elinquent  Die Pfanne, in welcher der Schwefel, mit glühenden Kohlen gemischt, brannte, erfüllte die Luft mit scharfem Geruche. Damiens hustete mehrere Male, dann betrachtete er, während die Knechte des Scharfrichters ihn auf die Plattform banden, seine rechte Hand mit demselben Ausdrucke von Traurigkeit, der sich auf seinem Gesichte kundgegeben hatte, als er seine Beine nach der Tortur ansah. Er murmelte einige Bruchstücke von Gebeten und sagte zweimal:

»Was habe ich denn getan? Was habe ich denn getan?«

Der Arm wurde auf einen Block derartig festgelegt, daß das Handgelenk über die letzte Planke der Plattform hinausreichte. Gabriel Sanson näherte sich mit der Kohlenpfanne. Als Damiens die bläuliche Flamme sein Fleisch erreichen fühlte, stieß er einen schrecklichen Schrei aus und biß in seine Banden. Als der erste Schmerz vorüber war, erhob er den Kopf wieder und sah zu, wie seine Hand abbrannte, ohne seinen Schmerz auf eine andere Weise als durch das Knirschen seiner Zähne kundzugeben.

Dieser erste Teil der Strafvollstreckung dauerte drei Minuten.

Charles Henri Sanson sah die Pfanne in den Händen seines Onkels wanken. Aus dem Schweiße, der sein Gesicht bedeckte, aus seiner Blässe, die fast ebenso groß war wie die des Delinquenten, und aus dem Schauder, der seine Glieder schüttelte, entnahm er, daß es ihm unmöglich sein würde, das Zangenreißen vorzunehmen; er bot deshalb einem der Knechte hundert Livres an, wenn er dies traurige Geschäft übernehmen wollte.

Dieser Mann, welcher darauf einging, hieß André Legris.

Er ließ sein schreckliches Instrument über Arme, Brust und Schenkel des Delinquenten gleiten; jedesmal riß dieses fürchterliche Feuereisen ein Stück zuckenden Fleisches heraus, und Legris goß dann in die klaffende Wunde bald kochendes Öl, bald brennendes Harz, bald glühenden Schwefel oder geschmolzenes Blei, das ihm die anderen Knechte reichten.

Man sah nun etwas, was die Sprache zu beschreiben unfähig ist, was der menschliche Geist kaum zu fassen vermag, etwas Höllisches, das ich nur die Trunkenheit des Schmerzes nennen kann.

Damiens, dessen Augen unverhältnismäßig weit aus ihren Höhlen getreten waren, dessen Haare sich sträubten und dessen Lippen sich fest ineinander gebissen hatten, verspottete die Henker, verachtete ihre Torturen und verlangte nach neuen Leiden. Als sein Fleisch unter den glühenden Flüssigkeiten aufzischte, mischte sich seine Stimme in diesen häßlichen Ton, und diese Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte, brüllte:

»Noch mehr! Noch mehr!«

Und doch waren dies nur die Vorläufer der Hinrichtung.

Man hob Damiens von der Plattform und legte ihn auf ein Zimmerwerk, das drei Fuß Höhe hatte und ein Andreaskreuz bildete, dann befestigte man die Ziehstränge eines Pferdes an jedes seiner Glieder.

Während dieser Vorbereitungen hielt der Unglückliche seine Augen hartnäckig geschlossen. Der ehrwürdige Pfarrer von Saint-Paul, der ihn nicht verlassen hatte, sprach zu ihm; er gab ihm ein Zeichen, daß er ihn höre, aber er öffnete nicht die Augen. Man hätte sagen können, er wolle nicht, daß sein Blick, der bald Gott schauen sollte, auf die Barbaren fiele, die seinen elenden Körper so entsetzlich quälten. Von Zeit zu Zeit schrie er:

»Jesus! Maria! Zu mir! Zu mir!«

Als hätte er sie bitten wollen, ihn schnell seinen Henkern zu entreißen.

Je ein Knecht hatte den Zügel eines Pferdes ergriffen, ein anderer stand hinter jedem der vier Tiere mit der Peitsche in der Hand. Charles Henri Sanson stand auf dem Schafott, so daß er alle seine Leute überblicken konnte.

Auf sein Signal setzte sich dieses schreckliche Viergespann in Bewegung.

Die Anstrengung war eine ungeheure, denn eines der Pferde stürzte auf das Pflaster nieder, aber die Muskeln und Nerven der menschlichen Maschine hatten dieser furchtbaren Erschütterung widerstanden.

