Hopfenbuche  Nur wenige, abgesehen von den Jägern, kennen die dunklen Hopfenbuchen. Hainbuchen sind hell und harmlos und unterscheiden sich nur wenig vom Haselstrauch; Hopfenbuchen haben ein finsteres, verbissenes, starrsinniges Wesen. Gewiß setzen auch sie, wie alle anderen Gewächse, Blüten und Blätter an, aber vielleicht in aller Heimlichkeit, denn keiner sah sie jemals blühen und austreiben. In jeder Jahreszeit ist ein Gehölz von Hopfenbuchen nichts als ein niedriges Gestrüpp, das verschlungen und knorrig fast am Boden kriecht, festgefügt wie Stein, und kahle und ganz lange Ruten ausschickt; diese scheinen biegsam und hart wie Stahl zu sein, sind aber in Wirklichkeit klebrig und anhaftend wie Tentakel. Mit welcher besonderen Aufgabe auf Erden die Hopfenbuchen betraut sind, entzieht sich unserer Kenntnis. Doch ruft der Widerschein ihres düsteren, undurchdringlichen Wesens bei jedermann Entsetzen hervor, der in dieses perlfarbene Volk eindringt.

Ein Jäger, der sich durch ein Gehölz von Hopfenbuchen seinen Weg bahnen will, läßt nicht nur notgedrungen Fetzen an den bekrallten Beugen von Wurzeln und Stämmen zurück, muß nicht nur tausendmal mit knorrigen Stecken um sein Gewehr hadern und es ihnen wieder entwinden, wenn sie es höhnisch zu sich gerissen haben und festhalten wie ein Hund seinen Knochen: sondern der Ärmste, verloren in der kosmischen Finsternis und im perlfarbenen Gewirr der Schößlinge, muß auch, um überhaupt durchzukommen, alle Augenblicke die elastische Anmaßung der Ruten von sich abhalten. Und diese, kurz zurückgebogen und gespannt, schlagen ihm — sicher und auf den Millimeter genau berechnet - alle Augenblicke pfeifend an die vor Kälte erstarrten Ohren, die geschwollenen Handrücken, die Wangen, die Haut unter seinen Augen, die schreckhaft geschlossenen Augenlider, eben an alles, was bei ihm empfindlich und verletzbar ist. Hat die Rute, oft mit ihrer dünnsten und fügsamsten Spitze, den Peitschenhieb versetzt, kehrt sie in ihre gewohnte Stellung zurück, als sei überhaupt nichts geschehen, und nur ein gleichgültiges Zittern zeugt noch von ihrer verstohlenen Tat. Wie sich solches begibt, weiß man nicht: in einem Gestrüpp aus anderen Gewächsen, sagen wir sogar aus Hainbuchen, konnte ein elastischer Zweig, der weggebogen und dann sich selbst überlassen wurde, allenfalls einen dahinter Kommenden treffen. Doch jedes Staunen vergeht hier gar rasch. Wie sich auch jeder Willensvorrat rasch erschöpft.

Man ist der Hexerei dieses luftigen, perlfarbenen, dreisten, niederträchtigen Volkes ausgeliefert: knorrige Gnome und böse Sylphiden umtanzen einen hemmungslos mit ihrem Reigen, dessen Töne in diesem Rauschen und Pfeifen sind. Der Rutenhieb, der auf dem Fleisch fast zu verharren und zu haften scheint, ohne dabei etwas von seinem brennenden Sausen zu verlieren, gleicht oft dem Flügelschlag einer Schnepfe, die sich, von der Vegetation behindert, aus dem Gebüsch erhebt; noch eine Bosheit des Gehölzes zum Schaden der Jäger. Und selbst wenn diesen der weiche Büschel aus gesträubten Turtelfedern über einem spitzen Schnabel dann nur eine Handbreit vor den Gewehrlauf käme, sie würden ihn verlorengeben und ziehen lassen.

In ein solches Gehölz war Jener geraten. Doch ging er jetzt fast zügig voran! Die Hopfenbuchen mußten seine Gleichgültigkeit bemerkt haben, das Spiel schien ihnen nicht viel einzubringen. Schnee. Das Morgengrauen ist ein wenig heller geworden. Kratzer, Sausen, Peitschenhiebe gehen über sein Fleisch hinweg wie das dumpfe, konstante Rauschen eines Wildbachs. Schnee: doch was ist diese weiße Gestalt, die aus dem Schnee und über den Schnee zu springen scheint? «Es gibt ganz weiße Hasen», flüsterte in Jenem eine falsche und ungehörte Stimme. «Ob größer oder kleiner, eben ein Hase. Oder ein verlaufenes Schaf?» monologisierte die Stimme weiter.  - Tommaso Landolfi, Der Tod des Königs von Frankreich. Nach (land)

 

Gestrüpp Buche

 

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