chacht Ich habe an vielen tausend Stellen Tiefenschächte angelegt und habe dort zugehört, was die Menschen über ihre damalige Welt meinten. Die Menschen aus großen Schichtentiefen haben sehr klar gesprochen. Alle Legenden waren das menschliche Reden der Vorzeiten. In den Legenden haben sie, nachdem einmal eine Verständigungssprache geschaffen war, ihre ganzen Erfahrungen festgelegt. Jede Änderung der Umstände hat die Legende verändert. Erst zu einer Zeit, in welcher die Legenden an die Oberfläche der Gegenwart kamen, ist auch in dieser Sache große Verwirrung eingetreten: aus Legenden sind Dinge, Bruchstücke entstanden, die man als Aberglauben bezeichnen mußte oder konnte.
Genauso wie man Dokumente der Toten ausgraben kann, Paläste, Tempel, Gräber, Dinge, so kann man in Sprachlegenden das durchaus Lebende ausgraben. Man kann seine Schächte bis zu mittlerer oder großer Tiefe treiben.
Das habe ich so lange betrieben, daß ich glaube, soviel Erfahrung wie nur
irgendein Geologe zu besitzen in der Tiefenwelt und deren Zusammenhängen. Aber
es geht nicht darum, eine kleine Spezialität für sich zu schaffen. Man wurde
durch die vielen Prüfschächte mit einem längst untergegangenen Menschen bekannt,
der nicht mehr in die Gegenwart eingriff als nötig war. Ich würde so sagen:
Nur wenn einmal ein Mensch mit seinen Wurzeln tief geht, erfaßt er diese Ahnen,
die ihm wieder ihre große, ruhige Betrachtung einflößen werden. Die menschliche
Geognose wird einfachstes biologisches Dasein und wieder Wirklichkeit. -
Ernst Fuhrmann, Vorwort zu (
fuhr
)
Schacht (2) Der unbekannte
schacht, der von hier in die eingeweide der erde führt, ist sorglos geöffnet,
anscheinend fürchtet Dr. Unspeakable keinerlei überraschungen, er weiß
wohl ebensogut wie ich, daß sich um diese zeit des tages keiner der sommergäste
hierher verirrt. Aus dem schacht - ich stehe an seinem rand - dringt licht
und gemurmel hoch und etwas, das mich wie ein giftiger schwaden berührt.
Ein völlig neues gefühl von beklemmung dämmert
in mir auf, irgend etwas, das in seiner unerklärlichen sinnlosigkeit aus
meiner kehle nach meiner kehle faßt, diese mit einem nassen, schwammigen
griff zusammenpreßt und mir das atmen erschwert. »Dort unten geht böses
vor sich«, vernehme ich plötzlich eine stimme hinter mir, »und wären mir
die hände nicht gebunden«, fährt es fort, »ich würde das meer umleiten,
um diesen ort mit allem, was sich darin verbirgt, unter wasser zu setzen.«
- (
dru
)
Schacht (3) Oben, ganz
weit oben in den Bergen, öffnete und öffnet sich ein gewisser natürlicher Schacht
oder ein Schlund oder eine Karstsenke, «Abtrittsgruben»
nennen die Hirten diese Abgründe zwischen den Felswänden
und werfen das durch Krankheit eingegangene Vieh hinein. Man müßte sich also
nur fallen lassen: ballt die Fäuste, preßt die Zähne zusammen, schließt die
Augen, geht einen Schritt vor, und alles andere besorgt die Natur, die es sich
niemals entgehen läßt, zu vernichten, was sie geschaffen hat, sobald sich ihr
eine Gelegenheit dazu bietet (eigentlich eine mildtätige Natur, denn sie versteht
sich dazu, ihr letztes Ziel vorwegzunehmen). Im übrigen hat diese Todesart
einen deutlichen Vorzug: keiner wird den zerschmetterten und verunstalteten
Körper finden, keiner wird genötigt sein, ihn schaudernd und bebend zusammenzufügen,
in ihm die drek-kige Substanz menschlicher Kreatur zu erkennen und davor Abscheu
zu empfinden. - Tommaso Landolfi, Gute Hoffnungen. Nach
(land)
Schacht (4)
- N. N.
Schacht (5)
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