teppengras Unverhofft
vernahm er leises Singen. Da mußte eine Frau, nicht eben in der Nähe, singen,
doch wo und auf welcher Seite, das war nicht auszumachen. Das Lied war ruhig,
getragen und kummervoll, es war wie ein Weinen und kam, vom Ohr kaum vernehmbar,
bald von rechts, bald von links, bald von oben, bald aus der Erde empor, wie
wenn ein unsichtbarer Geist singend über der Steppe schwebe. Jegoruschka blickte
sich um und konnte nicht fassen, von wo dieses seltsame Lied kam; nachdem er
jedoch länger hingehorcht, wollte ihn dünken, als wenn das Gras selber singe;
dies halbtote, dies schon verlorene Gras schien ohne Worte, doch klagevoll und
aufrichtig jemanden davon überzeugen zu wollen, daß es selber an nichts Schuld
trüge und daß die Sonne es völlig umsonst so ausgebrannt habe; es schien jemanden
davon überzeugen zu wollen, daß es noch leidenschaftlich gern leben wolle und
daß es noch jung sei und daß es schön sein könnte, wenn nicht die Hitze und
die Dürre es verhindert hätten; keiner war schuld, trotzdem jedoch bat es jemanden
um Vergebung und schwor, daß es unerträgliche Leiden trüge, daß es traurig sei
und daß es sich selber bemitleide ... Jegoruschka lauschte noch ein wenig, und
bald kam es ihm vor, daß die Luft infolge dieses an die Seele greifenden getragenen
Liedes nur noch schwüler, heißer und regungsloser würde ... Um das Lied verstummen
zu machen, lief er, selber singend und bemüht, möglichst laut zu stampfen, zum
Riedgras zurück.
-
Anton Tschechow, Die Steppe.
Nach (tsch)
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