ewußtsein
So freiheraus ich das Kommende ahne, so einschnürend bewußt wird
mir mein gegenwärtiger Zustand. Dieses Bewußtwerden war ja immer schon mein
Problem. Es hat mich, sooft es dazwischentrat, mitten im Leben am Leben gehindert.
Plötzlich werde ich bewußt, und schon stockt und geht mir der Atem aus, mitten
im Satz, mitten im Leben, mitten im Aufschwung. Mein Bewußtsein hat nichts gemein
mit gleich-welcher Vernunft, mischt sich ein eher als Dämon,
zerstörerisch. Wie meine Liebe, hat es bisher noch ein jedesmal ebenso mein
Erzählen zerstört. -
Peter Handke, Mein Jahr in
der Niemandsbucht. Frankfurt am Main 1994
Bewußtsein (2) Das große Unglück der modernen
Engländer ist nicht etwa, daß sie prahlerischer als
andere Menschen sind (das sind sie nicht), es besteht darin, daß sie mit genau
den Dingen prahlen, mit denen niemand prahlen kann, ohne sie einzubüßen. Ein
Franzose kann sich damit brüsten, kühn und rational
zu sein, und kann dennoch kühn und rational bleiben. Ein Deutscher
kann sich damit brüsten, tiefsinnig und ordnungsliebend zu sein, und kann dennoch
tiefsinnig und ordnungsliebend bleiben. Ein Engländer hingegen kann sich nicht
damit brüsten, schlicht und offen zu sein, und dennoch schlicht und offen bleiben.
Diese merkwürdigen Tugenden zu kennen heißt, ihnen
den Garaus zu machen. Jemand kann ein Bewußtsein davon haben, daß er heldenhaft
oder göttlich ist, aber ein Bewußtsein der Bewußtlosigkeit kann es (allen angelsächsischen
Poeten zum Trotz) nicht geben. - Gilbert Keith Chesterton, Ketzer.
Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter. Frankfurt am Main 2004
(it 3023, zuerst 1905)
Bewußtsein (3) Ich badete mich, erzählte
ich, vor etwa drei Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals
eine wunderbare Anmut verbreitet war. Er mochte ohngefähr
in seinem sechszehnten Jahre stehn, und nur ganz von fern ließen sich, von der
Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es
traf sich, daß wir grade kurz zuvor in Paris den Jüngling gesehen hatten, der
sich einen Splitter aus dem Fuße zieht; der Abguß der Statue ist bekannt und
befindet sich in den meisten deutschen Sammlungen. Ein Blick, den er in dem
Augenblick, da er den Fuß auf den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen
großen Spiegel warf, erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch eine
Entdeckung er gemacht habe. In der Tat hatte ich, in eben diesem Augenblick,
dieselbe gemacht; doch sei es, um die Sicherheit der Grazie,
die ihm beiwohnte, zu prüfen, sei es, um seiner Eitelkeit
ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiderte - er sähe wohl Geister!
Er errötete, und hob den Fuß zum zweitenmal, um es mir zu zeigen; doch der Versuch,
wie sich leicht hätte voraussehen lassen, mißglückte. Er hob verwirrt den Fuß
zum dritten und vierten, er hob ihn wohl noch zehnmal: umsonst! er war außerstand,
dieselbe Bewegung wieder hervorzubringen - was sag ich? die Bewegungen, die
er machte, hatten ein so komisches Element, daß ich Mühe hatte, das Gelächter
zurückzuhalten: - Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick an, ging
eine unbegreifliche Veränderung mit dem jungen Menschen vor. Er fing an, tagelang
vor dem Spiegel zu stehen; und immer ein Reiz nach
dem anderen verließ ihn. Eine unsichtbare und unbegreifliche Gewalt schien sich,
wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel seiner Gebärden zu legen, und als
ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr von der Lieblichkeit in ihm zu
entdecken, die die Augen der Menschen sonst, die ihn umringten, ergötzt hatte.
-
Heinrich von Kleist, nach: Deutsche Parabeln. Hg. Josef Billen. Stuttgart 2001 (Reclam
7761)
Bewußtsein (4)
Bewußtsein (5) Ich hatte mich auf das Studium
der sogenannten »Krankheiten« des Gehirns spezialisiert, und zwar vor allem
auf die Erforschung der nervösen Störungen, der ausgesprochenen Ticks, der jedem
einzelnen Lebewesen eigenen Verhaltensweisen, die durch die Phänomene jener
kongenitalen Halluzination verursacht werden, als
welche sich in meinen Augen die überstrahlende, unausgesetzte Bewußtseinstätigkeit
darstellt. - (
mora
)
Bewußtsein (6) Wir müssen immer daran
denken, daß das Gehirn ein biologisches Organ ist ...
Bewußtsein ist ebenso ein biologischer Vorgang wie Verdauung
oder Photosynthese. - John Searle, Philosoph an der University of
California in Berkeley, nach
(kopf)
Bewußtsein (7) Erinnern wir uns an meinen Vorschlag, daß das Wesen des Bewußtseins im „Einsehen" einer notwendigen Wahrheit besteht; und daß dies vielleicht eine Art von echtem Kontakt mit der Platonischen Ideenwelt der mathematischen Begriffe darstellt. Erinnern wir uns, daß die Platonische Welt an sich zeitlos ist. Die Wahrnehmung der Platonischen Wahrheit trägt keine Information - im technischen Sinne einer „Information", die sich durch eine Nachricht übertragen läßt -, und es entstünde sogar dann kein Widerspruch, wenn eine solche bewußte Wahrnehmung sich rückwärts in der Zeit fortpflanzte!
