ogger Der Jogger stolperte, weil er normalerweise nur ein paar andere Jogger sah (alle drehten ihre Runden um den Washington Square Park, eine Strecke, die er ermüdend fand, daher seine Ausflüge nach SoHo); Körper, ausgestreckt auf den Bänken im Park, von ausgebrannten und verkaterten Leuten in den Klauen des Morgens danach; den Verkäufer im Falafel-Imbiß; manchmal einen Mann mittleren Alters - jedesmal einen anderen Mann -, der seinen Hund ausführte - jedesmal einen anderen Hund -, auf der McDougal oder Sullivan; den Verkäufer eines Delikatessengeschäftes an der Ecke von Sixth und Broome, das früh öffnete (obwohl es nicht so früh öffnete, daß es an diesem Morgen schon offen gewesen wäre); die Angestellten der Werkstatt, die die ganze Nacht geöffnet hatte; einige Penner, die auf einer hellerleuchteten Laderampe an der Crosby nördlich der Houston schliefen; vielleicht einen Wächter der New York University, der aus seiner Loge am Washington Place herauskam, um ein bißchen Luft zu schnappen; wieder die Jogger, die um den Park liefen, denn für eine Viertelrunde tauchte er dort noch mal auf, bevor er seinen Lauf unter dem Triumphbogen an der Fifth Avenue beendete; und natürlich seinen Portier, Teddy — und an den Wochenenden Pat. Jedenfalls niemanden, der sich ihm mit ausgestreckter Hand näherte, wie die Gestalt es tat.

Er stolperte und hatte drei Gedanken.

Erstens: daß er oder sie — oder es — ihm etwas anbot, einen Talisman oder einen Schatz, den er verstecken sollte. Eine romantische, lächerliche Vorstellung.

Zweitens: eine Überlegung, die der ersten auf dem Fuß folgte: daß er zur Rede gestellt wurde, daß die Gestalt der Hüter der Straße war, sein... wie hieß er noch? Zerberus? Nein, Zerberus war ein Hund, ein Hund mit drei Köpfen. Charon - so hieß er; Charon, der Fährmann. Passender, weil düsterer, wenn auch nicht weniger albern. Denn: ließ Charon je einen aus der Hölle zurückkommen?

Drittens: ein Gedanke, der sein erster hätte sein sollen (denn dies war schließlich New York City, die Hauptstadt der Welt, die Heimat von Tausenden — oft schien es: von Millionen — Obdachlosen): daß er um eine kleine Spende gebeten wurde. Das schien plausibel, auch wenn es überhaupt nicht plausibel war, daß ein Bettler denken könnte, jemand in Unterhemd, Shorts und Turnschuhen hätte irgendwelches Kleingeld bei sich. Der dritte Gedanke des Joggers war sein letzter, denn das, was die Gestalt ihm entgegenhielt, war kein wertloses Schmuckstück, auch keine Hand, die ihn stoppen wollte, sondern eine Pistole. Die Kugel schlug ein Loch in seine Stirn und beendete das Denken. - Jerry Oster, Nowhere Man. Reinbek bei Hamburg 1989 (zuerst 1987)

Jogger (2)  Die Schwester stirbt derzeit an Krebs, ratlos in ihrem Jaucheglück eine Stunde schmerzfrei. Es noch ausnützen! Bunte Motorenmützen beleben farbig, unbunte Jogger, dem ersten Alter entschlüpft, tun es der Jugend nach. Noch leben bitte! Verrecken zuckend im Laufschuh. Von Lungen siedend krachen sie ins Gebüsch, wo andere schon der Liebe geduldigt haben.  - Elfriede Jelinek, Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr. Reinbek bei Hamburg 1993

Jogger (3)  Ein 53 jähriger Arzt, beschnitten, Nichtraucher, mäßiger Trinker (einen Highball vor dem Dinner), 1,78 Meter groß, 70 Kilogramm schwer, ohne Krankheiten, seit vielen Jahren ein tüchtiges körperliches Training absolvierend, begann seinen gewohnten 30-Minuten-Lauf in einem nahegelegenen Park am 3. Dezember 1976 um 7 Uhr abends. Er trug eine ausgestellte Polyestertrikothose, Boxershorts aus einem Dacron/Baum-wolleGemisch, ein baumwollenes T-Shirt und ein baumwollenes Hemd, einen leichten Wollpullover, eine Nylon-Offiziersjacke über dem Pullover, Handschuhe und tiefgeschnittene Pro-Ked-Turnschuhe. Die Nylonjacke fiel leicht über die Gürtellinie.

Die Wetterberichte im Radio meldeten für die Gegend eine Außentemperatur von minus 3 Grad Celsius sowie strengen Frostwind.

Von 7.00 bis 7.15 Uhr verlief alles wie gewohnt. Um 7.25 Uhr bemerkte der Jogger eine unangenehme, schmerzvoll brennende Empfindung an der Spitze seines Penis. Von 7.25 bis 7.30 wurde dieses Unbehagen intensiver, der Schmerz nahm mit jedem Schritt zu, wie sich dasTraining seinem Ende näherte. Um 7.30 endete der Lauf, und der Patient kehrte nach Hause zurück.

Eine körperliche Untersuchung um 7.40 Uhr in seiner Wohnung bei komfortabler Raumtemperatur ergab ein frühes Stadium von Peniserfrierung. Die Eichel war frostig, rot, weich bei Manipulation und gefühllos bei Seichter Berührung. Sofortige Therapie wurde in Angriff genommen. Die ausgestellte Polyestertrikothose und die Unterhose aus Dacron/Baumwolle wurden entfernt. Stehend, die Beine gespreizt, formte der Patient ein Bettchen zur raschen Erwärmung der Penisspitze, indem er sie mit der Innenfläche seiner hohlen Hand bedeckte.

Die Reaktion war rasch und umfassend. Die Symptome legten sich 15 Minuten nach Beginn der Behandlung, und der körperliche Befund wurde wieder normal.

Nebenwirkungen: Um 7.50 Uhr kehrte die Ehefrau des Patienten vom Einkaufen zurück und beobachtete ihren Mann während der Behandlungsprozedur. Sie sah ihn mit gespreizten Beinen im Schlafzimmer stehen, von der Taille abwärts nackt, die Spitze seines Penis in der rechten Hand haltend und mit der Linken im >New England Journal of Medicine< blätternd. Die ehefrauliche Beobachtung dieser Therapie hatte rasch zahlreiche, vielfältige und heftige Nebenwirkungen zur Folge.  - Melvin Hershkowitz, nach: Der Rabe 35. Zürich 1993

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