Beerdigung  Ich träume dauernd, ich wäre tot, und hätte meinen eigenen Körper zu beerdigen. Es ist sehr unangenehm, denn der Leichnam ist schon ein wenig verdorben und ich weiß nicht, wohin damit. Gestern Nacht habe ich dasselbe geträumt; die blinzelnde Nonne und die anstrengende Aufgabe, meinen eigenen Leichnam zu beerdigen. Ich hatte mich entschlossen, ihn einbalsamieren und zu mir nach Hause bringen zu lassen, Bezahlung bei Lieferung. Aber als das Beerdigungsinstitut ankam, fürchtete ich mich so sehr vor dem Anblick meines eigenen toten Körpers, daß ich ihn ohne zu bezahlen in die Einsegnungshalle zurückschickte. Wie angenehm ist es doch, daß wir in Wirklichkeit nicht die Arbeit und Aufregungen unserer eigenen Beerdigung zu tragen haben.   - (hoer)

Beerdigung (2)  Bei orthodoxen Beerdigungen gehen Männer mit Sammelbüchsen in der Trauer gemeinde herum, rasseln mit ihren Büchsen und singen: Zedaka tatsel mimowes, hebräisch für »Wohltätigkeit schützt vor dem Tod«. Wobei man sich natürlich fragt, ob das nicht (unbewusst) ein schlechtes Licht auf den Verstorbenen wirft.   - (ji)

Beerdigung (3)

Beerdigung (4)   Man betrachte die Beerdigung: man versetze in die wagrechte Zersetzungslage vor dem vorbereiteten Loch ein Wesen - welch ein Irrtum - ein Irgendwas - feiger Ausdruck - einen Körper - weitgehend unpassende Bezeichnung - ein betroffenes >quodlibet<; scharenweise und liebreich werden sich die blutsverwandten Fliegen sammeln über dem Flüssigen, das immun gemacht von der Schmach des Geschlechtlichen, von verweigerter Gnade, von ideologischer Verwirrtheit; sie eilen herbei, um sich des bequemsten Abschiedssymbols (aber nicht mehr als ein Symbol) zu erfreuen. Wieviel heimliche Fröhlichkeit birgt ein Leichenbegängnis: und keiner wird sich verwundern, der weiß, wie sehr der eilfertige Haß des Sohns mitwirkt an der Zersetzung der Glieder; wie aufmerksam die geschickte Gattin mit den Zauberhänden gearbeitet hat am Auftrennen des von der Stange gekauften Mannes; wie schließlich die Nichtgestorbenen frohlocken, daß sie der Steuer entkommen - die Schlaumeier -, daß sie sich geduckt vor dem langsamen, unausweichlichen Nackenschlag. Verborgene, unartikulierte Heiterkeit auch im Liebevollsten und Nächsten. Voller Anspielungen ist die Bestattung. Es pocht die unflätige Gegenwart, namenloses Ungetüm, die tödlich ist unsrem zerbrechlichen Fortbestehen. Wir nehmen teil an einem Abschied zweiten Grades: und sprechen mit gedämpfter Stimme, aber hörbar, in nächster Nähe des Eingekisteten, bespritzen ihn mit Verblümungen, füßeschlurfend zeigen wir, daß wir ihm Geleit geben wollen und geleiten ihn, auf daß sie trinke und sich vollaufen lasse bei den Banketten dieser ganz besonderen Abschieds form, die ihr zueigen, damit sie sich, sattgegessen, dann beruhige und uns lasse; daß sie drauf verzichte, mit uns Karten zu spielen, die Bestie, die unsren Vater nachäfft, das im Dunkel kauernde Asthma; und uns freigebe für die eilige Reihe unserer provisorischen Nachtruhen.  - (nieder)

Beerdigung (5)  «Gehen Sie zur Beerdigung?»

«Ich glaube ja...»

