narchisten Während Joes zweitem Trip an Bord der Leif Erikson machten sie den ganzen langen Weg bis nach Afrika, wo Hagbard eine wichtige Konferenz mit fünf Gorillas hatte. Jedenfalls sagte er hinterher, daß sie wichtig gewesen sei; Joe konnte das nicht beurteilen, da die Unterhaltung auf Suaheli geführt wurde. «Sie sprechen ein wenig Englisch», erklärte Hagbard zurück an Bord, «aber ich ziehe Suaheli vor, da sie darin gewandter sind und besser nuancieren können. »
«Bist du der erste Mensch, der einem Affen das Sprechen lehrt», fragte Joe, «neben all deinen anderen Fertigkeiten?»
«Oh, nein», sagte Hagbard bescheiden. «Das ist ein altes Geheimnis der Diskordier. Der erste Mensch, der mit einem Gorilla kommunizierte, war ein erisischer Missionar namens Malaclypse der Ältere, der in Athen geboren und später ins Exil geschickt wurde, weil er sich der Auflage der Vorherrschaft des Mannes widersetzte, als die Athener das Patriarchat einführten und ihre Frauen einsperrten. Also machte er sich auf die Wanderschaft durch die ganze alte Welt, lernte allerlei Geheimnisse und hinterließ eine unschätzbare Sammlung der aufregendsten Legenden; er ist der Phönix Madman in den Schriften des Konfuzius; auch brachte er es fertig, als Krishna durchzugehen und aus der Bhagavadgita, aus jener prachtvollen Bibel revolutionärer Ethik vor Arjuna, in Indien, zu rezitieren. Das neben anderen großen Taten. Ich glaube, du hast ihn in Chicago getroffen, als er vorgab, der christliche Teufel zu sein.»
«Aber wie habt ihr Diskordier es fertiggebracht, die Tatsache, daß Gorillas sprechen können, zu verheimlichen?»
«Wir sind eher schweigsam, könnte man sagen, und wenn wir schon mal reden, dann gewöhnlich, um jemanden hereinzulegen oder ihn ausflippen zu lassen ... »
«Das habe ich schon mitgekriegt», sagte Joe.
«Und die Gorillas selbst sind zu gescheit, zu irgend jemand anderem
als zu anderen Anarchisten zu sprechen. Weißt du, sie sind alle selbst
Anarchisten und sie lassen den Menschen gegenüber im allgemeinen, und Regierungsleuten
im besonderen, eine gesunde Vorsicht walten. So sagte mir einmal einer:
«Manchmal verwirren mich deine theologischen - oder waren es psychologische? - Redewendungen immer noch. Die aneristischen Kräfte, vor allem die Illuminaten, sind Struktur-Freaks: sie wollen ihr Ordnungskonzept jedem anderen auferlegen. Noch mehr verwirren mich die Unterschiede zwischen den Erisiern, den Eristikern und den Diskordiern. Von den JAMs ganz zu schweigen.»
«Das Eristische ist der Gegensatz zum Aneristischen», erklärte Hagbard
voller Geduld, «und deshalb miteinander identisch. Erinnere dich des Hodge-Podge.
Autoren wie De Sade, Max Stirner und Nietzsche sind
Eristiker; ebenso die Gorillas. Sie repräsentieren die totale Vorherrschaft
des Individuums, die totale Negation der Gruppe. Das bedeutet nicht unbedingt
den Krieg aller gegen alle, wie die aneristischen Philosophen es sehen,
in Stress-Situationen kann es aber dahingehend ausarten. Meistens bleibt
es aber ziemlich friedlich, wie unsere behaarten Freunde in den Bäumen
dort drüben beweisen. Die erisische Position ist eine gemäßigte; sie erkennt
an, daß die aneristischen Kräfte auch einen Teil des Weltdramas darstellen
und niemals völlig abgeschafft werden können. Wir betonen das Eristische
bloß als Balance, weil die menschliche Gesellschaft das ganze Fische-Zeitalter
hindurch in grotesker Weise zum Aneristischen gekippt ist. Wir Diskordier
sind die Aktivisten innerhalb der eristischen Bewegung; wir unternehmen
etwas. Die reinen Erisier arbeiten mit mehr mystischen Methoden, und das
in Übereinstimmung mit dem taoistischen Prinzip
des wu-wei - effektiv nichts zu tun. Die JAMs bilden den linken
Flügel, sie hätten Aneristiker werden können, hätte es nicht außergewöhnliche
Umstände gegeben, die sie in eine liberale Richtung drängten. Aber sie
haben mit ihren typischen linken Haßtrips alles vermasselt. Sie haben die
Gita nicht begriffen: die Kunst, mit Liebe
im Herzen zu kämpfen.» -
(
ill2
)
Anarchist
(2)
Der Anarchist Reicht mir in der Todesstunde Mögt ihr sinnlos euch berauschen, Einen Sohn wird sie gebären, |
- Frank
Wedekind,
Ich hab meine Tante geschlachtet. Frankfurt
am Main 1982 (it 655)
Anarchist
(3) Meiner
Meinung nach ist Heliogabal kein Wahnsinniger,
sondern ein Aufrührer.
