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Es war eine bewegte Nacht für die Bewohner des Hauses Nr. 8 der Avenue
Gambetta in Lyon. Für einen von ihnen war sie sogar verhängnisvoll. Louis D.,
siebenundzwanzig Jahre, Junggeselle, Handelsvertreter, hatte im Freundeskreis
einen guten Geschäftsauftrag gefeiert und mehr als gut war getrunken. Als er
gegen drei Uhr morgens heimkehrte, bekam er Lust, seine Nachbarn mit einigen
Opernmelodien zu erfreuen; denn er war sehr stolz auf seine Stimme. Nach längeren
Passagen aus ,Faust' stimmte er gerade eine ,Tosca'-Arie an, als ihm einer seiner
Nachbarn, Julien P., fünfzig Jahre, verheiratet, Weinmakler, zu schweigen gebot.
D. weigerte sich. Und um seinen Willen, das Konzert fortzusetzen, deutlich zu
machen, sang er auf dem Treppenflur weiter. P. kehrte daraufhin in seine Wohnung
zurück, bemächtigte sich seiner automatischen Pistole und feuerte sie auf den
unglückseligen Betrunkenen ab. D. wurde sofort ins Krankenhaus transportiert,
wo er bald danach starb. -
Roland Topor, Der Mieter. Zürich 1976 (detebe 20358, zuerst 1964)
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