Wohltäter  »Der Himmel schuf mich wohltätig. Dieser Neigung kann ich folgen, und was mich umgibt, ist durch mich glücklich. In diesem Augenblick will ich Ihnen Beweis davon geben. Sie sind gewiß eine der schönsten Frauen in der ganzen Welt, Sie sind in meinen Armen, und wenn es Ihnen gefällig ist, werden Sie bald gewahr werden, daß die Mitteilung eines Vergnügens, worauf bei alltäglichen Sterblichen sehr bald eine Ermüdung folgt, bei mir so unsterblich ist, wie die Gottheit, welche mir die Gabe davon mitgeteilt hat.«

Hier hielt der sieben Fuß hohe Priester mit Reden inne, und ging von intellektuellen Beweisen seiner Inspiration zu sinnlichen über, um seine Adeptin nicht auf eine zu harte Probe zu stellen. Und bald überführte er sie auf die handgreiflichste Art von der Gegenwart der Gottheit, die ihn begeisterte.  Cagliostros Gattin überließ ich den Eindrücken dieser Begeisterung. - Echte Nachrichten von dem Grafen Cagliostro. Aus der Handschrift seines entflohenen Kammerdieners. Nach: Cagliostro. Dokumente zu Aufklärung und Okkultismus. Hg. Klaus H. Kiefer. München, Leipzig und Weimar 1991  (Bibliothek des 18.Jahrhunderts)

Wohltäter (2)  Chien folgte ihrem Blick, um - zum ersten Mal - den Unumschränkten Wohltäter zu Gesicht zu bekommen.

Was da durch den Raum und auf den Tisch in der Mitte zukam, war kein Mensch.

Und ein mechanisches Konstrukt war es auch nicht, wie Chien feststellte; es war nicht das, was er im Fernsehen gesehen hatte. Das war offenbar eine simple Vorrichtung für Ansprachen, wie der künstliche Arm, den Mussolini einst benutzt hatte, um bei langen, ermüdenden Aufmärschen zu salutieren.

Gott, dachte er, und ihm wurde übel. War das die Form, die Tanya Lee »aquatisches Scheusal« genannt hatte? Es hatte keine Form. Auch keine Pseudopodien, weder aus Fleisch noch Metall. Ja, in gewisser Weise war es überhaupt nicht vorhanden; als ihm ein direkter Blick auf die Gestalt gelang, verschwand sie; er sah durch sie hindurch, sah die Menschen auf der anderen Seite - aber die Gestalt selbst sah er nicht. Wenn er aber den Kopf wandte, sie aus dem Au­genwinkel betrachtete, konnte er ihre Umrisse ausmachen.

Es war abscheulich; es versengte ihm die Sinne. Im Vorübergehen sog es der Reihe nach jedem einzelnen das Leben aus; es fraß die Leute, die sich versammelt hatten, zog weiter, fraß und fraß, mit unstillbarem Appetit. Es haßte; er spürte seinen Haß. Es empfand Ekel; er spürte den Ekel, den es vor allem empfand - ja, er teilte sogar seinen Ekel. Mit einem Mal waren er und alle in der Villa sich windende Schnecken, und über den gefallenen Schneckenkadavern labte sich die Kreatur, verweilte, und hielt doch die ganze Zeit direkt auf ihn zu - oder bildete er sich das alles nur ein? Wenn das eine Halluzination ist, dachte Chien, ist es die schlimmste, die ich je hatte; wenn nicht, dann ist es böse Realität; es ist ein böses Etwas, das tötet und zerstört. Er sah die Spur zermalmter Männer- und Frauenkadaver, die das Wesen hinterließ; sah, wie sie sich wieder zusammenzusetzen, ihre verkrüppelten Körper zu bewegen versuchten; horte, wie sie sich zu sprechen bemühten.

Ich weiß, wer du bist, dachte Tung Chien bei sich. Du, das Oberhaupt des weltumspannenden Parteiapparats. Du, der du jedes lebende Geschöpf tötest, das du berührst. Ich sehe vor mir das arabische Gedicht, das Suchen nach den Blumen des Lebens, um sie zu fressen - ich sehe dich breitbeinig auf der Ebene, die dir die Erde ist, stehen, Ebene ohne Berg und ohne Tal. Du gehst, wohin du willst, erscheinst, wann immer du willst, verschlingst alles und jedes; du erschaffst Leben, um es dir dann einzuverleiben, und das genießt du.

