euchen    »Sie haben ihn kommen hören?«

»Es hat länger als eine Stunde gedauert... Ich glaube, ich bin für einen Augenblick eingedämmert... Dann habe ich den Parkettboden im Korridor knarren hören... Ich habe mich in meinem Bett aufgesetzt...«

»War Ihre Tür nicht abgeschlossen?«

»Sie hatte wie die meisten Türen im Haus keinen Schlüssel, und das Schloß funktionierte schon lange nicht mehr... Ich hatte den Eindruck, daß jemand am Türknopf drehte, und dann bin ich leise aufgestanden und habe mich einen Meter vom Bett entfernt an die Wand gedrückt.«

»Brannte Licht im Flur?«

»Nein. Es ist jemand hereingekommen. Ich konnte nichts sehen. Ich fürchtete, zu schnell zu schießen, und war sicher, nicht zu treffen...«

Es hielt sie nicht länger auf ihrem Stuhl. Stehend fuhr sie fort, und zwar nicht mehr zum Richter, sondern zu Maigret gewandt:

»Ein merkwürdiges Keuchen näherte sich. Ein Körper hat mich fast berührt. Ich bin überzeugt, daß sich ein Arm gehoben hat, um auf die Stelle im Bett zu schlagen, an der mein Kopf hätte liegen müssen. Und da habe ich, ohne zu überlegen, auf den Abzug gedrückt...« - Georges Simenon, Maigret und die widerspenstigen Zeugen. Zürich 1999 (detebe 20716, zuerst 1959)

Keuchen (2) Wir konnten es daherstampfen hören, aber wir sahen es erst, als es ganz nahe war. Es steuerte genau auf uns zu. Das machen die Dampfboote oft und versuchen, wie nahe sie herankommen können, ohne anzustoßen; manchmal knackt die Schraube ein Ruder weg, und dann steckt der Steuermann den Kopf raus und lacht und kommt sich wer weiß wie großartig vor. Na, da kam es heran, und wir dachten, es wollte versuchen, uns zu barbieren; aber es schien auch nicht eine Spur abzugieren. Es war ein großes Ding, und es kam eilig daher, wie eine schwarze Wolke mit Reihen von Glühwürmchen ringsherum; aber auf einmal schwoll es mächtig an, riesengroß und furchtbar und hing mit einer langen Reihe weitoffener Feuertüren, die wie rotglühende Zähne funkelten, und mit seinem ungeheuren Bug und dem Radkasten gerade über uns. Ein Schrei gellte zu uns herunter, Glocken schrillten, um die Maschinen zu stoppen, Flüche hagelten, und Dampf zischte - und während Jim auf der einen und ich auf der andern Seite über Bord ging, knirschte es geradewegs über unser Floß weg.

Ich tauchte - und versuchte, auf den Grund zu kommen, denn eine dreißig Fuß tiefe Schraube mußte über mich weg, und ich wollte ihr möglichst viel Platz lassen. Ich konnte es sonst immer eine Minute lang unter Wasser aushallen; diesmal aber blieb ich wohl anderthalb Minuten unten. Dann schoß ich schleunigst an die Oberfläche, denn ich war fast am Zerspringen. Bis zu den Achselhöhlen schnellte ich aus dem Wasser, schnaubte das Wasser aus der Nase und keuchte ein bißchen. Natürlich ging hier eine reißende Strömung; und natürlich hatte der Dampfer zehn Sekunden, nachdem er sie gestoppt, die Maschinen wieder angestellt, denn mit Flößern macht man nicht viel Umstände; so keuchte er schon weiter den Fluß hinauf, längst außer Sicht bei dem trüben Wetter, wenn ich ihn auch noch hören konnte.  - Mark Twain, Huckleberry Finn. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)

Keuchen (3)    Als Kind auf dem Land hatte ich einmal einen Bauernburschen oder was er war auf der Flucht vor den Gendarmen erlebt. Er flüchtete auf einem Steig an mir vorbei bergauf, und von seinen Verfolgern waren vorderhand nur deren »Halt!«-Schreie zu bemerken. Heute noch sehe ich das Gesicht des Gejagten vor mir, rotgeschwollen, und seinen Körper, der wie geschrumpft ist, mit umso länger an ihm baumelnden Armen. Doch stärker geht mir nach, was mir von ihm im Ohr geblieben ist. Das war mehr und weniger als ein Keuchen. Es war auch mehr und weniger als ein Pfeifen, das ihm aus den Lungenflügeln brach. Zudem konnte von Lungen oder gar Flügeln keine Rede sein. Das Geräusch, das ich im Ohr habe, schallt oder stiebt von dem ganzen Menschen weg, und nicht etwa aus dessen Innerem, sondern von seiner Oberfläche; seinem Äußeren; von jeder einzelnen Hautstelle oder Pore. Und es kommt auch nicht von dem bestimmten Menschen allein, sondern von einer Mehrzahl, einer großen — einer Überzahl, und nicht bloß im Verhältnis zu den spürbar ihm näherrückenden brüllenden Verfolgern, sondern auch zu den stillen ländlichen Naturdingen im Umkreis. Dieses Schwirren und Vibrieren, so klar es dem Gehetzten auch aus dem letzten Loch dringt, hat für mich etwas Übermächtiges behalten, als eine Art von Grundgewalt. - Peter Handke, Don Juan (erzählt von ihm selbst) Frankfurt am Main 2004 (st 3739)

Keuchen (4)  In meinem Zimmer erscheint mit schleifenden Schritten ein dünner, etwa 50jähriger Mann in einem raschelnden Anzug. Quietschende Schuhe bringen ihn bis vor meinen Schreibtisch. Nicht einmal im Vergleich zu mir ist er besonders groß.

