Geschlagenwerden   Ich habe mich oft genug bemüht, für die unter einem Theil der menschlichen Gesellschaft so fest stehende Ueberzeugung von der Entsetzlichkeit eines Schlages, entweder in der thierischen, oder in der vernünftigen Natur des Menschen, irgend einen haltbaren, oder wenigstens plausibeln, nicht nur in bloßen Redensarten bestehenden, sondern auf deutliche Begriffe zurückführbaren Grund zu finden; jedoch vergeblich. Ein Schlag ist und bleibt ein kleines physisches Uebel, welches jeder Mensch dem Andern verursachen kann, dadurch aber weiter nichts beweist; als daß er stärker, oder gewandter sei, oder daß der Andere nicht auf seiner Hut gewesen. Weiter ergiebt die Analyse nichts. Sodann sehe ich den selben Ritter, welchem ein Schlag von Menschenhand der Uebel Größtes dünkt, einen zehn Mal stärkern Schlag von seinem Pferde erhalten und, mit verbissenem Schmerz davonhinkend, versichern, es habe nichts zu bedeuten. Da habe ich gedacht, es läge an der Menschenhand. Allein ich sehe unsern Ritter von dieser Degenstiche und Säbelhiebe im Kampfe erhalten und versichern, es sei Kleinigkeit, nicht der Rede werth. Sodann vernehme ich, daß selbst Schläge mit der flachen Klinge bei Weitem nicht so schlimm seien, wie die mit dem Stocke, daher, vor nicht langer Zeit, die Kadetten wohl jenen, aber nicht diesen ausgesetzt waren: und nun gar der Ritterschlag, mit der Klinge, ist die größte Ehre. Da bin ich denn mit meinen psychologischen und moralischen Gründen zu Ende, und mir bleibt nichts übrig, als die Sache für einen alten, festgewurzelten Aberglauben zu haften, für ein Beispiel mehr, zu so vielen, was Alles man den Die letzte Verteidigung des ritterlichen Kodex wird aber, ohne Zweifel, lauten: »Ei, da könnte ja, Gott sei bei uns! wohl gar Einer dem Ändern einen Schlag versetzen!« - worauf ich kurz erwidern könnte, daß dies bei den "e/iooo der Gesellschaft, die jenen Kodex nicht anerkennen, oft genug der Fall gewesen, ohne daß je Einer daran gestorben sei, während bei den Anhängern desselben, in der Regel, jeder Schlag ein tödtücher wird. Aber ich will näher darauf eingehn. Ich habe mich oft genug bemüht, für die unter einem Theil der menschlichen Gesellschaft so fest stehende Ueberzeugung von der Entsetzlichkeit eines Schlages, entweder in der thierischen, oder in der vernünftigen Natur des Menschen, irgend einen haltbaren, oder wenigstens plausibeln, nicht nur in bloßen Redensarten bestehenden, sondern auf deutliche Begriffe zurückführbaren Grund zu finden; jedoch vergeblich. Ein Schlag ist und bleibt ein kleines physisches Uebel, welches jeder Mensch dem Ändern verursachen kann, dadurch aber weiter nichts beweist; als daß er stärker, oder gewandter sei, oder daß der Andere nicht auf seiner Hut gewesen. Weiter ergiebt die Analyse nichts. Sodann sehe ich den selben Ritter, welchem ein Schlag von Menschenhand der Uebel Größtes dünkt, einen zehn Mal stärkern Schlag von seinem Pferde erhalten und, mit verbissenem Schmerz davonhinkend, versichern, es habe nichts zu bedeuten. Da habe ich gedacht, es läge an der Menschenhand. Allein ich sehe unsern Ritter von dieser Degenstiche und Säbelhiebe im Kampfe erhalten und versichern, es sei Kleinigkeit, nicht der Rede werth. Sodann vernehme ich, daß selbst Schläge mit der flachen Klinge bei Weitem nicht so schlimm seien, wie die mit dem Stocke, daher, vor nicht langer Zeit, die Kadetten wohl jenen, aber nicht diesen ausgesetzt waren: und nun gar der Ritterschlag, mit der Klinge, ist die größte Ehre. Da bin ich denn mit meinen psychologischen und moralischen Gründen zu Ende, und mir bleibt nichts übrig, als die Sache für einen alten, festgewurzelten Aberglauben zu haften, für ein Beispiel mehr, zu so vielen, was Alles man den Menschen einreden kann. Dies bestätigt auch die bekannte Thatsache, daß in China Schläge mit dem Bambusrohr eine sehr häufige bürgerliche Bestrafung, selbst für Beamte aller Klassen sind; indem sie uns zeigt, daß die Menschennatur, und selbst die hoch civilisirte, dort nicht das Selbe aussagt.*

Sogar aber lehrt ein unbefangener Blick auf die Natur des Menschen, daß diesem das Prügeln so natürlich ist, wie den reißenden Thieren das Beißen und dem Hornvieh das Stoßen; er ist eben ein prügelndes Thier.

* Zwanzig oder dreißig Schläge mit dem Rohr auf den Hintern sind gewissermaßen das tägliche Brot der Chinesen. Sie sind eine väterliche Zurechtweisung des Mandarins, die nichts Schimpfliches an sich hat und die man mit Dankesbezeigungen empfängt.] - Lettres edifiantes et carieuses, édition de 1819. Vol. n, p. 454-

- Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit. Zürich 1977

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