eitkontinuum Die von uns wahrgenommene Kontinuität der Zeit, die Einheit der Sinnesempfindungen, scheint eine Illusion zu sein. Statt des gemächlichen Gleichmaßes erleben wir ein Trommelfeuer ineinandergeschachtelter Rhythmen: elementare zeitliche Fenster von dreißig Millisekunden und Intervalle von etwa drei Sekunden, in denen aufeinanderfolgende Informationen miteinander zu einem Jetzt verknüpft werden.
Daß aus aneinandergereihten Gleichzeitigkeiten
Geschichte erwachsen kann, daß aus stroboskopartig erhellten Momenten
ein Kontinuum entsteht, läßt sich nur mit den Eigenschaften und
Fähigkeiten des Gehirns erklären. Die meisten Hirnforscher glauben, im Bewußtsein
das Sinnesorgan der Zeit gefunden zu haben. Es registriert und
speichert Ereignisse, analysiert ihren Ablauf und gibt ihnen ihre
Reihenfolge. Zeit entsteht erst im bewußten Erleben. - (kopf)
Zeitkontinuum (2) Mein Leben ? ! : ist kein Kontinuum ! (nicht bloß durch Tag und Nacht in weiß
und schwarze Stücke zerbrochen ! Denn auch am Tage ist bei mir der ein
Anderer, der zur Bahn geht; im Amt sitzt; büchert; durch Haine stelzt;
begattet; schwatzt; schreibt; Tausendsdenker; auseinanderfaltender
Fächer; der rennt; raucht; kotet; radiohört; »Herr Landrat« sagt : that's
me !): ein Tablett voll glitzernder snapshots.
Kein Kontinuum, kein Kontinuum ! : so rennt mein Leben, so die Erinnerungen
(wie ein Zuckender ein Nachtgewittcr sieht):
Flamme : da fletscht ein nacktes Siedlungshaus in giftgrünem Gesträuch : Nacht.
Flamme : gaffen weiße Sichter, Zungen klöppeln, Finger zahnen : Nacht.
Flamme : stehen Baumglieder; treiben Knabenreifen; Frauen kocken;
Mädchen schelmen blusenauf: Nacht!
Flamme : Ich : weh : Nacht ! !
Aber als majestätisch fließendes Band kann ich mein Leben nicht fühlen; nicht ich ! (Begründung). - Arno Schmidt, Aus dem Leben
eines Fauns. Zürich 1987, zuerst 1953
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