Doch selbst wenn wir akzeptieren, daß das Bewußtsein in einer derart seltsamen
Beziehung zur Zeit steht - und daß es gewissermaßen den Kontakt zwischen der
externen physikalischen Welt und etwas Zeitlosem darstellt -, wie kann das mit
einer physikalisch determinierten und zeitlich geordneten Tätigkeit des materiellen
Gehirns zusammenpassen? Wiederum scheint für das Bewußtsein nur eine „Beobachterrolle"
übrigzubleiben, es sei denn, wir pfuschen in das normale Voranschreiten der
physikalischen Gesetze hinein. - Roger Penrose,
Computerdenken. Des Kaisers neue Kleider Oder Die Debatte um Künstliche Intelligenz,
Bewußtsein und die Gesetze der Physik. Heidelberg 1991
Bewußtsein (8) Ich badete mich, erzählte ich, vor etwa drei Jahren, mit einem jungen Mann, über dessen Bildung damals eine wunderbare Anmut verbreitet war. Er mochte ohngefähr in seinem sechszehnten Jahre stchn, und nur ganz von. fern ließen sich, von der Gunst der Frauen herbeigerufen, die ersten Spuren von Eitelkeit erblicken. Es traf sich, daß wir grade kurz zuvor in Paris den Jüngling gesehen hatten, der sich einen Splitter aus dem Fuße zieht; der Abguß der Statue ist bekannt und befindet sich in den meisten deutschen Sammlungen. Ein Blick, den er in dem Augenblick, da er den Fuß auf den Schemel setzte, um ihn abzutrocknen, in einen großen Spiegel warf, erinnerte ihn daran; er lächelte und sagte mir, welch eine Entdeckung er gemacht habe. In der Tat hatte ich, in eben diesem Augenblick, dieselbe gemacht; dock sei es, um die Sicherheit der Grazie, die ihm beiwohnte, zu prüfen, sei «s, um seiner Eitelkeit ein wenig heilsam zu begegnen: ich lachte und erwiderte - er sähe wohl Geister! Er errötete, und hob den Fuß zum zweitenmal, um es mir zu zeigen; doch der Versuch, wie sich leicht hätte voraussehn lassen, mißglückte. Er hob verwirrt den Fuß zum dritten und vierten, er hob ihn wohl noch zehnmal: umsonst! erwar außerstand, dieselbe Bewegung wieder hervorzubringen - was sag ich? die Bewegungen, die er machte, hatten ein so komisches Element, daß ich Mühe hatte, das Gelächter zurückzuhalten: -
Von diesem Tage, gleichsam von diesem Augenblick an, ging eine unbegreifliche
Veränderung mit dem jungen Menschen vor. Er fing an, tagelang vor dem Spiegel
zu stehen; und immer ein Reiz nach dem anderen verließ ihn. Eine unsichtbare
und unbegreifliche Gewalt schien sich, wie ein eisernes Netz, um das freie Spiel
seiner Gebärden zu legen, und als ein Jahr verflossen war, war keine Spur mehr
von der Lieblichkeit in ihm zu entdecken, die die Augen der Menschen sonst,
die ihn umringten, ergötzt hatte. - Heinrich von Kleist, Über das
Marionettentheater
Bewußtsein (9) Melinda betrank sich
an diesem Abend sehr. Sie führte zwei Telefongespräche, denen VIc auswich, indem
er in die Küche ging, von wo aus es unmöglich war, zu hören, was Melinda sagte.
Vic hatte das Essen gemacht; Melinda aß nur wenig. Um neun Uhr, Trixies Zubettgehzeit,
war sie bereits völlig betrunken. Inzwischen hatte Vic noch weitere psychologische
Begriffe erklärt. Es war nicht leicht, Trixie auseinanderzusetzen, was >Bewußtsein<
war, aber er machte ihr dann klar, es sei das, was Leuten fehle, die zuviel
getrunken hatten und auf dem Sofa einschliefen. -
Patricia Highsmith, Tiefe Wasser. Zürich 1976 (zuerst 1957)
Bewußtsein (10) ABT
Einmal sagt
Ihr Jakob zu mir, es wäre besser, mein Lieber, du hieltest den Körper, wenn
überhaupt etwas, für das Bewußtsein, als etwas Geistiges. Denn der Körper hat
wenigstens für eine kurze Zeitspanne Bestand. Aber alles Geistige entsteht und
vergeht in einem Augenblick. Wie ein Affe sich im Wald von Baum zu Baum schwingt,
einen Ast ergreift und wieder losläßt, um einen neuen zu packen, so entsteht
und vergeht das Geistige und das Denken. Das ist mehr als Dementia präcox! meine
Liebe. - Herbert Achternbusch, L'Etat c'est moi. Frankfurt am
Main 1972
Bewußtsein (11) Die Bewußtheit äst
nur ein kräftigeres Wahrnehmen, sei es des Körpers, sei es des Geistes: wir
blicken, hören, schmecken, tasten und denken bewußt. Auf dieser Kraft beruht
unsere Überlegenheit den Tieren gegenüber, sowie der Unterschied von Mensch
zu Mensch. Aber wir dürfen nicht, wie Helvetius und Condillac,
glauben, daß die Bewußtheit völlig in unserer Macht stehe, und vor. allem nicht,
daß sie in zwei gleich bewußten Menschen dieselben Wirkungen hervorbringe. Wieviele
Menschen gibt es, welchen die tiefste Überlegung und die gespannteste Aufmerksamkeit
nichts eintragen — ganz abgesehen von jenen, die damit nur Irrtümer ausbrüten.
- Rivarol, nach (
riv
)
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