Trauerhaus  Die Kahlköpfe waren mit ihren Gedanken immer noch bei der schönen jungen Witwe. Als die Mittagspause um war, während der sie sich ins Kloster zurückbegeben hatten, um dort ihr frugales Mahl einzunehmen, traf es sich, daß einer von ihnen früher als die andern wieder im Trauerhaus anlangte. Zufällig befand sich der Raum, wo die Priester ihren liturgischen Dienst erledigten, unmittelbar neben der Schlafkammer der jungen Witwe. Es war nur eine dünne Holzwand dazwischen. Also der betreffende Priester war eben an einen Wasserkübel, der dicht unter dem Kammerfcnster stand, herangetreten, um sich die Hände zu waschen. Da vernahm er von nebenan ein verdächtiges Bibbern und Keuchen, Seufzen und Stöhnen, Ächzen und unterdrücktes Kreischen, kurz jene untrüglichen Begleitgeräuschc eines Beischlafs. Scheinbar die Hände waschend, rührte er sich nicht vom Fleck und lauschte. Und da drangen auch ganz deutlich abgerissene Worte, von einer weiblichen Stimme gestöhnt,  an sein Ohr wie:

»Ta ta! .. . Vorsicht, du tust mir weh! . .. Ach, sie werden gleich wiederkommen und uns hören ... laß mich!  rasch weg!. . .« Und dann eine männliche Stimme: »Keine Bange!. .. den  Ofendeckel auf, ich muß mir schnell noch eins abbrennen . . .«  - Kin Ping Meh oder Die abenteuerliche Geschichte von Hsi Men und seinen sechs Frauen. Frankfurt am Main 1970 (zuerst ca. 1610, Wang Schi Tschong zugeschr.)

Trauerhaus  (2)  Ich nahm ihn bei der Hand und wirbelte ihn um mich herum. Dann baute ich ihn vor mir auf, legte die Hände auf seine Hüften und schob ihn vor mir her, dirigierte ihn leicht und geschickt über den Boden. Schließlich gab ich ihm einen tüchtigen Schubs und ließ ihn auf den Rollschuhen bis ans Ende des Raumes sausen. .

«Und nun werde ich dir mal etwas vorholländern», sagte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und hob abwechselnd die Beine in die Luft. Der Gedanke, daß Mona nie im Leben ahnen würde, was ich in diesem Augenblick tat, bereitete mir eine diebische Freude. Während ich an dem kleinen Juan, der jetzt in das Schauspiel vertieft auf dem Fensterbrett saß, immer wieder vorbeiglitt, schnitt ich Grimassen - zuerst traurig und trübselig, dann heiter, dann unbekümmert, dann nachdenklich, dann finster, dann drohend und schließlich idiotisch. Ich kitzelte mich in den Achselhöhlen wie ein Affe. Ich tanzte wie ein dressierter Bär. Ich kauerte mich zusammen wie ein Krüppel. Ich sang in einer verrückten Tonart, schrie wie ein Irrer. Runde um Runde, pausenlos fröhlich, frei wie ein Vogel. Juan schloß sich mir an. Wir glitten umeinander herum wie Tiere, verwandelten uns in tanzende Mäuse, mimten Taubstumme.

Und die ganze Zeit dachte ich an Mona, wie sie in dem Trauerhaus umherging, auf ihr Trauerkleid, ihre schwarzen Handschuhe und was weiß ich noch wartete.

Runde um Runde der Sorglosigkeit. Ein wenig Kerosin, ein Streichholz - und wir würden m Flammen aufgehen wie ein brennendes Karussell. Ich schaute auf Juans Hinterkopf - er war wie trockener Zunder. Ich hatte ein unsinniges Verlangen, ihn anzuzünden, ihn in Flammen zu setzen und den Liftschacht hinuntertrudeln zu lassen. Dann zwei oder drei wilde Touren ä la Breughel - und hinaus zum Fenster!

Ich beruhigte mich ein wenig. Nicht Breughel, sondern Hierony-mus Bosch. Eine Saison in der Hölle, inmitten der Fallen und Schlingen mittelalterlichen Denkens. Bei der ersten Runde reißen sie einen Arm aus. Bei der zweiten ein Bein. Schließlich rollt nur noch ein Torso herum. Und die Musik tönt mit schwirrenden Saiten. Die eiserne Harfe von Prag. Eine tiefliegende Straße in der Nähe der Synagoge. Ein trauriges Glockengeläute. Das heisere Wehklagen einer Frau.

Nicht mehr Bosch, sondern Chagall. Ein Engel in Zivil schwebt schräg auf das Dach herab. Schnee auf dem Boden, und in den Rinnsteinen kleine Fleischbrocken für die Ratten. Krakau im violetten Licht der Vernichtung. Hochzeiten, Geburten, Beerdigungen. Ein Mann mit einer Geige, die nur eine Saite hat. Die Braut hat den Verstand verloren, sie tanzt mit gebrochenen Beinen.

Runde um Runde, läutende Türglocken, läutende Schlittenglöcl chen. Die kosmokokkische Runde von Kummer und Schlägen. Aj meinen Haarwurzeln ein Hauch von Frost, in meinen Zehenspitze Feuer. Die Welt ist ein Karussell in Flammen, die Holzpferde verbrennen bis zu den Hufen. Ein kalter, steifer Vater liegt auf einem Federbett. Eine Mutter, grün wie die Gangrän. Und der Bräutigam rollt umher.

Zuerst begraben wir ihn im kalten Boden. Dann wollen wir seine Namen, seine Legende, seine Papierdrachen und seine Rennpferde begraben, Und für die Witwe ein Freudenfeuer, eine Wiener Witwenverbrennung. Ich werde die Tochter der Witwe heiraten - in ihrem Trauerkleid und ihren schwarzen Handschuhen. Ich will Buße tun und Asche auf mein Haupt streuen ...

Runde um Runde .., nun die Acht. Nun das Dollarzeichen. Jetztt den Doppeladler. Ein wenig Kerosin und ein Streichholz, und ich würde in Flammen aufgehen wie ein Chnstbaum.

«Mr. Miller! Mr. Miller!» ruft Juan. «Mr. Miller, hören Sie auf! Bitte, hören Sie auf!«

Der Junge sieht erschrocken aus. Warum starrt er mich so an?

«Mr. Miller», sagt er und hält mich am Rockschoß fest, «bitte lachen Sie nicht so. Bitte, ich habe Angst um Sie.»  - Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980

Trauer Haus


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