Nun, wenn Du mich nicht verstehst, dann eben nicht. Und, meine Liebe, versuch ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen.
Ja, als mein Mann rasiert vor mich hintrat, da habe ich zunächst begriffen, daß ich nie eine Schwäche für einen Komödianten empfinden könnte, noch für einen Geistlichen, und wäre es auch Pater Henri Didon, der verführerischste von allen. Dann, als ich später allein mit ihm war — mit meinem Mann! — wurde es noch schlimmer. Ach, meine liebe Lucie, laß Dich niemals von einem Mann ohne Schnurrbart umarmen; seine Küsse haben keinen Geschmack, keinen, keinen! Das hat nicht mehr jenen Reiz, jene weiche Fülle und jenen... Pfeffer, ja, den Pfeffer des echten Kusses. Der Schnurrbart erst ist die Würze.
Guy de Maupassant
Stell Dir vor, daß man Dir ein Pergament auf die Lippen preßt, trocken... oder feucht! Das ist die Liebkosung des rasierten Mannes. Sie lohnt wahrhaftig nicht die Mühe.
Woher aber rührt die Verführungskraft des Schnurrbarts, wirst Du mich fragen. Weiß ich es denn? Zunächst kitzelt er ganz köstlich. Man spürt ihn vor dem Mund, und er jagt einem durch den ganzen Körper, bis zu den Fußspitzen, einen bezaubernden Schauder. Er ist es, der liebkost, der die Haut zucken und zittern macht, der den Nerven jene erlesenen Schwingungen verleiht, die uns das leise «Ah! » ausstoßen lassen, als fröstelte uns.
Und auf dem Hals! Ja, hast Du je einen Schnurrbart auf deinem Hals gespürt? Das erregt, das berauscht, das läuft den Rücken hinunter, das steigt bis in die Fingerspitzen. Man krümmt sich, man schüttelt die Schultern, man wirft den Kopf zurück, man möchte fliehen und bleiben! Es ist wunderbar und aufreizend! Aber wie gut ist es!
Und dann noch... nein, wirklich, soll ich es wagen? Ein Gatte, der Dich liebt, aber richtig liebt, weiß eine Menge kleiner Winkel aufzustöbern, wo er seine Küsse verbirgt, Winkelchen, an die man allein gar nicht käme. Nun, ohne Schnurrbart verlieren auch diese Küsse viel von ihrem Reiz, ja, sie werden beinahe unanständig! Erkläre das, wie Du kannst. Ich, für mein Teil — nun, das ist der Grund, den ich gefunden habe. Eine Lippe ohne Schnurrbart ist nackt wie ein Körper ohne Kleidungsstück; und Kleidungsstücke braucht es immer, sehr wenig, wenn du willst, aber es braucht sie!
Der Schöpfer — ich wage kein anderes Wort zu benützen, wenn ich von diesen Dingen spreche — der Schöpfer war darauf bedacht gewesen, auf solche Art alle Stellen unseres Leibes zu verhüllen, darin die Liebe sich verbergen sollte. Ein rasierter Mund scheint mir einem abgeholzten Wald rund um eine Quelle zu gleichen, an der man trank und schlummerte.
Das erinnert mich an das Wort eines Politikers, das seit drei Monaten in meinem Hirn kreist. Mein Mann, der die Zeitungen verfolgt, hat mir eines Abends eine sehr seltsame Rede unseres Ackerbauministers vorgelesen, der damals Méline hieß. Ist er seither durch einen andern ersetzt worden? Ich weiß es nicht.
Ich hörte nicht zu, aber dieser Name Méline, fiel mir auf. Er hat mich, genau weiß ich nicht, warum, an die «Szenen aus dem Leben der Bohème» erinnert. Ich glaubte, es handelte sich um eine Grisette. Und so sind einige Stücke dieser Rede mir unzusammenhängend in den Kopf gedrungen. Der Minister Méline gab den Einwohnern von Amiens, wie ich glaube, eine Erklärung ab, deren Sinn ich bis heute gesucht habe: « Es gibt keinen Patriotismus ohne Ackerbau ! » Nun, und diesen Sinn habe ich eben erst entdeckt; und ich meinesteils erkläre Dir, daß es keine Liebe ohne Schnurrbart gibt. Wenn man das so sagt, klingt es drollig, nicht wahr?