Dreimal zogen die Pferde, durch Geschrei und Peitsche angetrieben, mit aller Kraft an, und dreimal riß sie der Widerstand zurück.

Man bemerkte nur, daß die Arme und Beine des Delinquenten sich unverhältnismäßig verlängerten, aber er lebte immer noch, und man hörte seine Atemzüge, röchelnd wie den Blasebalg einer Schmiede.

Die Scharfrichter waren bestürzt; der Pfarrer von Saint-Paul, Herr Guéret, wurde ohnmächtig, der Greffier verbarg sein Gesicht in seinem Gewande, und in der Volksmenge vernahm man ein dumpfes Murmeln, wie den Vorläufer eines Sturmes.

Als darauf Herr Boyer, der Wundarzt, nach dem Stadthause hin geeilt war und den Richtern angekündigt hatte, daß die Zerreißung nicht würde stattfinden können, wenn man den Anstrengungen der Pferde nicht durch Zerschneiden der großen Nerven zu Hilfe käme, erfolgte die Genehmigung dazu.

Man hatte kein Messer zur Stelle; André Legris hieb mit der Axt in die Verbindungen der Arme und Schenkel des Unglücklichen.

Fast in demselben Augenblick wurden die Pferde wieder angetrieben; ein Schenkel löste sich zuerst, dann der andere, dann ein Arm.

Damiens atmete noch immer.

Endlich, als die Pferde noch an dem einzigen gebliebenen Gliede rissen, öffneten sich seine Augenlider und seine Augen kehrten sich gen Himmel; der unförmliche Rumpf war zum Sterben gelangt.

Als die Knechte des Scharfrichters diese traurigen Überreste von dem Sankt-Andreaskreuze losbanden, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, bemerkte man, daß die Haare des Delinquenten, die, als er auf dem Grèveplatze anlangte, noch braun gewesen, jetzt weiß wie Schnee geworden waren. - Henry Sanson, Tagebücher der Henker von Paris. 1685 - 1847

Delinquent (2)



Fortino Samano Moments before His Execution, 1916 

- Augustin Victor Casasola

Delinquenten (3)    Der eine ist ein großer, brutal aussehender Typ mit kurzgeschorenem Kopf und schiefer Nase. Tränen laufen ihm übers Gesicht, und er betet anscheinend halblaut vor sich hin. Seine schweißnasse Faust packt ein Gebetbuch, als wäre es ein Rettungsring. Der andere Unglückliche, so stellt Ned nun mit dem Maß an Überraschung fest, wie es ein angehender Erhängter eben aufbringen kann, ist ein Liliputaner. Knapp einen Meter groß, mit karottenrotem Haar, das seine Wangen und sein Haupt wie ein Buschfeuer umlodert. Ohne Vorwarnung dreht sich der Zwerg plötzlich um und versetzt seinem Kumpan einen heftigen Tritt ans Schienbein.

„Hör schon auf mit dem Rumgeflenne und deinem Mariajosef, du Arschloch! Stirb wie'n Mann."

„Tu mich bloß in Frieden lassen, Rotkopf", jammert der Große. „Du hast mich doch erst ins Verbrechen getrieben — reicht dir das nochnich?"

Der Liliputaner dreht sich beiseite und spuckt auf den kalten Steinboden. „Ach, dazu hab ich dich getrieben, ja? Und wer wollte denn den Lord Lovat ausnehmen, wie er aus'm Spielsalon rausgekommen is, hah? Und wer hat die brillante Idee gehabt, bei der Kutsche vom Herzog von Bedford innen das Blattgold rauszukratzen? Beantworte mir das mal, du Blödian!" knurrt er und tritt ein zweitesmal nach dem Großen.

„Du verwachs'ner kleiner Homunkerlus!" Jetzt explodiert der Große, läßt das Gebetbuch fallen und packt den Zwerg mit beiden Händen am Schopf. „Ich werd dir zeigen, wer hier wen verdorben hat." Obwohl die auf dem Rücken gefesselten Hände seine Manövrierfähigkeit extrem einschränken, gelingt es ihm, auf jeder Kopfseite des Zwerges eine große Handvoll grellrotes Haar zu erwischen. „Du Dreckskerl!" brüllt er und schüttelt den kleinen Mann wie einen Sack voll Federn, während der seinerseits versucht, einen guten Schlag im Unterleib seines Gegners zu landen.

In diesem Augenblick aber geht das Tor mit apokalyptischem Kreischen auf.   - T. Coraghessan Boyle, Wassermusik. Reinbek bei Hamburg 1990

 

Hinrichtung Verbrechen

 

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Verbrecher