chwüle   Eine Welt, die sehr verschieden war von der, zu der mir bislang die Lektüre und die Bühne einen Zugang gewährt hatten, offenbarte sich mir in der (originalgetreuen, wie ich später feststellte) Bearbeitung des von Oscar Wilde auf französisch geschriebenen Stückes, einer Geschichte, die außer jener Hierodoule, Huri oder jüdischen Bajadere, deren Anblick das Begehren der Männer bis zum Schmerz aufreizte, einen Herodes vorführt, den ich zu Unrecht für den des Kindermordes hielt, und einen Yokanaan, von dem ich sehr wohl wußte, daß er niemand anderes war als unser Johannes der Täufer unter seinem hebräischen Namen (der mein Denken weniger nach Kanaan lenkt als auf zermalmte Kieselsteine, wenn er heute in der Phantasie an mein Ohr dringt). Eine Geschichte, die durch ihr Thema vielem verwandt ist, was in der Heiligen Schrift berichtet wird, sich aber durch den Geist, in dem sie gehalten ist, unerhört davon abhebt: durch ein orientalisches Kolorit, gesättigt mit Magie und kostbaren archaisierenden Momenten, die den Darstellungen, die ich gehört oder gelesen hatte, völlig abgingen; eine schwüle und beladene Atmosphäre, die noch drückender wird durch die Trunkenheit, die das blutschänderische Verlangen des Herodes weiter aufstachelt, und durch den Liebestaumel, der die Tochter des Herodias befällt, wenn ihr das Haupt des Eingekerkerten überbracht wird, den sie vergeblich zu verführen versucht hat; eine Grausamkeit, die ausdrücklich als dominierendes Element der Handlung gewählt zu sein scheint, welche sich hauptsächlich um die Enthauptung des Heiligen dreht, in der aber auch der tödliche Schwertstoß vorkommt, den sich fast zu Beginn ein Verehrer der Prinzessin versetzt, und des weiteren, gerade wenn der Vorhang fällt, deren barbarische Ermordung, wenn sie wie ein giftiges Tier unter den Schilden der Soldaten zermalmt wird.  - (leiris2)

Schwüle (2)  

Die Pensionärinnen

Die eine fünfzehn Jahr, die andere sechzehn, rüsten
Blauäugig-schlank, zum Schlafe sich. Beklommen
Und schwül ist die Septembernacht gekommen.
Die Wangen färbt ein zärtliches Gelüsten.

Die feinen Hemden gleiten von den Brüsten
Und hauchen holden Duft, süss und verschwommen,
Es dehnt die Jüngre sich, die Freundin lustentglommen
Küsst sie, die Hände auf der andern Brüsten

Dann sinkt sie in die Knie, vom Wahnsinn fortgezogen
Und taucht den Mund in der Erregung Wogen
In Schatten unter goldnem Lockenglanze.

Und während der Umarmung regt die Kleine
Die Fingerchen, als spiele sie zum Tanze,
Und rosig lächelt sie in süsser Reine.

- Paul Verlaine

Schwüle (3) Schwüle Hitze in Saint-Pierre, wo man sagen könnte, daß zur Mittagsstunde die Erde sich spaltweit öffnet und den Toten einen Spaziergang durch die Stadt genehmigt, der eine mit einem geblümten Morgenrock, der andere mit einem großen geflochtenen Strohhut. Eine Statue aus eisengrauem, fast wetzsteinfarbenem Material; ein Mädchen des Feuers und des Wassers, das ich gern in die Nähe einer Empusa, einer Norne oder ganz einfach einer Teufelin rücken möchte, eines schönen Geschöpfs mit dunklem Teint, dem man unterwegs zur Stunde der größten Hitze begegnet und das die kreolische Form des démon du midi ist, der jeden, der ihm unvorsichtigerweise folgt, in die Irre lockt oder in einen Abgrund stürzt, nachdem er ihn seinen kapriziösen Faunsschritten hinterher in einen menschenleeren Landstrich gelotst hat. - Michel Leiris, Die Spielregel 2. Krempel. München 1985 (zuerst 1955)

Schwüle (4)  Man warf mich in Buenos Aires ins Gefängnis, just zu der Zeit, als meine Schwester diese Stadt verließ. Ich verlangte, nach Rom zum Pater General zurückkehren zu dürfen, und wurde von ihm zum Hauskaplan des französischen Gesandten in Konstantinopel ernannt. Ich war noch keine acht Tage in meinem Amt, als ich eines Abends einem jungen Itschoglan, einem Pagen des Sultans, begegnete, einem sehr wohlgestalten Jüngling. Es war tagsüber drückend schwül gewesen, und der junge Mann wollte ein Bad nehmen. Diese Gelegenheit benutzte ich und badete gleichfalls. Ich wußte ja nicht, daß es einen Christen Kopf und Kragen kostet, wenn er mit einem jungen Muselmann zusammen nackt betroffen wird. Ein Kadi ließ mir hundert Stockschläge auf die Fußsohlen aufmessen und schickte mich dann auf die Galeeren. Ein grauenvolleres Unrecht wurde, glaube ich, noch nie begangen.  - Voltaire, Candide, nach (vol)

Schwüle (4)  Barfuß tappte ich einen langen Gang hinunter; ich wollte ohne weitere Verzögerung in die Tiefen des alten Hallenbades, bis ins Kontor der Firma Hitzik dringen. Ein Hintergrundgefühl, vielleicht das Rauschen der Erfahrung, stimmte mich sicher, daß ich auf diesem letzten Wegstück das Glück auf meine Art erzwingen würde. Ich bog in einen neuen Korridor, die Schwüle nahm zu, die Luft war wie von Dampf geschwängert. Das Wasser, das an den verkalkten Knien der Rohre in Schwaden entwich, kondensierte auf den Wänden, hatte, unter den Estrich sickernd, die Dielen quellen lassen, sammelte sich in den welligen Verwerfungen des Bodens. Bis zu den Knöcheln sank ich in kalte Lachen. Der blättrig aufgesprungene Putz, die Schimmelkolonien, das Kupfer, Eisen oder Blei der dichtgereihten Rohre, alles vergeudete Aromen, gab salzigen Saft, Gase und feinste Partikel an die Atmosphäre. Das Chlor und seine keimtötenden Bruderstoffe, die mir die Augen tränen machten, hatten den Kampf gegen den Duft der Auflösung wohl längst verloren.  - Georg Klein, Barbar Rosa. Berlin 2001

 

Luft Hitze Feuchtigkeit

 

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