Es gibt keine Liebe ohne Schnurrbart! -
Guy de Maupassant
Schnurrbart (2) Von allen Phantasmen der Leinwand aus Fleisch und Blut erschien uns Menjou immer als derjenige, der die großte Übereinstimmung verkörperte zwischen privatem Leben und Abbild des komprimierten Lebens, das das Kino darstellt. Wenn wir Menjou sahen, begegneten wir in ihm dem außergewöhnlichsten Menjou, den Kunst, Literatur und Film zu schaffen vermochten. In einem Wort: Menjou war mehr Menjou als alle Menjous. Allein aus diesem Grund, weil er diesen so vollkommenen Typ geschaffen hat, der literarisch nicht so überladen, aber viel photogener als Don Juan ist, waren wir stets voller Bewunderung für ihn. Und wem ist es wohl entgangen, daß seine große menjoueske Anziehungskraft von seinem Schnurrbart, diesem genialsten Schnurrbart des Kinos, ausgeht, wie es der Gesang bei den Sirenen ist?
Es ist ein Gemeinplatz, daß das Auge das beste Mittel ist, um auf den Grund der Seele zu schauen. Es kann ebenso ein Schnurrbart wie der seine sein. Er war so oft in Großaufnahme über unsere Köpfe geneigt, daß wir uns fragen: Was können uns seine Augen sagen, was uns nicht schon sein Schnurrbart gesagt hat? Die banale Geste oder das kaum wahrnehmbare Lächeln gewinnen unter dem magischen Schatten des Schnurrbarts eine außergewöhnliche Ausdruckskraft: eine Seite von Proust, auf die Oberlippe geschrieben, eine stumme, aber vollständige Lektion in Ironie. Wenn er das nicht erkannt und seinen Schnurrbart urheberrechtlich geschützt hätte, wäre die Ironie Allgemeingut geblieben, Requisit auch der unscheinbarsten Gesichter.
Der Schnurrbart von Menjou, der auch das Kino und seine Zeit versinnbildlicht, wird in den Schaufenstern der Zukunft den unerträglichen, ausdruckslosen Hut Napoleons überdauern.
Wir haben ihn gesehen, wie er sich in der Großaufnahme eines Kusses, einem seltenen Insekt gleich, auf die wie Mimosen sensiblen Lippen setzte und sie ganz und gar verschlingt, Deckflügler der Liebe. Wir haben gesehen, wie sich sein Lächeln aus dem Versteck des Schnurrbarts behend und geschmeidig wie ein Tiger, der über seine Beute herfällt, einen Weg bahnt, um den Blick seiner Partnerin zu bändigen. Die letzte Umfrage unter den Filmstars in New York über den Schnurrbart von Menjou hat Einstimmigkeit ergeben. Alle Damen haben das Gleiche gesagt:
»Sein Schnurrbart ist vielleicht der einzige, der uns beim Küssen
nicht piekt. Im Gegenteil, er bewirkt ein köstliches, unaussprechliches,
für uns sehr angenehmes Kitzeln.« - (
bun
)
Militante Literatur.
In die Bresche treten.
Mit geschwungenen Fahnen.
Die
Fahne hoch halten.
Sich ins Kampfgetümmel stürzen.
Einer
der Veteranen. - Alle diese Redensarten voll des Ruhmes werden für gewöhnlich
auf Schulfüchse und Tagediebe in den Kneipen angewandt.
Französische Metapher. Soldat der Gerichtssaalpresse (Berlin).
Die militante
Presse.
Den militärischen Metaphern hinzuzufügen:
Die Dichter des Kampfes,
Die
Literaten der Avantgarde.
Diese gewohnheitsmäßige Anwendung von militärischen Metaphern ist kein Zeichen
dafür, daß die Geister militant sind, sondern dafür, daß sie für die Disziplin,
was soviel besagt wie Gleichförmigkeit, geschaffen sind, geborene Bedientengeister,
belgische Geister, die denken nur in der Gemeinschaft können. - (
cb
)
Bevor sie so verstümmelt wurde, war Irène des Pereires eine sehr hübsche Frau gewesen, anziehend, reizvoll und alles!... Aber seit diesem Eingriff und besonders seit vier, fünf Jahren hatten die männlichen Merkmale die Oberhand bekommen!... Sie hatte einen richtigen Backenbart, ja beinahe einen Vollbart!... Das alles ertrank jetzt in Tränen! Während sie mit mir sprach, floß es reichlich!... Ihre Schminke tropfte herunter!... Sie hatte sich sehr stark gepudert.... geschminkt! Sie hatte sich die Augenwimpern einer Odaliske angemalt, sie verputzte sich, wenn sie in die Stadt ging!... Den gewaltigen Hut mit seinen Hortensiabeeten setzte sie wieder auf... er schwankte im Sturm, sie befestigte ihn mit langen Nadeln... knüpfte den Schleier darum. Plötzlich wühlt sie in ihren Röcken... Sie holt eine mächtige Pfeife hervor ... Auch darauf hatte er mich vorbereitet...
