einensack  Bud sah auf dem Tisch eine Taschenlampe liegen. Er nahm sie und rannte los.

Nach draußen, ums Haus, zum Anbau. Gerade genug Platz, um unter das Haus zu kriechen. Er zwängte sich in den schmalen Raum.

Dreck, hölzerne Stützen, dann ein langer Leinensack. Es stank nach Mottenkugeln und Schimmel. Er arbeitete sich auf den Ellbogen bis zu dem Sack vor - der Geruch nach Mottenkugeln und Schimmel wurde starker. Er druckte gegen den Sack und sah, wie ein Rattennest explodierte.

Überall um ihn herum rannten Ratten davon, geblendet vom Licht der Taschenlampe.

Bud riß den Sack auf und richtete die Taschenlampe auf den Inhalt. Ratten, ein Schädel, angefressen und verdreckt. Er ließ die Taschenlampe fallen, riß den Sack mit beiden Händen weiter auf. Ratten und Mottenkugeln kamen ihm entgegen. Ein kräftiger Riß, ein Einschußloch im Schädel, eine knöcherne Hand in einem Ärmel - auf dem Flanell das Monogramm »D. C.«

Er kroch zurück ins Freie und schnappte nach Luft. - James Ellroy, L.A. Confidential. Berlin 2006 (zuerst 2000)

Leinensack (2) Die Mutter zeigt einen grauen Leinensack.

Es ist ein Sack, in dem sonst Tote liegen, bevor sie in die Erde kommen. Es ist ein einfacher Sack für einfache Leute.

Für Leute ohne Geld, die sich keinen Sarg und keine Sargträger leisten können und gerade mal ein paar Mark für den Mann mit der Hacke übrig haben, der das Erdreich ausheben soll.

Seine Hackenspitze fährt in einen Wurzelarm und bleibt stecken. Der Mann nutzt die Unterbrechung für eine Pause und zündet sich einen Stumpen an.

Ein nackter Farnarm hängt eingefroren über der Friedhofsmauer. Ein winziges gläsernes Blatt rutscht in eine grüne Steckvase. Der Mann mit der Spitzhacke steht neben dem Krematorium und trinkt sein erstes Bier.

Er öffnet die Flasche mit dem Feuerzeug. Der Mann wartet auf Trinkgeld.

Die Mutter faltet den grauen Leinensack wieder zusammen. Sie faltet ihn wie ein Halstuch über Eck.

Die Mutter sagt: In diesen Sack steck ich den Kopf, wenn's regnet. Dann verlässt sie das Zimmer.

Claudia zieht den Bezug vom Kissen und steckt ihren Kopf hinein. Es regnet und regnet. Claudia erstickt und ist tot.

Die Mutter steckt dem Mann mit der Spitzhacke fünf Mark zu. Er soll dafür ein kleines, gemütliches Mädchengrab schaufeln. Baumwurzeln wachsen wie Gitter über Claudia. Niemand bekommt den Leinensack mehr von ihrem Kopf. Jemand sagt: Ich glaube, wir können es zuschütten. Claudia will schreien, aber der Sack presst sich nur noch enger um ihren Kopf und erstickt jede Silbe.

Claudia will von eins bis zwölf zählen, kommt aber nur bis neun. Deshalb kann sie nicht auferstehen. Manchmal scheitert es an den kleinsten Dingen. Sie fängt noch einmal von vorn an. Claudia denkt: War ich mal eins? Sie denkt: War ich mal zwei? Sie denkt das bei jeder Zahl. Sie muss wach bleiben. Nicht in einen Sekundenschlaf fallen. Nicht die Spitzhacke aus den Augen verlieren. Sie darf nicht zu viel denken, sondern muss die Spitzhacke fixieren. Claudia kommt auf die Idee, ihre Hände zu opfern. Vielleicht kann sie dann weiterleben. Sie streckt ihre Hände der Spitzhacke entgegen. Die Spitzhacke geht ganz leicht hindurch. Der Mutter steigen Tränen in die Augen.

Die mitgebrachten Erdnüsse fallen in den kleinen Eimer unter dem Waschbecken.

Dem Mann mit der Spitzhacke wird gesagt, dass jetzt zwei Gräber benötigt werden: ein Handgrab und ein Grab für den Rest. Der Rest, das ist Claudia. Oder ist Claudia dort, wo ihre Hände sind?  - (raf)

Leinensack (3)
 

Sack

 

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