Nikolassee  Von allen Seiten waren Revolutionen und Putschs unternommen worden, die alle mehr oder weniger blutig niedergeschlagen wurden — eine Republik Mecklenburg-Schwerin, eine Revolte der Roten Armee durch General Watters und andere unter Adolf Holz.

Mir kam plötzlich ein Gedanke.

Hole mir mal das Adressbuch von Nikolassee, sagte ich zu Baader. Was willst Du damit?

Hör mal, wir werden eine Republik Dada in Nikolassee gründen. Wie willst Du das machen?

Ich weiß noch nicht, aber wir werden das gleich haben. Baader ging ab und kam nach zwei Minuten wieder mit dem Telefonbuch. Gut. Nun paß mal auf. Wir wollen zeigen, wie man Republiken gründet, ohne Gewalt, ohne Blutvergießen, ohne Waffen, mit nichts als einer Schreibmaschine bewaffnet. Aber zuerst gib mir das Telefonbuch und notiere die Namen, die ich Dir nennen werde, und die Geldstrafen, die wir ihnen auferlegen werden. Baader witterte Freiluft und wurde ganz Eifer. Er schrieb in sein Notizbuch: Herr Soundso 10.000 Mk Geldstrafe. Herr Daundda 15.000 Mk Geldstrafe und so weiter und so fort.

Nachdem wir eine hübsche Reihe zusammen hatten, sagte ich: Genug. Jetzt kommen die revolutionären Verordnungen. Also: Die dadaistische Republik Nikolassee ist vom Zentralrat Dada für den 1. April 1919 erklärt.

Der Eisenbahnverkehr zwischen Nikolassee und Wannsee einerseits und Schlachtensee andererseits ist für dauernd unterbrochen. Die Feuerwehr ist prinzipiell alle Stunden zu alarmieren.

Die Gerichtsvollzieher sind angewiesen, die in der Namensliste angegebenen Geld­strafen bei den Verurteilten einzutreiben. Sie sind als Villenbesitzer zu schädlichen Bürgern zu erklären und bei Widerstand ins Gefängnis zu werfen. Baader schrieb.

Gut und schön, aber ich sehe noch nicht, wie du das. . .

Beruhige Dich. Wir wollen, wie ich dir schon sagte, ein Beispiel geben, wie man ohne jede Gewalttat die öffentliche Ordnung umwerfen kann. Am 1. April, Abends um dreiviertel sechs Uhr erscheinen wir, du und ich, in Nikolassee, kleben unsere Verordnungen an Mauern und Bäume und gehen schnur­stracks ins Rathaus.Dort verlangen wir den Bürgermeister zu sprechen und erklä­ren ihm: sehr geehrter Herr, wir haben Nikolassee als unabhängige Republik er­klärt. Übergeben Sie uns die Macht, folgen Sie uns die Ortskasse aus, befehlen Sie den Angestellten, nur unsern Befehlen zu folgen. Draußen befinden sich 2000 Mann Soldaten mit Gewehren und Handgranaten. Jeder Widerstand ist un­nütz. Natürlich sind wir ganz allein, aber du wirst sehen, daß das zieht. Baader war sehr begeistert.

Erlaube, daß ich meinen Freund M. dazuziehe, ich schlage vor, ihn zum Finanzminister zu ernennen.

Ich stimmte zu, doch sollte sich dies als Fehler erweisen. Der gute Mann bekam es mit der Angst und steckte das Geheimnis der Bürgermeisterei. Wie mir später eine Freundin, die Baronin von Glümer, die in der Magistratur arbeitete, mitteilte, hatten die Ratsherren derart Furcht bekommen, daß es am 1. April tatsächlich ein Regiment Soldaten in Nikolassee gab — jedoch nicht für, sondern gegen uns! Man glaubte nicht, daß wir zu zweit — nur mit einer Schreibmaschine bewaffnet — anrücken würden.

So blieb denn die hübscheste Gelegenheit, der Welt zu zeigen, daß man mit Nichts Etwas machen kann, aus — und es gab niemals eine Demonstration, die besser für unsere unblutigen Absichten gezeugt hätte. Ja, ja, die DADAisten fraßen kleine Kinder zum Frühstück!  - Raoul Hausmann, Am Anfang war Dada. Hg. G. Kämpf / K. Riha. Giessen 1980

 

Berlin

 

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