten aber seine Augen unwillkürlich durch die Ritze im Bettschirm auf das in das Laken gehüllte Porträt. Das Mondlicht ließ die Leinwand noch weißer erscheinen, und es schien ihm, als fingen die schrecklichen Augen an, durch das Laken hindurchzuleuchten. Entsetzt blickte er hin, als wollte er sich überzeugen, daß es nur Einbildung sei. Aber in der Tat ... er sieht, er sieht es klar: das Laken ist nicht mehr da ... das Porträt ist ganz aufgedeckt und schaut an allem vorbei direkt auf ihn, blickt in sein Inneres ... Es wurde ihm kalt ums Herz. Und er sieht: der Alte rührt sich und stützt sich mit beiden Händen gegen den Rahmen, streckt beide Beine heraus und springt aus dem Bilde ... Durch die Ritze im Bettschirm ist nur noch der leere Rahmen zu sehen. Im Zimmer tönen Schritte.  - Nikolaj Gogol, Das Porträt. In: Petersburger Erzählungen

Angesehenwerden (4)  Dem braunen Äffchen, das auf der Schulter des Puppenspielers hockte, schien das Hergucken von Ma Jung nicht zu gefallen. Es zog die Stirn so kraus, daß sich seine straffe Gesichtshaut weiß verfärbte und sein schwarzer Schopf sich hochstellte, bleckte die Zähne, ringelte den buschigen Schwanz um seines Herrn Hals und stieß ein scharfes Zischen aus. Jetzt hob der Mann den Kopf. Belustigt sah er Ma Jung an und sagte mit tiefer, gepflegt klingender Stimme: »Wenn Ihr noch einen Becher wollt, Soldat, müßt Ihr laut rufen. Der Wirt ist im Hinterzimmer und besänftigt seine Frau. Sie ist ganz außer sich, denn aus dem Haus gegenüber hat man vor einer halben Stunde drei Tote herausgetragen.«   - Robert van Gulik, Mord nach Muster. Zürich 1989

Angesehenwerden (5) Wäre in ihrer offenkundigen Angst vor dem, was ire Herrin sagen oder tun wird und sie mit einem Blick fixierend, der allein schon vermuten lassen könnte, daß diese Olympia, deren auf den Betrachter gerichtete Pupillen gegenüber allem, was in ihrem Blickfeld liegen könnte, gleichgültig scheinen, nur dazu geschaffen ist, um angeschaut zu werden, die schwarze Kammerzofe das einzige Wesen, welches auf dem hintergrundlosen, aber geheimnisträchtigen Gemälde ein bestimmbares Gefühl erkennen läßt?

Manets Olympia

In seinem Kreis befinden sich in der Tat nur eine kühle Schönheit, die, achtlos gegen den Blumenstrauß, der ihr dargeboten wird wie einer Salome das Haupt des Täufers, so aussieht, als sei sie in ihrer absoluten Vergegenwärtigung nur da, um da zu sein, und ein Tier, die Katze, deren durch ihre starren Augen eher verborgenen als ausgedrückten Gedanken so wenig nachvollziehbar sind, daß man sich nur mit Mühe vorstellen kann, daß sie sehr wohl eine dunkle Vorstellung im Kopf hat, und sei sie auch noch so wenig artikulierbar. - (leiris2)

 

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