«Stört es Sie, wenn ich rauche?» fragte sie mich...
«Nein, gnädige Frau, gewiß nicht, nur muß man auf die Asche achtgeben! Wegen der Papiere am Boden! Die fangen leicht Feuer! Hü hü..» Ein bißchen Spaß muß sein...
«Sie rauchen nicht, Ferdinand?»
«Nein. Ich mach mir nichts daraus. Ich paß nicht genug auf! Ich möchte nicht als lebende Fackel enden! Hü hü ...»
Sie beginnt zu qualmen... - Louis-Ferdinnad Céline, Tod auf Kredit.
Reinbek bei Hamburg 1974 (zuerst 1936)
Bei der nächtlichen Jagd sind die Schnurrhaare unverzichtbar. Mit intakten
Schnurrhaaren gelingt der Katze auch in tiefster Finsternis der arteigene Tötungsbiß.
Nach einer Beschädigung dieser feinsinnigen Organe kann sie nur noch im Hellen
killen. In der Dunkelheit schnappt sie voll daneben und erwischt das Beutetier
am falschen Körperteil. Die Vibrissae werden offenbar als eine Art Radar eingesetzt,
der bei behinderter Sicht in Sekundenbruchteilen den Körperumriß des Opfers
ausmacht und den Biß der Katze in Richtung Genick des Opfers lotst. Es sieht
ganz so aus, als könnten die Schnurrhaarspitzen im Detail die Silhouette des
Opfers »ablesen« und das Gehirn über den notwendigen nächsten Schritt unterrichten.
Die Schnurrhaare sprießen aus dem Gewebe über der Oberlippe und sind dreimal
tiefer verankert als andere Haare. An den Wurzeln sind sie mit zahlreichen Nervenenden
verbunden, die jeden Eindruck in Windeseile zum Gehirn weiterleiten. -
Akif Pirinçci, Felidae. München 1990 (zuerst 1989)
- Ulrike
Sprenger, Proust-ABC. Leipzig 1997
Schnurrbart (7)
- Eugène Giraud, nach (
flb
)
- Nadar, nach (
gon
)
Schnurrbart (9)
Onkel Schicht erfreute sich einer besonderen Begabung.
Er
konnte mit dem Schnauzbart die Zeit anzeigen.
Beim
Militär erhielt er eine Auszeichnung für seinen präzisen Gang.
- (
step
)
Schnurrbart (10)
Die Schnurrbarthaare wurden mir bei den Mahlzeiten fast regelmäßig in
den Mund hineingewundert. - Daniel Paul Schreber, Denkwürdigkeiten eine
Geisteskranken, nach: Jean-Patrick Manchette, Chroniques. Essays
zum Roman noir. Heilbronn 2005 (DistelLiteraturVerlag, zuerst 1996)
Schnurrbart (11)
Schnurrbart (12) Die Alte seufzte hinter ihrem Schleier so sehr, daß sie sich's ein bißchen bequemer machte!... Sie nahm ihren Hut ab!... Nach des Pereires' Beschreibung erkannte ich sie... Trotzdem war ich überrascht... Er hatte mich auf den Schnurrbart vorbereitet, den sie sich nicht auszupfen lassen wollte... Er war mehr als ein leichter Anflug!... Nach einer Operation war er ihr gewachsen!... Man hatte ihr alles auf einmal weggenommen ... Die beiden Eierstöcke und die Gebärmutter!... Erst glaubte man, es sei der Blinddarm... aber als man das Bauchfell öffnete, fand man eine Fasergeschwulst... Pean persönlich hatte sie operiert...
