»Es hat länger als eine Stunde gedauert... Ich glaube, ich bin für einen Augenblick eingedämmert... Dann habe ich den Parkettboden im Korridor knarren hören... Ich habe mich in meinem Bett aufgesetzt...«
»War Ihre Tür nicht abgeschlossen?«
»Sie hatte wie die meisten Türen im Haus keinen Schlüssel, und das Schloß funktionierte schon lange nicht mehr... Ich hatte den Eindruck, daß jemand am Türknopf drehte, und dann bin ich leise aufgestanden und habe mich einen Meter vom Bett entfernt an die Wand gedrückt.«
»Brannte Licht im Flur?«
»Nein. Es ist jemand hereingekommen. Ich konnte nichts sehen. Ich fürchtete, zu schnell zu schießen, und war sicher, nicht zu treffen...«
Es hielt sie nicht länger auf ihrem Stuhl. Stehend fuhr sie fort, und zwar nicht mehr zum Richter, sondern zu Maigret gewandt:
»Ein merkwürdiges Keuchen näherte sich. Ein Körper hat mich fast berührt.
Ich bin überzeugt, daß sich ein Arm gehoben hat, um auf die Stelle im Bett
zu schlagen, an der mein Kopf hätte liegen müssen. Und da habe ich, ohne
zu überlegen, auf den Abzug gedrückt...« - Georges Simenon, Maigret
und die widerspenstigen Zeugen. Zürich 1999 (detebe 20716, zuerst 1959)
Ich tauchte - und versuchte, auf den Grund zu kommen, denn eine dreißig Fuß
tiefe Schraube mußte über mich weg, und ich wollte ihr möglichst viel Platz
lassen. Ich konnte es sonst immer eine Minute lang unter Wasser aushallen; diesmal
aber blieb ich wohl anderthalb Minuten unten. Dann schoß ich schleunigst an
die Oberfläche, denn ich war fast am Zerspringen. Bis zu den Achselhöhlen schnellte
ich aus dem Wasser, schnaubte das Wasser aus der Nase und keuchte ein bißchen.
Natürlich ging hier eine reißende Strömung; und natürlich hatte der Dampfer
zehn Sekunden, nachdem er sie gestoppt, die Maschinen wieder angestellt, denn
mit Flößern macht man nicht viel Umstände; so keuchte er schon weiter den Fluß
hinauf, längst außer Sicht bei dem trüben Wetter, wenn ich ihn auch noch hören
konnte. - Mark Twain, Huckleberry
Finn. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)
- Peter Handke, Don Juan (erzählt
von ihm selbst) Frankfurt am Main 2004 (st 3739)
Keuchen (4) In meinem Zimmer erscheint mit schleifenden Schritten ein dünner, etwa 50jähriger Mann in einem raschelnden Anzug. Quietschende Schuhe bringen ihn bis vor meinen Schreibtisch. Nicht einmal im Vergleich zu mir ist er besonders groß.
»Darf ich mich setzen?« keucht er.
»Aber ja«, sage ich großzügig. »Atmen Sie sich in Ruhe aus, dann sagen Sie, was Sie wollen.«
Über der faltigen Stirn trägt der Mann ein Büschel Kunsthaare. Immerhin dürfte es von besserer Qualität und in der Dusche abnehmbar sein.
»Ich suche Herrn Mann.«
»Sinnlos. Es gibt keinen.«
»Wer leitet die Kanzlei?«
»Frau Mann.«
Die Demütigung ist noch nicht zu Ende. »Ihre Mutter?«
»Ich!«
»Draußen steht doch M. Mann.«
»M. heißt eben nicht Manfred, Moritz oder Magnus.«
»Aha«, sagt mein verständnisloser Besucher. Er atmet weiterhin schwer, bleibt mir aber erhalten.
Ich fasse mich kurz: »Überwachen oder suchen?«
»Suchen.«
»Ihre Frau?« rate ich, weil er nicht weiterredet.
»Ja. Sie ist untergetaucht.«
»Warum?«
»Weil sie es mir gesagt hat. Und sie macht immer, was sie sagt.«
»Name?«
»Markus Herzer.«
»Der Ihrer Frau?«
»Marianne.«
»Wann haben Sie sie zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern«, stöhnt er.
»Haben Sie ein Bild von ihr?«
»Kein Bild.«
»Warum gehen Sie nicht zur Polizei?«
»Ich mag keine Polizei, kann keine Polizei brauchen, und zu früh wäre es auch.«
»Haben Sie einen Verdacht, wo Ihre Frau sein könnte?«
»Ich wäre nicht hier, wenn ich einen hätte. Haben Sie eine Zulassung?«
»Selbstverständlich. Mit Datum und Stempelmarke. Haben Sie Ihre Schecks mit?«
Er nickt, holt ein braunes Schecketui aus der linken Innentasche, zieht einen Scheck heraus, beginnt ihn mit einem meiner grünen Rollstifte auszufüllen. Den Betrag läßt er aus. Soll mir recht sein.
»Warum wollen Sie Ihre Frau unbedingt zurückhaben?«
»Hab ich gesagt, daß ich sie zurückhaben will?«
Der aufgeregte Satz bringt ihn noch einmal zum Keuchen.
»Was soll ich dann machen mit ihr, wenn ich sie gefunden habe?«
»Bei ihr bleiben und mich anrufen. Ich will sie nur treffen. Falsch: ich muß.«
»Auf ein letztes Gespräch?«
»Richtig. Ich bringe sie um.«
Mitten in der Unterschrift bricht er ab und läßt den Stift aus. Seine runden
Augen schauen durch mich durch und durchs polierte Fenster bis zum Stephansdom.
Sein Kopf poltert auf den Schreibtisch, dann rutscht sein ganzer Körper vom
Stuhl aufs harte Parkett. Wussow ist vor mir bei ihm, knurrt ihn an. Seine Kopfstöße
können den Mann nicht mehr beleben. Er ist tot. Und daß er nicht freiwillig
gestorben ist, sagt mir der rote Fleck, den ich jetzt im sonst unversehrten
Hemd entdecke. Unter dem Hemd erwartet mich eine Wunde mit etwas altem und viel
frischem Blut. - Helmut Zenker, Die Mann im Mond. Wien 1990
Keuchen (5) Ich lausche auf das Keuchen seines
Atems. Im Schatten der Vorhänge sehe ich vor mir die Starrheit seines Blicks.
Alle Augenblick streift mich sein aus dem Bett hängender Arm, während sich in
seinem Mund unverständliche Worte formen und verstummen. Durchs offene Fenster
fällt über dem Schwarz der hohen Bäume und legt Streifen aufs Parkett die elektrisch
weiße Helligkeit eines balladesken Mondes. Es herrscht eine finstere Stille,
in der man nur das Ticken der Repetieruhr unseres Vaters hört, mit der ich ab
und zu den Puls seines Jüngsten messe. Trotz dreier Prisen Brom-Kalium, die
er, in einem Glas Wasser, eingenommen hat, kann er nicht eine Minute schlafen
und sein Kopf wälzt sich auf dem Kissen in einer unaufhörlichen Bewegung von
rechts nach links, lallend in dem unverständlichen Schwall eines gelähmten Gehirns
und aus den beiden Mundwinkeln Fetzen von Sätzen ausstoßend, Worttrümmer, unformulierte
Silben, die er heftig zu wiederholen beginnt und die schließlich in Seufzern
ersterben. In der Ferne höre ich deutlich, wie ein Hund den Tod anheult. - (
gon
)
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