ischen Während des Schlafes hatte sich meine Situation beträchtlich verändert. Ich lag jetzt auf dem Rücken, lang ausgestreckt auf einer Art niedrigem Rahmengestell aus Holz. Mit einem langen Riemen, der einem Sattelgurt ähnelte, hatte man mich darauf festgeschnallt, umschlang mir in zahlreichen Windungen Glieder und Leib, so daß ich einzig den Kopf noch bewegen konnte und meinen linken Arm so weit grad, daß es mir unter großem Kraftaufwand möglich war, mich aus der irdenen Schüssel, die neben mir auf dem Boden stand, mit Nahrung zu versorgen. Zu meinem Schrecken sah ich, daß man den Wasserkrug fortgenommen hatte. Ich sage ‹zu meinem Schrecken›; denn ein schier unerträglicher Durst verzehrte mich. Diesen Durst zu reizen, hatte offenbar in der Absicht meiner Verfolger gelegen; denn das Gericht in der Schüssel bestand aus scharf gewürztem Fleisch.

Aufwärts blickend musterte ich nun die Decke meines Gefängnisses. Sie befand sich einige dreißig oder vierzig Fuß hoch über mir und besaß die etwa gleiche Struktur wie die Seitenwände. Auf einer der Plattentafeln fesselte eine sehr sonderbare Figur meine ganze Aufmerksamkeit. Es war die gemalte Bildgestalt der Zeit, wie sie gemeinhin dargestellt wird, nur daß sie an Stelle der Sense ein Etwas in Händen hielt, das ich beim ersten flüchtigen Blick für die Abbildung eines ungeheuren Pendels hielt, wie man es an altertümlichen Standuhren sieht. Doch hatte dieses Gerät etwas an sich, das mich trieb, es aufmerksamer zu betrachten. Indessen ich so hinaufstarrte (denn es befand sich senkrecht über mir), bildete ich mir auf einmal ein, ich sähe es in Bewegung. Im nächsten Augenblick schon wurde dieser Gedanke zur Gewißheit. Kurz, und natürlich langsam, schwang es hin und her. Ich sah ihm einige Minuten zu, mit leichtem Angstgefühl, doch noch mehr Staunen. Schließlich aber ward ich's müde, das öde Pendeln zu betrachten, und wandte meine Augen den anderen Gegenständen in der Zelle zu.

Ein schwaches Geräusch ließ mich aufmerken, und als ich auf den Boden blickte, sah ich mehrere grausig große Ratten darüber hinhuschen. Sie waren aus dem Brunnen gekommen, der grad rechterhand in meinem Blickfeld lag. Und eben jetzt, da ich hinübersah, strömten sie in Scharen herauf, ein gieriges Gewimmel, das der Fleischgeruch herangelockt hatte. Es bedurfte vieler Mühe und Aufmerksamkeit, sie von meiner Schüssel zu verjagen.

Eine halbe, vielleicht gar eine ganze Stunde mochte verstrichen sein (mein Zeitgefühl war nur noch unvollkommen), da richtete ich meinen Blick wieder in die Höhe. Was ich nun sah, verwirrte und bestürzte mich zutiefst. Das Pendel schwang um nahezu eine ganze Elle weiter aus. Auch die Geschwindigkeit hatte sich - eine natürliche Folge - beträchtlich vergrößert. Doch was mich am meisten verstörte, war der Gedanke, daß es sich merklich gesenkt habe. Ich bemerkte nun - mit welchem Entsetzen, bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung - daß sein unteres Ende von einer Halbmondsichel aus glitzerndem Stahl gebildet ward, die von Horn zu Horn wohl einen Fuß in der Länge maß; die Hörner waren nach oben gerichtet, und der Bogen unten schien so scharf zu sein wie die Schneide eines Rasiermessers. Gleichfalls wie ein Rasiermesser mutete es massig und schwer an, denn nach oben zu verbreiterte sich die Schneidkante zu einem festen und starken Rücken. Es hing am Ende einer gewichtigen Bronzestange, und das Ganze zischte, als es durch die Luft schwang.  - Edgar Allan Poe, Die Grube und das Pendel, in (poe)