1. Gegen die polytheistische römische Anarchie.
2.
Gegen die römische Monarchie, die er sich in den Hintern
gesteckt hat.
Doch die beiden Revolten, diese zwiefache Auflehnung vermengt sich in ihm, prägt sein gesamtes Verhalten, beherrscht während seiner vierjährigen Regierungszeit alle seine Handlungen, selbst die unbedeutendsten.
Seine Auflehnung ist systematisch und scharfsinnig, und er richtet sie zuallererst gegen sich selbst.
Verkleidet sich Heliogabal als Lustknabe und verkauft sich für ein paar Groschen vor den christlichen Kirchen und vor den Tempeln der römischen Götter, so hat er es nicht nur auf die Befriedigung eines Lasters, sondern auf die Demütigung des römischen Monarchen abgesehen.
Setzt er einen Tänzer an die Spitze seiner Prätorianergarde, verwirklicht er dadurch eine Art unbestreitbare, aber gefährliche Anarchie. Er verspottet die Feigheit der Monarchen, seiner Vorgänger Antoninus und Marcus Aurelius, und äußert die Meinung, als Befehlshaber einer Polizeitruppe genüge ein Tänzer vollauf. Er nennt Schwäche Stärke und Theater Wirklichkeit. Er bringt die überkommene Ordnung, die Ideen, die einfachsten Vorstellungen von den Dingen durcheinander. Er betreibt eine gründliche Anarchie, die gefährlich ist, da er sich aller Augen aussetzt. Kurz, er riskiert seine Haut. Und so gehört sich's für einen mutigen Anarchisten.
Schließlich führt er seine Absicht einer Minderung der Werte, einer
ungeheuren moralischen Zersetzung weiter, indem er seine Minister nach
der Länge ihres Gliedes auswählt. - Antonin Artaud, Heliogabal oder
Der Anarchist auf dem Thron. München, Frankfurt am Main 1980 (zuerst 1967)
Anarchist
(4) »Den
kenne ich«, sagte er. »Das ist ein grimmiger Anarchist, den sie im Prager
Tagblatt als Kuriosität aushalten.« »Sie nehmen die tschechischen Anarchisten
nicht ernst?« Kafka lächelte verlegen.
»Das ist sehr schwer. Diese Leute, die sich selbst Anarchisten nennen, sind so lieb und freundlich, daß man ihnen jedes Wort glauben muß. Gleichzeitig aber kann man ihnen - eben wegen dieser ihrer Eigenschaften - nicht glauben, daß sie wirklich solche Weltzerstörer sein könnten, wie sie behaupten.«
»Sie kennen sie also persönlich?« »Ein wenig. Es sind sehr liebe, lustige
Menschen.« - Gustav Janouch,
Gespräch
e
mit
Kafka
. Aufzeichnungen
und Erinnerungen. Frankfurt am Main 1981 (Fischer Tb. 5093, zuerst 1954)
Anarchisten
(5)
Anarchisten, seid Ihr Geister Aus der Hölle tiefsten Gründen? Ist der böse Euer Meister, Wollt die Menschheit Ihr anzünden? Bringt Ihr eine Feuerflut? Wie der Wahn Euch auch betöre, Scheußlicher ist: Feuer zünden, Gift und Mord und Feuerbrand Kehrt zurück zu Recht und Ehre, |
- Friederike
Kempner
Anarchist
(6) Scheidecker
sah nicht nur degeneriert aus, er war es auch. Er hatte von seiner frühesten
Jugend an ein ausschweifendes Leben geführt. Der Anarchismus war bei ihm
auch nur ein sexueller Reiz, und so ist es gar nicht zu verwundern, daß
ein halbes Jahr Untersuchungshaft ihn gänzlich barch. Um sich aus
dem Gefängnis zu retten, verriet er alle seine Kameraden, von denen er
irgend ein Vergehen wußte. ja, er log sogar noch einiges dazu.Es kamen
dadurch einige Dutzend in der Schweiz lebende Anarchisten ins gefängnis.
