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leiris2
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Schwüle (2)
Die Pensionärinnen Die eine fünfzehn Jahr, die andere sechzehn, rüsten Die feinen Hemden gleiten von den Brüsten Dann sinkt sie in die Knie, vom Wahnsinn fortgezogen Und während der Umarmung regt die Kleine |
Schwüle (3) Schwüle Hitze in Saint-Pierre, wo man sagen
könnte, daß zur Mittagsstunde die Erde sich spaltweit öffnet und den Toten einen
Spaziergang durch die Stadt genehmigt, der eine mit einem geblümten Morgenrock,
der andere mit einem großen geflochtenen Strohhut. Eine Statue aus eisengrauem,
fast wetzsteinfarbenem Material; ein Mädchen des Feuers und des Wassers, das
ich gern in die Nähe einer Empusa, einer Norne oder ganz einfach einer Teufelin
rücken möchte, eines schönen Geschöpfs mit dunklem Teint, dem man unterwegs
zur Stunde der größten Hitze begegnet und das die kreolische Form des démon
du midi ist, der jeden, der ihm unvorsichtigerweise folgt, in die Irre lockt
oder in einen Abgrund stürzt, nachdem er ihn seinen kapriziösen Faunsschritten
hinterher in einen menschenleeren Landstrich gelotst hat. - Michel Leiris, Die Spielregel 2. Krempel. München 1985 (zuerst
1955)
Schwüle (4) Man warf mich
in Buenos Aires ins Gefängnis, just zu der Zeit, als meine Schwester diese Stadt
verließ. Ich verlangte, nach Rom zum Pater General
zurückkehren zu dürfen, und wurde von ihm zum Hauskaplan des französischen Gesandten
in Konstantinopel ernannt. Ich war noch keine acht Tage in meinem Amt, als ich
eines Abends einem jungen Itschoglan, einem Pagen des Sultans,
begegnete, einem sehr wohlgestalten Jüngling.
Es war tagsüber drückend schwül gewesen, und der junge Mann wollte ein Bad
nehmen. Diese Gelegenheit benutzte ich und badete gleichfalls. Ich wußte ja
nicht, daß es einen Christen Kopf und Kragen kostet, wenn er mit einem jungen
Muselmann zusammen nackt betroffen wird. Ein Kadi ließ mir hundert Stockschläge
auf die Fußsohlen aufmessen und schickte mich dann auf die Galeeren. Ein grauenvolleres
Unrecht wurde, glaube ich, noch nie begangen. - Voltaire, Candide,
nach
(vol)
Schwüle (4) Barfuß tappte ich einen langen Gang
hinunter; ich wollte ohne weitere Verzögerung in die Tiefen des alten
Hallenbades, bis ins Kontor der Firma Hitzik dringen. Ein
Hintergrundgefühl, vielleicht das Rauschen der Erfahrung, stimmte mich
sicher, daß ich auf diesem letzten Wegstück das Glück auf meine Art
erzwingen würde. Ich bog in einen neuen Korridor, die Schwüle nahm zu,
die Luft war wie von Dampf geschwängert. Das Wasser, das an den
verkalkten Knien der Rohre in Schwaden entwich, kondensierte auf den
Wänden, hatte, unter den Estrich sickernd, die Dielen quellen lassen,
sammelte sich in den welligen Verwerfungen des Bodens. Bis zu den
Knöcheln sank ich in kalte Lachen. Der blättrig aufgesprungene Putz,
die Schimmelkolonien, das Kupfer, Eisen oder Blei der dichtgereihten
Rohre, alles vergeudete Aromen, gab salzigen Saft, Gase und feinste
Partikel an die Atmosphäre. Das Chlor und seine keimtötenden
Bruderstoffe, die mir die Augen tränen machten, hatten den Kampf gegen
den Duft der Auflösung wohl längst verloren. - Georg Klein, Barbar Rosa. Berlin
2001
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