Vortrag  Ich erhielt eine Einladung, eine Rede zu halten, diesmal vor einer revolutionären Gruppe mit vorwiegend anarchistischer Tendenz. Der Präsident sagte mir: »Auf unserer Versammlung können Sie sagen, was Sie wollen - je stärker es ist, desto besser.« Ich nahm die Einladung an und bat die Organisatoren lediglich darum, mir einen möglichst langen großen Brotlaib zu beschaffen und Riemen, um ihn zu befestigen. Am Vortragsabend erschien ich zehn Minuten vor Beginn, um über die Requisiten, um die ich gebeten hatte, Anweisungen zu erteilen. In dem kleinen Nebenraum der Vortragshalle lag ein großes Stangenbrot auf dem Tisch und daneben ein paar Lederriemen. Man fragte, ob das so meinen Wünschen entspreche. »Vollkommen. Jetzt hören Sie mir gut zu. In einem bestimmten Augenblick meiner Rede werde ich mit der Hand winken und sagen: >Bringen Sie es!< Dann müssen zwei von Ihnen auf die Bühne kommen, während ich spreche, und das Brot mit Hilfe der unter beiden Armen durchzuführenden Riemen auf meinem Kopf befestigen. Achten Sie darauf, daß das Brot waagerecht liegt. Sie müssen diesen Vorgang äußerst ernsthaft ausführen, ja, sogar fast etwas unheimlich.«

Ich war provozierend elegant gekleidet, und als ich auf die Bühne trat, bereitete man mir einen stürmischen Empfang. Die Pfiffe und Sticheleien gingen allmählich in »organisiertem« Beifall unter, und dann rief jemand: »Laßt ihn erst mal sprechen!«

Ich sprach. Und zwar stimmte ich diesmal keine begeisterte Lobeshymne auf den Marquis de Sade an, sondern hielt einfach eine Rede irrationaler und dichterischer Art, in der gelegentlich die gröbsten Obszönitäten aufblitzten. Diese Ungeheuerlichkeiten, die noch nie jemand in der Öffentlichkeit gehört hatte, gab ich auf die sachlichste und beiläufigste Art von mir, was ihren wüsten und peinlich pornographischen Charakter nur verstärkte. Ein unüberwindliches Unbehagen bemächtigte sich der Zuhörerschaft, lauter sentimentale, humanitäre Anarchisten, die zumeist ihre Frauen und Töchter mitgebracht hatten - weil sie sich sagten: Heute wollen wir uns mal amüsieren und uns die Verschrobenheiten Dalis anhören, dieses sympathischen, kleinbürgerlichen Ideologen, von dem wir schon so viel gehört haben und der ja die Gabe hat, seinesgleichen ein Wutgeheul anstimmen zu lassen.

Plötzlich unterbrach mich mit lauter Stimme ein hagerer, finster dreinschauender Anarchist, asketisch-schön wie ein heiliger Hieronymus, und erinnerte mich sehr würdevoll daran, daß wir nicht in einem Hurenhaus seien und daß unter den Zuhörern auch ihre »Frauen« säßen. Ich antwortete ihm, ein Anarchistenzentrum sei ja wohl keine Kirche. Außerdem, sagte ich, sei die von mir am höchsten geschätzte Person meine Frau, und da sie zugegen sei und zuhöre, sähe ich keinen Grund, warum ihre Frauen nicht ebensogut zuhören könnten. Für einen Augenblick stellte ich mit dieser Antwort meine Autorität wieder her, dann jedoch gab ich eine Reihe neuer Obszönitäten von mir, diesmal durch den mir eigenen Realismus verstärkt und noch dazu blasphemisch, so daß die Halle wie ein Löwe brüllte und ich nicht sagen konnte, ob vor Vergnügen oder vor Wut.

Jetzt war für mich psychologisch der richtige Augenblick gekommen, und mit einer ungeduldigen Handbewegung gab ich das verabredete Zeichen, »es mir zu bringen«. Alle Blicke richteten sich dorthin, wohin ich gewinkt hatte, und das Erscheinen zweier Personen, die das Brot und die Riemen trugen, löste eine Überraschung aus, die all meine Hoffnungen überstieg. Während das Brot auf meinem Kopf befestigt wurde, schwoll der Tumult so sehr an, daß nur noch ein allgemeiner Aufruhr folgen konnte. Als das Brot endlich auf meinem Kopf festgezurrt war, fühlte ich mich plötzlich von der allgemeinen Hysterie angesteckt und begann mit Stentorstimme mein berühmtes Gedicht von dem »verwesten Esel« zu rezitieren. Da bekam ein anarchistischer Arzt mit einem krebsroten Gesicht und einem weißen Bart, der an eine Allegorie von Böcklin erinnerte, einen regelrechten Tobsuchtsanfall. Später hörte ich, dieser Mann, der tollwütig und Alkoholiker sei, bekomme häufig solche Anfälle, wenn auch nie so stark wie an jenem Abend. Vergeblich versuchten alle, ihm Einhalt zu gebieten. Ein Mann umklammerte seine Beine, während andere Kopf und Arme festhielten. Es nützte nichts. In seinem Krampf und Delirium tremens von unbezähmbarer Kraft gelang es ihm immer wieder, eins seiner Beine freizubekommen und mit einem gewaltigen Tritt eine ganze Gruppe jener schwarzen, schwitzenden Anarchisten, die um die Wiederherstellung der Ordnung kämpften, über den Haufen zu stoßen. Nach meiner obszönen Tirade, die noch in aller Ohren klang, meinem Auftritt mit dem Brot auf dem Kopf und dem Wahnsinnsanfall des alten Arztes endete der Abend in einem unvorstellbaren Chaos.

Die Organisatoren der Veranstaltung hatten ihren Spaß. »Sie sind ja ein bißchen weit gegangen«, sagten sie zu mir, »aber es war sehr gut.«  - (dali)

 

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