roßonkel     Ich liebte diesen prahlerischen Alten, weil er auf dem Markt Fische verkaufte. Seine dicken Hände waren feucht, stets voll Fischschuppen und rochen nach kühlen, wunderbaren Welten. Was ihn vor gewöhnlichen Leuten besonders auszeichnete, waren seine Lügengeschichten über den polnischen Aufstand 1861. Ehemals war Schoil Schenkwirt in Skwira gewesen; er hatte gesehen, wie Graf Godlewski und die andern polnischen Insurgenten von den Soldaten Nikolais I. erschossen wurden. Aber vielleicht hatte er es auch nicht gesehen.  - (babel)

Großonkel (2)  Man gewahrte  dort unten, wenige Handbreit vom Ufer entfernt, die Kette von Luftbläschen, die er schnaufend nach oben sandte, wie dies Leute zu tun pflegen, die ein gewisses Alter erreicht haben, oder auch die kleine Schlammwolke, die er mit seinem spitzen Maul aufgewühlt hatte, denn er wühlte ununterbrochen, mehr aus Gewohnheit, als um etwas zu suchen.

»Onkel N'ba N'ga, wir sind da, um Sie zu besuchen! Haben Sie uns erwartet?« riefen wir und plantschten mit Füßen und Schwänzen im Wasser herum, um seine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.

 »Wir haben Ihnen die neuesten Insekten mitgebracht, die es bei uns gibt! Onkel N'ba N'ga! Haben Sie je so große Schaben gesehen? Probieren Sie doch mal, wie sie Ihnen schmecken ...«

»Mit den stinkenden Schaben könnt ihr euch die abscheulichen Warzen abputzen, die ihr am Leibe habt!« Der Großonkel hatte stets eine ähnliche oder noch unflätigere Antwort parat. So empfing er uns jedesmal, wir aber kümmerten uns nicht sonderlich darum, wußten wir doch, daß er sich nach einer Weile beruhigen, die Mitbringsel annehmen und in liebenswürdigerem Ton mit uns plaudern würde.

»Was für Warzen denn, Onkel N'ba N'ga? Wann hätten Sie je eine Warze an uns gesehen?«

Die Sache mit den Warzen war ein pures Vorurteil des alten Fisches, glaubte er doch, daß wir, die wir auf dem Trockenen lebten, eine Unmenge Warzen am Leibe hätten, die Flüssigkeit absonderten; das traf schon zu, freilich nur bei den Kröten, die nichts mit uns gemein hatten; im Gegenteil, unsere Haut war so glatt und schlüpfrig, wie kein Fisch sie je auf zuweisen hatte; und der Großonkel wußte das sehr wohl, aber er konnte es nicht lassen, seine Reden mit allen Verleumdungen und Vorurteilen zu würzen, in denen er aufgewachsen war.

Einmal im Jahr kamen wir, die ganze Familie vollzählig, zum Großonkel zu Besuch. Das bot zugleich Gelegenheit, die andern Angehörigen der Sippe wiederzutreffen, die über das ganze Festland verstreut lebten; da wurden Neuigkeiten und eßbare Insekten ausgetauscht und über Themen von gemeinsamem Interesse geplaudert, mit deren Erörterung wir bei der letzten Zusammenkunft nicht fertig geworden waren.

Der Großonkel pflegte sich auch in Dinge einzumischen, von denen ihn viele Kilometer trockenen Landes trennten, wie etwa die Revieraufteilung bei der Libellenjagd, dabei gab er bald dem einen, bald dem andern recht, und zwar stets nach seinen Begriffen des Wasserbewohners. »Weißt du denn nicht, daß derjenige, der am Grunde jagt, immer im Vorteil ist vor dem, der an der Oberfläche nach Beute sucht? Was zerbrichst du dir also so sehr den Kopf darüber?« »Aber begreifen Sie doch, Onkel, hier dreht es sich nicht um Grund oder Oberfläche: ich bin unten am Hügel, und er auf halber Höhe ... die Hügel, das ist Ihnen doch bekannt, Onkel ...«

Darauf erwiderte er: »Am Fuß der Felsen gibt's immer die besten Krebse.« Da war nichts zu machen, er konnte sich keine Realität vorstellen, die anders war als die seine.

Und doch hatte sein Urteil für uns alle immer noch Gewicht: schließlich suchten wir seinen Rat in Angelegenheiten, von denen er keine Ahnung hatte, obgleich wir wußten, daß er völlig unrecht haben konnte. Vielleicht stammte seine Autorität gerade daher, daß er noch ein Relikt der Vergangenheit war, daß er altmodische Redewendungen gebrauchte wie: »Nimm doch deine Flossen etwas mehr herunter, so ist's brav!« deren Sinn wir gar nicht mehr so recht verstanden. - Italo Calvino, Kosmokomische Geschichten. Frankfurt am Main 1969 (zuerst 1965)

 

Onkel

 

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