- N. N.
Gabelung (2) Die Bosheit, mit der sich der Geist auf das Fleisch stürzt und das Fleisch auf die Bilder des Geistes, wohnt in den Täuschungen des Kopfes und im eisigen Wasser der dumpfen Küchen. Man muß diese wilde Luft einatmen, die ihre Fäuste noch in der Unersättlichkeit der Ruinen mit Wespentaille und Vipernkopf reckt. Sie türmen sich stufenweise, und jede ihrer Etagen ist mit geronnenem Blut von lebendigem Moos bedeckt, das der Nebel mit totem Moos überzieht. Die Atmosphäre geht dann in ein Gelb über, das intensiver ist als das der Morgenrotrinde. Die Sicht erweitert sich ins Unendliche und reicht bis in die Tiefen des menschlichen Herzens, die auf den, der in sie hineingeschaut hat, stets einen außergewöhnlichen Eindruck gemacht haben.
Gern hätten wir diesen Text mit einer merkwürdigen Abbildung illustriert,
die ein Tier darstellt, dessen Rumpf, von der Mitte an, sich der Länge nach
auf ganz ungewöhnliche Weise zweiteilt. Man meldet die Existenz ähnlicher Wesen
fast überall. Diese Art anormaler Spaltung von Stümpfen
oder sonst einteiligen Organismen, bei Bäumen unter dem
Namen Gabelung bekannt, wurde bisher nur von den Sexualforschern studiert. In
Paris, wo wir die Festungsanlagen entlanggingen und botanisierten, bemerkten
wir mit Überraschung zum ersten Mal einen, dann
zwei, dann tausend dieser Auswüchse, die, zwar in
einem viel höheren Grad von Verunstaltung, an jene bewegliche Abart der Mandragora
erinnern, die im geschorenen Rasen nach Wind sucht und kläglich von hölzernen
Pferden belauert wird. Ihre Reizbarkeit rief uns recht deutlich ein Bild vor
Augen, etwa das eines Bettes, wie es aussähe, wenn die
Geschwindigkeit der Bewegungen, von verschiedenen, darin gruppierten Gliedern
ausgeführt, mit tausend multipliziert würde. Alles ist dort in Bewegung, die
Arme heben und senken sich und verrenken ihre Hände, die Rümpfe verdrehen in
Schraubenwindungen ihre heiklen Spitzen, die Münder prasseln und zielen ihre
Küsse ins Weite, die auf die Augen gefallenen Küsse bleiben dort nicht, schwenken
bald in eine andere Richtung ab, die Beine tauchen in durchsichtige Laken, kurz
alles ist in Tätigkeit, vom Schrei, der sich hingibt, bis zu den samtigen Zähnen.
- André Breton / Paul Éluard, Die unbefleckte Empfängnis.
Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1930)
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