- (
johns
)
Großstadt (2)
Der Himmel blinkt wie Blut
so rot, Die Seele siech, mit kranker Brust,
Er weiß, er weiß es, sie bereuts! |
- Arno Holz ,
aus
»Blechschmiede«
Großstadt (3) Die großen Verkehrs-Adern
sind alle häßlich und planlos, viele sogar erbärmlich unsauber. Es ist
etwas Seelenloses, etwas zermalmend Materialistisches in dieser einförmigen
meist abstoßend häßlichen Häuserwüste von schmalen zwei- und dreistockigen
Gebäuden, die mit riesigen Waren-Magazinen abwechseln. - Eine Wüste,
die die Hand der Natur geschaffen hat, können wir noch schön finden, denn
es ist etwas wie Seele in ihr. Eine Wüste aber von Menschenhand, nach strengsten
armseligen Geschäfts-Grundsätzen hergestellt, ist gräßlich; - ihr fehlt
jede Spur einer Seele: sie erinnert an die Leiche
eines Idioten. - Gustav F. Steffen, Aus dem
modernen England. 1895
Großstadt (4) Ich stecke voll bis an den
Hals hinauf mit Gesichten - und diese Arbeit bedeutet mir alleinige Emotionen,
federnde Erregung, sausende Straßenfront auf Papier! oder hui? kreist der Sternenhimmel
übern roten Kopf, die Elektrische platzt ins Bild, es klingeln die Telefons,
Gebärende schreit auf, indes Schlagring und Solingmesser friedlich in der schwülen
Zuhälterhose schlummern - ach und die Labyrinthe der Spiegel, ihr Straßenzaubergärten!
wo Circe die Menschen in Säue abwandelt ... - und die portweinroten, nierenzerfressenden
Nächte, in denen der Mond ist neben Infektion und schimpfendem Droschkenkutscher,
und wo im staubigen Kohlenkeller der Würgemord passiert - oh Emotionen der großen
Städte! ... Zugreifen! Peer! Zugreifen! Hinein in den Schutt!!! schwitzend arbeiten
zu können! tief wie in heißen Bergwerks, unwhistlerisch - hart und energievollst
das Papier zerfasern, Linien darüber hinzaunen - Weite in sich zu haben - vor
allem Peer, Streben! Elastizität, hochschnellen können!!!! Biceps, Triceps und
Deltamuskeln - ruhig vorher am Stahlstrecker arbeiten! (am Chest-Expander dehnen!!!).
- George Grosz, Brief an Otto Schmalhausen vom 30. Juni 1917, nach:
Peter-Klaus Schuster u.a., George Grosz Berlin New York. Ausstellungskatalog
Berlin 1994
Großstadt (5) Also hören Sie sich mal
an, was der kleine Johnny Maguire sich mit Hilfe der Menschen, die in seinem
Fahrstuhl fahren, draußen für eine Stadt vorstellt.
Als erstes stelle ich mir vor, daß die Temperatur im Sommer ungefähr fünfzig
Grad im Schatten und im Winter fünfzig Grad in der Sonne beträgt. Irgendetwas
muß ja an der Vorliebe der Damen für Chiffon und Spitze schuld sein. Dann müssen
die Häuser erheblich an Höhe gewonnen haben, denn die Damen halten, während
sie gehen, als quäle sie etwas, alle die Nase himmelwärts, als beobachteten
sie Backsteine, die sich in die Wolken emporschwingen, und dann denke ich mir,
da muß es irgendwo ein wahres Ungeheuer von einem Kerl geben, einen mit Schwanz
und Hörnern, der eine gemeine Peitsche schwingt, denn sie eilen so hurtig in
ihren roten Stiefelchen und ihren schwarzen und hellbraunen Pumps und auf ihren
ewigen hohen Hacken dahin, und so würde ich auch meinen, daß die Stadt sehr
prächtig ist und Männer sie erbaut haben, weil die immer so aufgeblasen und
eingebildet sind und so gewaltige Gesten machen und so laut sprechen. Zusammenfassend
würde ich sagen, daß das wohl schon eine beachtliche Stadt ist, doch daß die
Menschen sich Sachen ausdenken, die, wenn sie aufhören, Träume zu sein, manchmal
Alpträume werden. Denn statt Ruhe auszustrahlen und das stolze Gefühl, etwas
geschaffen zu haben, rennen die Menschen dem unablässig hinterher, und der lange
Schatten des höchsten Wolkenkratzers zeigt mit dem Finger auf sie und sagt:
Denkt ihr nicht ein bißchen zuviel an eure Mauern und ein bißchen zu wenig an
eure Gärten? - Djuna Barnes, New York. Berlin 1987
(zuerst 1913)
Großstadt (6) Hier ist die Hölle für Einsiedler-Gedanken: hier werden große Gedanken lebendig gesotten und klein gekocht.
Hier verwesen alle großen Gefühle: hier dürfen nur klapperdürre Gefühlchen klappern!
Riechst du nicht schon die Schlachthäuser und Garküchen des Geistes? Dampft nicht diese Stadt vom Dunst geschlachteten Geistes?
Siehst du nicht die Seelen hängen wie schlaffe schmutzige Lumpen? - Und sie machen noch Zeitungen aus diesen Lumpen!
Hörst du nicht, wie der Geist hier zum Wortspiel wurde? Widriges Wort-Spülicht bricht er heraus! — Und sie machen noch Zeitungen aus diesem Wort-Spülicht.
Sie hetzen einander und wissen nicht, wohin? Sie erhitzen einander und wissen nicht, warum? Sie klimpern mit ihrem Bleche, sie klingeln mit ihrem Golde.
Sie sind kalt und suchen sich Wärme bei gebrannten Wassern: sie sind erhitzt und suchen Kühle bei gefrorenen Geistern; sie sind alle siech und süchtig an öffentlichen Meinungen.
Alle Lüste und Laster sind hier zu Hause; aber es gibt hier auch Tugendhafte, es gibt viel anstellige angestellte Tugend: -
Viel anstellige Tugend mit Schreibfingern und hartem Sitz- und Wartefleische, gesegnet mit kleinen Bruststernen und ausgestopften steißlosen Töchtern. ....
O Zarathustra! Speie auf diese Stadt der Krämer und kehre um!
Hier fließt alles Blut faulicht und lauicht und schau-micht durch alle Adern: speie auf die große Stadt, welche der große Abraum ist, wo aller Abschaum zusammenschäumt!
Speie auf die Stadt der eingedrückten Seelen und schmalen Brüste, der spitzen Augen, der klebrigen Finger —
- auf die Stadt der Aufdringlinge, der Unverschämten, der Schreib- und Schreihälse, der überheizten Ehrgeizigen: -
- wo alles Anbrüchige, Anrüchige, Lüsterne, Düstere, Übermürbe, Geschwürige,
Verschwörerische zusammenschwärt... - Friedrich Nietzsche, Also sprach
Zarathustra
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