iftmädchen   Die Inder, und nicht sie alleine, glaubten, so berichtet R. Schmidt (Liebe und Ehe im alten und modernen Indien, Berlin, 1904), daß man durch gewohnheitsmäßigen Genuß eines bestimmten Giftes sich derart imprägnieren könne, daß die bloße Berührung, ja schon das Anhauchen und Anblicken genüge, um den sofortigen Tod des Berührten herbeizuführen.

 In dieser Ueberzeugung benutzte man besonders schöne Mädchen, die von Kindesbeinen an an ein Gift gewöhnt wurden, als äußerst wirksame Liebesgeschenke, wenn es sich darum handelte, etwa einen feindlichen Heerführer und seine Mannen schnell zu vernichten: die Umarmung eines solchen Giftmädchens war eben unfehlbar tödlich.

Wie man das Gift den Mädchen beibrachte, geht aus einem Bericht von Kazwini (S. de Sacy, Chrestomathie Arabe, 2. Aufl., Paris, 1826, 2. Bd.) hervor. Man streute das Gift einige Zeit lang unter die Wiege des neugeborenen Mädchens, dann unter sein Bettpolster, dann unter seine Kleider. Endlich gab man ihm das Gift in der Milch zu trinken, bis es das herangewachsene Mädchen auch in größeren Dosen ohne Schaden zu sich nehmen konnte. Dieses Gift war die Wurzel der in Indien heimischen Arten von Aconit, hauptsächlich Aconitum fera, im Indischen »visa« genannt. Ein solches Giftmädchen als Angebinde soll die Königin von Indien,  wie wir bei W. Hertz (Die Sage vom Giftmädchen, München, 1893) lesen, Alexander dem Großen zugedacht haben, und zwar sollte die Vergiftung hier während des Beischlafes, doch nicht durch diesen, sondern durch einen tödlichen Biß erfolgen. In späteren Fassungen der Sage ist es nicht der Biß, sondern der bloße Blick und Hauch des Mundes, die tödlich wirken. Die mit dem Gift durchtränkten Mädchen heißen im Sanskrit »visakanyâ« = Giftmädchen oder »visânganâ« = Giftweib, und die indischen Schriftsteller sprechen, wie Bloch (s. Der Ursprung der Syphilis, Bd. III) berichtet, von ihnen als von einer allbekannten Sache.

Daß die Sage die Uebertragung des Giftes vorwiegend an das weibliche Geschlecht knüpft, hängt mit dem uralten Glauben an die besondere Befähigung des Weibes für Vergiftungskünste zusammen, die es in seiner Eigenschaft als Hexe und Zauberin ausübt, wobei es besonders sich des Sexualtriebes der Männer bedient und vermittelst des »Concubitus venenatus« seinen teuflischen Zweck erreicht.

Das »Giftmädchen« oder, besser gesagt, der Glaube an die tödliche Vergiftung im Liebesgenuß hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Denn es gibt gewisse Zustände der Frau, in denen man sie auch heute noch für »giftig« hält (nicht bloß das Deflorationsblut, sondern auch das Menstruationsblut wird von abergläubischen Menschen für giftig angesehen) und aus einem zu dieser Zeit vollzogenen Beischlafe alle möglichen schädlichen Folgen ableitet.  - (erot

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