Darauf umarme ich ihn und gehe raus... sie sind schon alle versammelt !... mindestens fünfzig... die Bibelforscher mit Hacken, Schaufeln... mindestens eine Stunde zu früh!... wir auch, wir drei und Kracht... mit seinen «Torch» ... ich höre, daß auf dem Friedhof alles vorbereitet ist, sie haben die ganze Nacht gegraben, faul sind sie nicht, unsere Sträflinge... ob sie nun Bäume fällen, ein Theater errichten, einen Friedhof vorbereiten, sie sind immer da, schuftend, tüchtig und stumm!... wie viele sind es?... ich kann's nicht wissen... ich sehe die Särge, die drei... gehobelt, genagelt... abfahrbereit, wenn ich so sagen darf... nebeneinander... auf jedem der Name... nein, nicht die Namen! die Anfangsbuchstaben... rot... zwei große LS... wohl der Landrat Simmer... noch ein L... von Leiden?... der Krüppel... schließlich ein großes R... der dritte Sarg... der Rittmeister... damit man sie wiedererkennt... jetzt: angetreten! in Dreierreihen, wie in der deutschen Wehrmacht... aber die hier mit Schaufeln und Hacken auf der Schulter... andere Trupps für die Särge... vier Bibelforscher unter jedem... allmählich, im Tageslicht, erkenne ich, daß sie sich piekfein gemacht haben, ihre beste Garnitur Drillichjacken, mit violetten, gelben, roten Ringen... die Holzschuhe gereinigt, abgehobelt, blitzsauber!... wie haben sie die Zeit gefunden, das alles zu machen?... ich betrachte uns drei... und sogar Kracht!... was die Kleidung angeht: schauerlich!... dabei hatten sie bestimmt keinen Grund zum Feiern!... nach einer ganzen Nacht Erdarbeiten !... bei der Arbeit, das ist ein hartes Wort, gibt's nur zweierlei: entweder Bibelforscher oder Miesnick!... jetzt aufgepaßt!... es geht los!... die drei Särge, einer hinter dem ändern.., und dann die Bibelforscher und ihre Hacken... und dann La Vigue, Lili und ich... dann Kracht mit seinen «Torch» und seinem Revolver in der Hand... er ist mißtrauisch, und mit Recht... alle diese Sträflinge mit Schaufeln und Hacken könnten auskratzen... sie sind religiös, zugegeben, aber sie könnten gepackt werden... vom Schrecken... von der Panik ... besonders bei all den Flugzeugen über uns!... wenn ein Ma-rauder kommt, im Sturzflug die Feier befunkt, stiebt alles auseinander!... ein Kunststück, einen davon wiederzuerwischen!...  auf der Straße schließen sich uns Leute an... Gefangene, Arbeiter... und noch andere, die ich nicht kenne... wir werden eine Masse sein auf dem Friedhof!... wir kommen an der Kirche vorbei... da höre ich eine Trommel, hinter einem Busch... alle drehen sich um... seit Monaten war es nicht mehr zu hören... Hjalmar zurückgekommen?... und dann ein Gesang, einen Choral... na ja, so was Ähnliches... sollte der Pastor auch wieder da sein?... natürlich sehen die Leute nach... kaum zu glauben, tatsächlich! der Hjalmar und der Pastor Rieder... sie sind's wirklich!... der eine mit der Trommel, der andere mit Gesang... wo mögen sie so lange gewesen sein?... die Leute fragen sie, Kracht auch... sie antworten nicht... aber sie sind es doch wirklich!... der Pastor singt nicht mehr richtig... nein... Hjalmar hat seine Trommel schwarz umflort... wo mag er den Trauerflor aufgetrieben haben?... sein Wirbel ist gedämpft... sehr gedämpft... klar... drrr!... dm:!... die Trauer... jetzt kann man sie bei Ta-1 geslicht sehen... der Pastor hat seine Beffchen angelegt... sein schwarzer Talar ist fast grün, es hat viel darauf geregnet... der Hjalmar; ist abgerissen, aber nicht mehr als vorher... vielleicht etwas mehr.. .'