Leinenduft  Sie redete sich ein, dass sie einer aus dem Halbschlaf geborenen Halluzination erlegen war, und einen gesegneten Augenblick lang, in dem aller Schrecken von ihr abfiel, starrte sie auf die Vision, wartete darauf, dass sie sich in der Dunkelheit auflöste. Aber dann erstarb alle Hoffnung. Die Gestalt stand neben dem Bett, schaute auf sie herunter. Sie erkannte nichts als formlose Konturen, möglich, dass gnadenlose Augen auf sie herabblickten, sie sah nur einen schwarzen Schlitz. Sie hörte Worte, leise gesprochen, die sie nicht verstand. Mühsam hob sie den Kopf aus den Kissen, versuchte krächzend zu protestieren. Sofort war die Zeit ausgesetzt, im Strudel ihrer Panik nahm sie nur noch einen Geruch wahr, den schwachen Geruch nach gestärktem Leinen. Aus der Dunkelheit erschien das Gesicht ihres Vaters. Aber nicht so, wie sie es nach über dreißig Jahren in Erinnerung hatte, es war das Gesicht, das sie in frühester Kindheit nur für kurze Zeit gekannt hatte, jung und glücklich, über ihr Bett gebeugt. Sie hob den Arm, um auf die Kompresse zu zeigen, aber die Hand war zu schwer und fiel zurück. Sie versuchte zu sprechen, sich zu bewegen. »Sieh mal«, wollte sie sagen, »ich bin sie los.« Ihre Glieder fühlten sich an wie in Eisen geschlagen, aber jetzt schaffte sie es, zitternd die rechte Hand zu heben und die Kompresse über der Narbe zu berühren.

Sie wusste, dass es der Tod war, und mit diesem Wissen kam ein unerwarteter Friede, eine Erlösung über sie. Und dann schloss sich die kräftige Hand, hautlos, unmenschlich, um ihre Kehle, drückte ihr den Kopf nach hinten in die Kissen, und die Erscheinung warf ihr ganzes Gewicht auf sie. Sie wollte im Angesicht des Todes die Augen nicht schließen und wehrte sich nicht. - P. D. James, Ein makelloser Tod. München 2009

Duft

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