Darunter auch solche, die Freunde Scheideckers
waren und ihm vollkommen vertraut hatten. Auch
solche, die zu den anständigsten Menschen gehörten, denen ich jemals begegnet
bin. Als man ihn später der Schweiz auslieferte, wurde er wahnsinnig und
saß einige Jahre im Zürcher Irrenhaus, wo er an religiösen Visionen litt.
- (
szi
)
Anarchist
(7) Wir kamen
in ein angeregtes Gespräch; Mühsam begleitete mich
auf dem Heimwege. Er war Bohemien vom Schlage Peter Hilles, weltfremder Anarchist,
verworren, kindlich-gutmütig; es gehörte nicht viel Menschenkenntnis dazu, das
auf den ersten Blick zu sehen. Er hatte das Unglück gehabt, mit der politischen
Praxis in Berührung zu kommen, für die er denkbar ungeeignet war, galt als gefährlicher
Literat; sein Name wurde mit den Münchener Geiselmorden verquickt. Gerade darauf
kam er auf dem Untergrundbahnhof am Gleisdreieck zu sprechen, wo wir den Zug
erwarteten. Er redete in flatterndem Mantel wild, beinahe schreiend auf mich
ein, so daß sich die Passanten nach der seltsamen Erscheinung umwandten, die
an einen großen unbeholfenen Vogel erinnerte. Wir tauschten einige Briefe, bis
kurz vor seiner Verhaftung; schreckliche Gerüchte sickerten bald über sein Schicksal
durch. - Ernst Jünger, Strahlungen. Notat vom 24. August 1945
Anarchist
(8) Der Held,
der mit richtigem Namen Syme heißt, ist ein Geheimagent, der in einen zwielichtigen
Anarchistenverein eingeschleust wird, dessen Anführer, sieben an der Zahl, jeder
den Namen eines Wochentags annehmen; ihm fällt der Donnerstag zu. Bei einer
Versammlung, in der über einen Terrorakt entschieden werden soll, wird einer
als Spitzel enttarnt: der Dienstag. Dieser Spitzel gehört derselben Geheimdienstorganisation
an wie Donnerstag. Dann stellt sich heraus, daß auch Freitag ein Spitzel und
ebenfalls Mitglied derselben Organisation ist. Und am Ende erweisen sich alle
als Spitzel, einschließlich Sonntag, der sie als Spitzel angeheuert und als
Anarchisten befehligt hatte. - Leonardo Sciascia,
Schwarz auf schwarz. München 1991 (dtv 11328, zuerst 1979)
Anarchist
(9) Herzen
spricht von Bakunin, von seinen elf Gefängnis-Jahren,
in denen er an die Mauer geschmiedet war, von seiner Flucht in Sibirien über
den Amur, von seiner Rückkehr über Kalifornien, seiner Ankunft in London, wo
er, nachdem er Herzen umarmt, beschnuppert, benetzt hatte, als erstes Wort sagte:
»Gibt es hier Austern?« - (
gon
)
Anarchist
(10) Wenn man
nur wüßte, warum man sich darauf versteift, nicht von der Einsamkeit geheilt
zu werden. Während des Krieges habe ich im Spital einen Burschen kennengelernt,
der Korporal war und mit dem ich mich über derlei Gefühle unterhalten habe.
Schade, daß ich diesem Jungen nie mehr begegnet bin! «Die Erde ist tot.... Wir
sind nur Würmer auf ihrem ekelhaften Riesenleichnam,
die ihr beständig an den Eingeweiden nagen... Nichts ist mit uns anzufangen
... Wir alle sind von Geburt an verfault...»
Was nicht hinderte, daß man diesen Philosophen eines
Abends schleunigst an die Basteimauer schaffte, Beweis, daß er einen Schuß Pulver
wert war. Es mußten ihn sogar zwei wegführen. Ein großer und ein kleiner. Ich
erinnere mich noch genau daran. Das Kriegsgericht bezeichnete ihn als Anarchisten.
- (
reise
)
Anarchist
(11) Für
gewöhnlich hatte er eine sanfte Stimme, aber wenn er das Thema ›Kapitalismus‹
anschnitt, dann wurde sie schrill. Er griff die Anarchisten, die sich nur mit
Propaganda beschäftigten, heftig an. Er glaubte nur an Terror. Seine Frau kam
meistens mit und hörte ihm zu, aber ich glaube, sie nahm ihn nicht sehr ernst.