^ seine Hose ist kniefrei, ein alter Pfadfinder... seine Latschen ungleich, \ der eine ein Halbstiefel, der andere ein Tanzschuh... aber das Ge-) hange macht alles wieder wett!... blitzblank geputzt... sie sind gutij rasiert, viel besser als wir!... wo mögen sie gelebt haben?... es war'ij schon über zwei Monate her, daß sie abgehauen waren... dick geworden waren sie zwar nicht, aber auch nicht so mager, sie hatten offenbar leben können... was alle wissen wollten, war: wie? sie sagten's nicht!... Nullkommanichts!... der Pastor sang, der andere wirbelte... drrr... drrr... weiter nichts!... sie hatten sich dem Leichenzug angeschlossen, gingen gleich hinter den Bibelforschern mit den Hacken... der Pastor sang nicht nur, er trug obendrein ein gewaltiges Buch unter dem Arm... bestimmt die Bibel... die Hausfrauen machten ihre Bemerkungen... sie seien alle beide gleich me-schugge, aber der Pastor sei außerdem noch verantwortlich für die Bienenstöcke ... und er habe die Flucht ergriffen, jawohl! alles im Stich gelassen! die Bienen seien weggeflogen!... eine Erzmemme und ein Saboteur, dieser Pastor Rieder!... er mochte noch so viel singen!... sie verschafften sich auch Gehör, und sagten, v?as sie dachten!... «Honig! ... Honig!» ... und daß man sie hätte verhaften sollen!.,. ihn und seinen Helfershelfer!... sie sofort aufhängen!... alle beide!... «Honig! Honig!»... Särge überflüssig!... «In die Grube mit ihnen! ... in die Grube!» ... und zwar sofort, der Augenblick war günstig! ... «Honig! Honig!» ... aber das machte ihnen nicht das geringste aus, dem Pastor und dem ändern... waren sehr ruhig... der eine trommelte, der andere sang Choräfe, sie folgten den Särgen... völlig abwesend, ungefähr wie La Vigue... ah, da ist's!... wir sind da!... am Friedhof... eine Hecke... und dahinter ein Sandhügel... und Grabsteine... kleine... hohe... Namen... deutsche... nur deutsche!... keine französischen wie in Felixruhe... ich sehe die Grube... allerhand... in Tiefe und Breite... groß genug, um zwanzig reinzulegen... und mehr!... die Bibelforscher haben nicht gemotzt! ... hoppla! unsere Särge werden runtergelassen!... kaum fünf Minuten, und alles ist zugeschaufelt!... ich kann Ihnen sagen, Erdarbeiter sind das!... das muß man gesehen haben!... der Pastor singt nicht mehr, er hat sein gewaltiges Buch aufgemacht, Hjalmar hält's ihm, dient ihm als Pult... der Pastor liest vor... die Bibelforscher drehen dabei nicht Däumchen, wie immer eifrig, klopfen den Hügel glatt, den Sand, schön ordentlich... legen die Grabplatten hin... die Leute stehen drum herum... die Hausfrauen schimpfen immerzu... und laut!... «Schweine! Honig! Saboteure!... Feiglinge!»... das gilt dem Rieder... dem andern auch, dem Pult... und das stört sie nicht!... die Trauerfeier ist zu Ende... die Bibelforscher glätten die Erdschollen... Schwärme von Spatzen und Meisen schwirren an ... die umgewühlte Erde... die Würmchen... man muß schon ein Vogel sein, um diese winzigen Würmer zu erkennen ... es ist, als flatterte der ganze Himmel!... ein Fest!... auch Rotkehlchen!... und Raben und Möwen!... - Louis-Ferdinand Céline, Norden. Reinbek bei Hamburg 2007 (zuerst 1964)

 

Tod

 

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Verwandte Begriffe
Synonyme
Begräbnis