Zischen (2)  Zuerst hörte er gar nichts, doch dann drang aus der Grube ein leiser, kaum vernehmbarer Laut, ein schwaches, fast nicht wahrnehmbares Geräusch, das sich anhörte, als ob jemand mit gegen den Gaumen gepreßter Zunge ausatmete. Er lauschte gespannt, das Gerausch wurde stärker und schwoll an zu einem grellen, furchterregenden Zischen, als ob die ganze Grube vor glühender Hitze zu kochen schien; Vaughan, unfähig, länger in seinem Versteck auszuharren, schob seinen Hut wie Dyson in die Stirn und starrte in das Loch. Dort brodelte und kochte es in der Tat wie in einem Höllenschlund. Auf der ganzen Oberfläche der Grube wirbelten und wanden sich undeutliche Gestalten; sie bewegten sich, ohne daß man Schritte hörte, hin und her, bildeten Klumpen und schienen sich mit Hilfe jener seltsamen, dem Zischen von Schlangen ähnlichen Laute miteinander zu verständigen, die er zuerst gehört hatte. Es war, als ob das grüne Gras und die reine Erde sich vermischt hätten mit einem modrigen, wuchernden Gewächs. Vaughan konnte sich von dem Anblick nicht lösen, obgleich er Dysons Hand an seiner Schulter spürte; er starrte in die brodelnde Masse, gewahrte undeutlich menschliche Gesichter und menschliche Gliedmaßen und spürte doch in seinem Innersten, daß an diesem brodelnden, zischenden Hexensabbat keine menschliche Seele beteiligt war. Er war entsetzt und unterdrückte mit Mühe ein schreckerfülltes Aufstöhnen. Die widerlichen Gestalten drängten sich nun inmitten der Grube um einen nur vage erkennbaren Gegenstand zusammen; das Zischen ihrer Sprache wurde lauter, er sah in der Dunkelheit ihre widerwärtigen Gestalten — zwar undeutlich, aber doch unterscheidbar — sich winden und durcheinanderwirbeln, und plötzlich meinte er durch den Lärm der tierischen Geräusche einen menschlichen Laut zu vernehmen. In seinem Innern erhob sich eine Stimme und rief immer wieder: «Der Wurm der Verdammnis, der Wurm, der nicht stirbet.» Seine Phantasie malte das grauenerregende Bild eines verwesenden, aber durch und durch lebendigen Haufens von aufgeschwemmtem, wucherndem Gedärm. Auf und ab wogte der Tanz der düsteren Gliedmaßen, doch jetzt schienen sie sich um die dunkle Gestalt inmitten der Grube zu versammeln. Der Schweiß troff von Vaughans Stirn und fiel kalt auf seine Hände. Dann — es schien das Werk eines Augenblicks — teilte sich die Masse und glitt zurück zu den Rändern der Grube. Für einen Moment sah Vaughan in der Mitte der Grube zwei hocherhobene menschliche Arme; wenig entfernt glomm ein Holzspan, ein Feuer wurde entfacht, und im selben Augenblick, da die Stimme einer Frau in einen schrillen Schrei der Angst und des Entsetzens ausbrach, erhob sich eine riesige Pyramide von Flammen, brach hervor wie eine niedergehaltene Fontäne und tauchte den ganzen Berg in gespenstisches Licht. Jetzt konnte Vaughan die Myriaden an den Seiten der «Bowl» deutlicher erkennen: Sie waren wie Menschen gestaltet, doch von winzigem Wuchs wie entsetzlich mißgebildete Kinder, ihre mandelförmigen Augen brannten von bösen, unaussprechlichen Begierden. Dann wurde die Grube wie von Magierhand leergefegt, die Masse von geisterhaftem, gelbem aufgeschwemmtem Fleisch war weg; nur das Feuer fauchte knisternd, seine Flammen erhellten die Umgebung.

