elbstmitleid
Es ging um einen Keks. Dad riß mir einen Keks aus der Hand und sagte, ich äße
zuviel, was für ein gieriger, egoistischer Schuft ich sei, und warum ich nicht
wegginge, er wolle mich hier nicht mehr sehen. Er hörte nicht auf damit, bis
ich es nicht mehr aushallen konnte. Ich ging auf ihn los und packte ihn am Hals.
Mit meinen Händen - aber ich hatte sie einfach nicht mehr in der Gewalt. Sie
wollten ihn erdrosseln. Aber Dad ist kräftig und ein
geschickter Ringer. Er riß sich los und rannte nach seinem Gewehr. Kam damit
an und richtete es auf mich. ‹Sieh mich an, Perry›, sagte er. ‹Ich bin das letzte,
was du vor deinem Tod noch siehst.› Ich stand da, ohne mich zu regen. Aber dann
merkte er, daß das Gewehr nicht mal geladen war, und da fing er an zu weinen.
Setzte sich hin und heulte wie ein Kmd. Und da, glaube ich, war es mit meiner
Wut auf ihn vorbei. Er tat mir leid. Und ich mir selbst eigentlich auch. Aber
was nützte es alles - ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich ging nach draußen.
Es war April, aber die Wälder waren noch tief verschneit. Ich machte einen weiten
Spaziergang, fast bis zum Anbruch der Nacht. Als ich zurückkam, war das Blockhaus
dunkel, und alle Türen waren verschlossen. Und alle meine Sachen lagen draußen
im Schnee. Dad hatte sie da hingeschmissen. Bücher. Mein Zeug. Alles.
-
(cap)
Selbstmitleid (2) Selbstmitleid. - Die Schnecke
ohne Haus kriecht über den feuchten Waldweg, den schlanken, glänzenden,
schwarzen Leib hinten verletzt, mit Schlamm bedeckt. Sie ist noch im
ersten Viertel des Wegs und überquert ihn nicht im rechten Winkel,
sondern schräg. Wenn die feinen Fühlhörner Gefahr bemerken, zieht der
Leib sich zusammen. Das Ganze ist wach und differenziert, aber der
wirklichen Bedrohung, dem spazierenden Stiefel des Kolosses Mensch,
höchst unangemessen. Das Verhältnis ist sinnlos, wahrscheinlich die
ganze Mühe der Überquerung. Der in der Organisation der Schnecke nicht
vorgesehene Menschenweg hat sie vielleicht getäuscht, für sie ist der
jenseitige Wegrand kein Drüben, kein Ende, kein Ziel, wie es dem
Menschen erscheint, der den Weg gemacht hat und begreift. Die Schnecke,
ganz hingegeben ihrer Anstrengung, zieht, schutzlos einer unbekannten
Hoffnung folgend, eine Furche in die Schlammwüste- Wer sich über sie
beugt, der Gemeinsamkeit mit ihr eingedenk, hat ihr, von seiner
Schlauheit und seinen Machtwerkzeugen abgesehen, das Mitleid mit sich
selbst voraus, das ihn die Minute verlieren läßt, in der er vielleicht
etwas ändern könnte. Im Blick auf die Schnecke läßt er sich gehen,
bekümmert um die eigene Verlo-renhcit, anstatt trotz allem in der Wüste
fortzuziehen, selbst wenn die Hoffnung verloren wäre. - Max Horkheimer, nach
(arc)