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leiris2
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Oper (2) Die ernste und komische Oper
sind nicht selten ein seltsamer Wirrwarr des Schönen und Abenteuerlichen, des
Großen und Kleinen, des Rührenden und Lächerlichen, des Widersinnigen, Läppischen
und Unnatürlichen. Mythologie und Geschichte, Feen- und Zaubermärchen, Schlachten
und Triumphzüge, Donnerwetter und Schiffbrüche, Geister und wilde Bestien, Götter,
Menschen und seltene Ungeheuer, die keine Naturgeschichte kennt, wechseln miteinander.
Die Feldschlachten werden geliefert von ein paar Dutzend Mietsoldaten, die den
Komödianten-General selten verstehen und lachen, wenn sie unter Violinentönen
mit ihren hölzernen Schwertern auf die Schilde von Pappendeckel schlagen. Dort
fliegt einer durch die Luft an einem Strick, dort stürzt ein anderer von einem
Felsen sechs Fuß hoch oder wandelt durch Flammen und Meereswogen, dort erdolcht
sich einer trillernd, und dort singt der Herr dem Diener seine Befehle oder
der Freund dem Freunde sein Geheimnis zu, und die ernste Ratsversammlung beratschlagt
sich in lauter Gesängen. Der ernste Cato singt seine Rede an das Volk, der Eilbote,
der viel von Gefahr im Verzug gesprochen hat, hustet, stellt sich vors Parterre
und gurgelt eine Arie. Alexander, auf den Mauern einer Stadt, gibt den Belagerten
völlig den Rücken preis, denn er hat dem Publikum von der Leiter eine Arie
zu trillern, und seine Armee muß warten, bis er ausgetrillert hat. Sollte man
nicht glauben, wir wären in Sina und Japan? Welchen dramatischen oder lyrischen
Eindruck macht nicht eine speisende Operngesellschaft, die da singt: „Mir schmeckt
der Wein! Vortrefflich ist der Braten, noch besser ist die Brühe!" und
erst, wenn in der ernsten Oper der Held den Himmel zum Zeugen seines Selbstmordes
nimmt und der Chorus singt: „Gebt acht, er wird sich jetzt erstechen!"
und gar aus dem Parterre ein da capo! erschallt! - (
kjw
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