«Du hast die Pyramide gesehen», sagte Dyson, «die Pyramide aus Flammen.»  - Arthur Machen, Die leuchtende Pyramide. In: A.M., Die leuchtende Pyramide. Stuttgart 1983. Die Bibliothek von Babel Bd. 16, Hg. Jorge Luis Borges

Zischen (3)  Auf dem Brückengeländer saß an diesem Tag ein  Paar, der Mann schon älter, im zweireihigen Anzug mit Ziertüchlein, Krawatte und weißem Hemd, der jüngeren Frau nah an den Leib gerückt, unter Murmeln und Flüstern unablässig den Kopf an dem ihren reibend, sie zwischendurch auch mit der Stirn stoßend: würden die beiden hintüber in den Kanal fallen, so käme von da, stellte ich mir vor, ein Zischen wie von etwas Glühheißem.  - Peter Handke, Der Chinese des Schmerzes. Frankfurt am Main 1986 (zuerst 1983)

Zischen (4)  Sobald Sir Ralph auf dem Schiff ist, sieht er eine junge Frau im hautengen, seitlich bis weit hinauf geschlitzten Kleid, die einen großen schwarzen Hund mit gespitzten Ohren an der Leine hält; sie geht mit geschmeidigem und regelmäßigem Schritt auf dem überdachten Deck hin und her, wo man das Wasser in der Nacht nicht sehen kann, jedoch hört, wie es sich mit dem Geräusch von knitterndem Stoff an den Flanken des Fahrzeugs reibt. Ihr Körper, der sich unter der dünnen Seide bewegt, wirkt trotz ihrer reservierten Haltung provozierend. Um das Tempo des Hundes, der vor ihr herläuft und ein wenig zu stark an seiner straff gespannten Lederleine zerrt, zu zügeln, stößt die junge Frau zwischen den Zähnen einen fast unhörbaren Zischlaut hervor, wie eine Kobra, kurz und scharf. Im Verlauf der zwanzig Minuten, die das Übersetzen dauert, begegnet Sir Ralph, wenn er auf der Promenade ihren Weg kreuzt, ihrem blauen Blick, der dem seinen gelassen standhält. Aber er spricht sie schließlich doch nicht an, vielleicht wegen des Hundes, der zu knurren beginnt, sobald ein Fremder sich nähert.  - Alain Robbe-Grillet, Die blaue Villa in Hongkong. München 1969 (dtv 548, zuerst 1965)

Zischen (5)  Im ersten Weltkrieg - die Kriege werden ja bereits numeriert - schrieb ich meine ersten Kompositionen, verwegener noch als Schönberg, noch beherrschter als Webern - von beiden wusste ich nichts. 1919 gab der später so hochgefeierte Eduard Erdmann sein allererstes Konzert in Berlin mit meinem Stück ›Roquairol‹ (eine Figur aus dem ›Titan‹ von Jean Paul). Dieser Abend ist als unerhörter Skandal in die Geschichte der Musikschlachten eingegangen. Mitten in dem horriblen Getobe umarmte mich ein Riese, er hieß Schmidt-Rottluff. Wenige Tage darauf gab ein noch unbekannter Dirigent ebenfalls sein erstes Konzert: Hermann Scherchen. Es gefiel mir nicht und ich zischte. Der Saaldiener holte mich ins Künstlerzimmer: Scherchen stand völlig ungeniert nackigt und schwitzend in einer Wanne und ließ sich begießen. »Sie also - Sie haben gezischt, so müssen Sie etwas verstehen. Kommen Sie, wir gehen essen.« In seine Dachkammer. Wir nannten uns sofort Du, und das war damals eine Sache auf Leben und Tod. Hermann ist noch heute mein erklärter Freund, er lud mich soeben ein nach Ischia auf sein Landhaus, ehe er nach Washington geht auf Tournee, - kommenden Winter dirigiert er wieder in Kassel, nur mir zu liebe, in Kassel schlafen die Musen.  - Hans Jürgen von der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005

Zischen (6) 

Geräusch Gefahr Schlange
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