»Darf ich mich setzen?« keucht er.

»Aber ja«, sage ich großzügig. »Atmen Sie sich in Ruhe aus, dann sagen Sie, was Sie wollen.«

Über der faltigen Stirn trägt der Mann ein Büschel Kunsthaare. Immerhin dürfte es von besserer Qualität und in der Dusche abnehmbar sein.

»Ich suche Herrn Mann.«

»Sinnlos. Es gibt keinen.«

»Wer leitet die Kanzlei?«

»Frau Mann.«

Die Demütigung ist noch nicht zu Ende. »Ihre Mutter?«

»Ich!«

»Draußen steht doch M. Mann.«

»M. heißt eben nicht Manfred, Moritz oder Magnus.«

»Aha«, sagt mein verständnisloser Besucher. Er atmet weiterhin schwer, bleibt mir aber erhalten.

Ich fasse mich kurz: »Überwachen oder suchen?«

»Suchen.«

»Ihre Frau?« rate ich, weil er nicht weiterredet.

»Ja. Sie ist untergetaucht.«

»Warum?«

»Weil sie es mir gesagt hat. Und sie macht immer, was sie sagt.«

»Name?«

»Markus Herzer.«

»Der Ihrer Frau?«

»Marianne.«

»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«

»Gestern«, stöhnt er.

»Haben Sie ein Bild von ihr?«

»Kein Bild.«

»Warum gehen Sie nicht zur Polizei?«

»Ich mag keine Polizei, kann keine Polizei brauchen, und zu früh wäre es auch.«

»Haben Sie einen Verdacht, wo Ihre Frau sein könnte?«

»Ich wäre nicht hier, wenn ich einen hätte. Haben Sie eine Zulassung?«

»Selbstverständlich. Mit Datum und Stempelmarke. Haben Sie Ihre Schecks mit?«

Er nickt, holt ein braunes Schecketui aus der linken Innentasche, zieht einen Scheck heraus, beginnt ihn mit einem meiner grünen Rollstifte auszufüllen. Den Betrag läßt er aus. Soll mir recht sein.

»Warum wollen Sie Ihre Frau unbedingt zurückhaben?«

»Hab ich gesagt, daß ich sie zurückhaben will?«

Der aufgeregte Satz bringt ihn noch einmal zum Keuchen.

»Was soll ich dann machen mit ihr, wenn ich sie gefunden habe?«

»Bei ihr bleiben und mich anrufen. Ich will sie nur treffen. Falsch: ich muß.«

»Auf ein letztes Gespräch?«

»Richtig. Ich bringe sie um.«

Mitten in der Unterschrift bricht er ab und läßt den Stift aus. Seine runden Augen schauen durch mich durch und durchs polierte Fenster bis zum Stephansdom. Sein Kopf poltert auf den Schreibtisch, dann rutscht sein ganzer Körper vom Stuhl aufs harte Parkett. Wussow ist vor mir bei ihm, knurrt ihn an. Seine Kopfstöße können den Mann nicht mehr beleben. Er ist tot. Und daß er nicht freiwillig gestorben ist, sagt mir der rote Fleck, den ich jetzt im sonst unversehrten Hemd entdecke. Unter dem Hemd erwartet mich eine Wunde mit etwas altem und viel frischem Blut. - Helmut Zenker, Die Mann im Mond. Wien 1990

Keuchen (5)  Ich lausche auf das Keuchen seines Atems. Im Schatten der Vorhänge sehe ich vor mir die Starrheit seines Blicks. Alle Augenblick streift mich sein aus dem Bett hängender Arm, während sich in seinem Mund unverständliche Worte formen und verstummen. Durchs offene Fenster fällt über dem Schwarz der hohen Bäume und legt Streifen aufs Parkett die elektrisch weiße Helligkeit eines balladesken Mondes. Es herrscht eine finstere Stille, in der man nur das Ticken der Repetieruhr unseres Vaters hört, mit der ich ab und zu den Puls seines Jüngsten messe. Trotz dreier Prisen Brom-Kalium, die er, in einem Glas Wasser, eingenommen hat, kann er nicht eine Minute schlafen und sein Kopf wälzt sich auf dem Kissen in einer unaufhörlichen Bewegung von rechts nach links, lallend in dem unverständlichen Schwall eines gelähmten Gehirns und aus den beiden Mundwinkeln Fetzen von Sätzen ausstoßend, Worttrümmer, unformulierte Silben, die er heftig zu wiederholen beginnt und die schließlich in Seufzern ersterben. In der Ferne höre ich deutlich, wie ein Hund den Tod anheult. - (gon)

 

Atmen Geräusch

 

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