Bevor sie so verstümmelt wurde, war Irène des Pereires eine sehr hübsche Frau gewesen, anziehend, reizvoll und alles!... Aber seit diesem Eingriff und besonders seit vier, fünf Jahren hatten die männlichen Merkmale die Oberhand bekommen!... Sie hatte einen richtigen Backenbart, ja beinahe einen Vollbart!... Das alles ertrank jetzt in Tränen! Während sie mit mir sprach, floß es reichlich!... Ihre Schminke tropfte herunter!... Sie hatte sich sehr stark gepudert... geschminkt! Sie hatte sich die Augenwimpern einer Odaliske angemalt, sie verputzte sich, wenn sie in die Stadt ging!... Den gewaltigen Hut mit seinen Hortensiabeeten setzte sie wieder auf... er schwankte im Sturm, sie befestigte ihn mit langen Nadeln... knüpfte den Schleier darum. Plötzlich wühlt sie in ihren Röcken... Sie holt eine mächtige Pfeife hervor ... Auch darauf hatte er mich vorbereitet...
«Stört es Sie, wenn ich rauche?» fragte sie mich... - (
tod
)
Schnurrbart (13)
Schnurrbart (14) »Sie haben eine Eroberung gemacht. Die blonde Lady Edgware läßt Sie kaum aus den Augen.«
»Fraglos hat man sie darüber aufgeklärt, wer ich bin«, sagte mein Freund, mit dem Versuch, sich ein bescheidenes Aussehen zu geben, was ihm gründlich mißlang.
»Ich meine, es gilt Ihrem berühmten Schnurrbart. Seine Schönheit hat sie berauscht.«
»Spötter!« Er streichelte ihn verstohlen. »Oh, diese Zahnbürste, die Sie tragen, Hastings, ist abscheulich - ist eine Grausamkeit, ein willkürliches Verkümmern der Gaben der Natur. Bekehren Sie sich zu einer besseren Einsicht - ich flehe Sie an.«
»Weiß Gott, Lady Edgware ist aufgestanden und will anscheinend mit uns sprechen«,
sagte ich. - Agatha Christie, Dreizehn bei Tisch. München 1982 (zuerst
1933)
Schnurrbart (15)
Es sind alles Märchen. Ich erzähle Ihnen eins. Ich saß während der letzten Lebensstunden
einer Greisin an ihrem Bett, sie hatte nichts zum Zudecken außer einem Überschlaglaken,
fror, auf dem Tisch stand ein Karton angefaulter Gravensteiner, vom Diener ihres
Bruders aus dem väterlichen Park heimlich an sie geschickt. Als Mädchen trug
sie einen der berühmtesten Fürstennamen der Nation. Ihr Mann war Repräsentant
seines Landes am ägyptischen Hof. Als die erste Eisenbahn von Alexandrien nach
Kairo feierlich bekränzt abging, fuhr sie mit vier Hengsten um die Wette und
besiegte den Residenten. Als ihr Mann nach Lissabon versetzt wurde, übernahm
eine holländische Transportfirma den Umzug. Da war ein Packer - kurz und gut,
sie heirateten dann auch, es dauerte ein halbes Jahr. Seitdem zahlte ihr ihre
Familie monatlich sechzig Mark und jetzt das Paket halb verfaulter Äpfel. Ich
fragte: wie denken Sie denn nun jetzt über die vier Hengste und den Newskyprospekt,
über den Sie im offenen Schlitten zum Zarenball jagten, der Botschafter fragt
Ihren Mann: welche Ulanenuniform tragen Sie denn da? II. Brandenburgisches Nr.
2. Unmöglich, sagt der Botschafter, Chef Kronprinz Rudolf, bei der politischen
Konstellation ein grober Fauxpas, sagen Sie dem Zaren ein anderes Regiment;
- Sie kommen an, vor dem Palais lodern die Feuer, die Gorodowois werfen immer
neue Baumklötze in die Glut - die Zarin im strahlenden Ko-koschnik, die Brillanten
von den Perlenohrringen rieseln über die Atlasrobe bis zu den Fußspitzen - Tuberosendüfte
und der Kaviar, wie man ihn essen soll: auf einem warmen Kalatsch, einer Semmel
mit einem Henkel wie ein Körbchen - -: Wie denken Sie jetzt darüber? Sie schwieg
lange, sah vor sich hin, sagte dann mit tiefem Ernst: „Er hatte doch aber einen
so schönen Schnurrbart" - Der Schnurrbart lag fünfzig Jahre zurück, aber
sie sah ihn in ihrer Todesstunde, es war ihre letzte Äußerung. - Gottfried Benn, Drei alte Männer. In: G. B.,
Prosa und Szenen. Ges. Werke Bd. 2. Wiesbaden 1962
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