Sie war kaum größer als er, dunkel, anziehend. Sie trug langes Haar, in einem
Knoten aufgesteckt, nicht kurz geschnitten wie die Anarchistinnen. Wenn sie
lächelte, erschien ein Grübchen in ihrer linken Wange. Oft trug sie einen Faltenrock
und eine Bluse mit hohem Kragen. Maurice wetterte gegen Rockefeller, und sie
saß auf einer Bank hinten im Raum und gähnte. Manchmal brachte sie auch ihr
Strickzeug mit. -
Isaac Bashevis Singer, Eigentum. In: I.B.S., Der
Kabbalist
vom East Broadway.
München 1978 (zuerst 1972)
Anarchist
(12) Ravachol,
so genannt, weil er lesen konnte und von Zeit zu Zeit mit einem einzigen Satz
eine sehr simple und stets die gleiche anarchistische Idee darlegte. Nach einer
langen Reihe von Dienstjahren hatte er sich in Tonkin die Syphilis geholt und
ein Fieber, durch welches er halbseitig gelähmt blieb. Er lag bereits das dritte
Jahr im Lazarett und sah seiner Pensionierung erster Klasse wegen Kriegsversehrtheit
entgegen. Die Behörde versuchte, auf eine post-syphilitische Hemiplegie zu befinden
und, in Ermangelung eines Bessern, zumindest die Einziehung seiner Papiere und
seine Ausweisung aus dem Hospital zu erwirken.
Einmal spielte sich folgendes ab: Ravachol stützte sich mit seinem äußeren Knochengerüst aus vertrackten Krücken an einem Eckstein ab, zog das Käppi und bettelte:
»Ein Elsässer, in Tonkin verwundet...«
Ein Vertreter der Behörde ließ ihn wieder einweisen.
Philippe gab Ravachol zwei Louisdor. Herausstaffiert als alter Kämpe zog
er mit einem Krankenpfleger los, in einen Soldatenpuff; stellte auch dem Pfleger
fünf Francs in Aussicht, damit er ihn, so wie im Saal der Fieberkranken auf
sein Bett, auf die Frau lege und, auf militärische Kommandos hin, kräftig seine
gelähmten Lenden bewege. - Alfred Jarry, Tage und Nächte. Roman eines Deserteurs.
Frankfurt am Main 1998 (zuerst 1897)
Anarchist
(13) Gegen
Ende seines Lebens besaß Jacob in
der Nähe von Orléans ein kleines Häuschen. Er war unter den Kindern der
Nachbarschaft bekannt und beliebt für seine selbstgebackenen Kuchen. 1954,
als er seine Kräfte nachlassen fühlte, vergiftete er seinen Hund und sich
selbst mit Morphium, nachdem er sein ganzes Haus geputzt hatte. Er wurde
75 Jahre alt.
- Léo Malet, Stoff für viele Leben. Autobiographie. Hamburg
1990 (Edition Nautilus)
Anarchist
(14) Der
unklare Idealismus des Anarchisten, seine Güte ohne Mitleid oder auch sein
Mitleid ohne Güte, macht ihn brauchbar nach vielen Richtungen, auch für
die Polizei. Er ahnt allerdings ein Geheimnis, doch vermag er es nur zu
ahnen: die ungeheure .Macht des Einzelnen. Sie berauscht ihn; er verschwendet
sich wie eine Motte, die im Licht verbrennt. Das Absurde, das dem Attentat
anhaftet, liegt nicht im Täter und seinem Selbstbewußtsein, sondern in
der Tat und ihrer Verknüpfung mit der flüchtigen Situation. Der Täter hat
sich zu billig verkauft. - Ernst Jünger, Eumeswil.
Stuttgart 1977
Anarchist
(15) Ramón
Acín war überzeugter Anarchist. Er gab Abendkurse für Arbeiter in Zeichnen.
Als 1936 der Krieg ausbrach, erschien bei ihm in Huesca ein bewaffneter Trupp
von Rechtsradikalen und wollte ihn festnehmen. Es gelang ihm zu entkommen. Darauf
bemächtigten sich die Faschisten seiner Frau und drohten, sie zu erschießen,
wenn Acín sich nicht stelle.
Am nächsten Tag tat er es, und beide wurden erschossen. - Luis Buñuel, Mein letzter Seufzer. Berlin, Wien, Frankfurt am
Main 1985