ich ein Bild machen Bilder von Propheten, erklärte mir der Onkel, entstünden aus einer Empfindung, da es keine wirklichen Bilder gäbe. Jedes Bild sei richtig, wenn es ein Gläubiger gemalt habe. »Jesaja könnte also auch eine Brille tragen?«, fragte ich. »Natürlich«, sagte er lächelnd und strich mir wie immer über den Kopf.
Und so ging ich zurück in mein Zimmer und betrachtete immer und immer wieder
aufs Neue die Bilder in meinem Lesebuch. Schließlich holte ich meine Farbstifte
aus dem Ranzen und setzte dem ersten Propheten eine Brille
auf. Ich hatte Angst, mich zu versündigen, denn ich befürchtete, dass mein Glaube
nicht ausreichte, um wahrhafte Bilder der Propheten zu malen. Also blickte ich,
nachdem ich die erste Brille mit einem ockerfarbenen Stift über die Augen des
Propheten Ezechiel gemalt hatte, schnell zur Seite, aus Angst, das Buch könne
unter meinem sträflichen Tun zu Staub zerfallen. Es geschah jedoch nichts dergleichen.
Stattdessen erfüllte ein Summen den Raum. Ein Summen,
wie es sonst nur von dem mit weißen Blusen beladenen elektrischen Waschzuber
meiner Tante kam, aber ungleich stärker. Ich deutete dieses Geräusch als eine
Art Zustimmung und beschäftigte mich die nächsten Abende weiter damit, einem
Propheten nach dem anderen Brillen aufzusetzen. Angeblich hat Gott mich nach
seinem Ebenbild erschaffen, doch er selbst ist
nie zu sehen und darf auch nicht gezeigt werden. Moses war er als brennender
Dornenbusch erschienen, dem Propheten Elija als säuselnder Wind und mir als
eigenartiges Summen. Wer ihn anschaut, der muss sterben, und noch niemand hat
Gott wirklich von Angesicht zu Angesicht erblickt. Aber vielleicht stimmte das
alles so gar nicht, vielleicht durfte man Gott nur deshalb nicht darstellen,
weil er gar nicht so herrlich aussah, wie es sich die Menschen erwarteten, weil
selbst er vielleicht etwas hatte, das man als Makel ansehen konnte, weil vielleicht
sogar er selbst eine Brille trug. Nein, das war unmöglich, Gott war ohne Makel
und außerdem allwissend, allsehend, allhörend. - (raf)