Er dachte: Du bist Gott.

»Mr. Chien«, sagte die Stimme, aber sie kam aus dem Inneren seines Kopfes, nicht aus dem mundlosen Geist, der direkt vor ihm Gestalt annahm. »Es ist gut, Sie wiederzutreffen. Sie wissen nichts. Gehen Sie. Sie interessieren mich nicht. Was kümmert mich Schleim. Schleim - ich suhle mich darin, ich muß ihn ausscheiden, und das ist, was ich will. Ich könnte Sie zerbrechen; ich kann selbst mich zerbrechen. Schneidendes Gestein ist unter mir; ich schleudere rauhes Gestein auf den Morast. Ich lasse die Zufluchtsorte, die Höhlen, wie einen Kessel brodeln; für mich ist der Ozean ein Meer von Salbe. Die Splitter meines Fleischs sind eins mit allem. Sie sind ich. Ich bin sie. Es ist ohne Belang, wie es auch ohne Belang ist, ob das Geschöpf mit den glühenden Brüsten Mädchen oder Junge ist; Sie konnten an beiden Gefallen finden lernen.« Es lachte.

Er konnte nicht glauben, daß es zu ihm sprach; er konnte sich nicht vorstellen - es war zu entsetzlich -, daß es ihn auserwählt hatte.

»Ich habe jeden auserwählt«, sagte es. »Niemand ist zu gering, ein jeder fällt und stirbt, und ich bin da, um es mit­anzusehen. Ich muß nichts weher tun, als zuschauen; es läuft automatisch; es ist so vorbestimmt.« Und dann sprach es nicht weiter zu ihm; es zerteilte sich. Doch er sah es im­mer noch; er spürte seine vielfältige Präsenz. Es war eine Kugel, die im Raum hing, mit fünfzigtausend Augen, einer Million Augen - Milliarden: einem Auge für jedes lebende Wesen, während es darauf wartete, daß jedes lebende Etwas fiel, um auf es zu treten, wenn es zerstört am Boden lag. Darum hatte es die Wesen geschaffen, und er wußte es; er verstand es. Was in dem arabischen Gedicht als Tod erschienen war, war nicht der Tod, sondern Gott; oder vielmehr, Gott war der Tod, es war eine Macht, ein Jäger, ein kannibalisches Etwas. - Philip K. Dick, Glaube der Väter. In: P.K.D., Der Fall Rautavaara. Zürich 2000

Wohltäter (3)

Wohltäter (4) Ein altes Mütterchen, die Ausgeberin vom Hause, eröffnete ihnen die Tür, und führte sie zur rechten Hand in eine große Stube, die mit dunkelbraun angestrichnen Brettern getäfelt war, worauf man noch mit genauer Not eine halb verwischte Schilderung von den fünf Sinnen entdecken konnte. Hier empfing sie denn der Herr des Hauses.

Ein Mann von mittleren Jahren, mehr klein als groß, mit einem noch ziemlich jugendlichen aber dabei blassen und melancholischem Gesichte, das sich selten in ein andres, als eine Art von bittersüßen Lächeln verzog, dabei schwarzes Haar, und ein ziemlich schwärmerisches Auge, etwas Feines und Delikates in seinen Reden, Bewegungen, und Manieren, das man sonst bei Handwerksleuten nicht findet, und eine reme aber äußerst langsame, träge, und schleppende Sprache, die die Worte, wer weiß wie lang zog, besonders wenn das Gespräch auf andächtige Materien fiel.

Auch hatte er einen unerträglich intoleranten Blick, wenn sich seine schwarzen Augenbraunen über die Ruchlosigkeit  und Bosheit der Menschenkinder, und insbesondre seiner Nachbaren, oder seiner eignen Leute, zusammenzogen. Anton erblickte ihn zuerst in einer grünen Pelzmütze, blauem Brusttuch und braunem Kamisol drüber, nebst einer schwarzen Schürze, seiner gewöhnlichen Hauskkleidung; und es war ihm beim ersten Blick, als ob er in ihm einen strengen Herrn und Meister, statt eines künftigen Freundes und Wohltäters gefunden hatte.
Seine vorgefaßte innige Liebe verlosch, als wenn Wasser auf einen Funken geschüttet wäre, da ihn die erste kälte, trockne, gebietrische Miene seines vermeinten Wohltäters ahnden ließ, daß er nichts weiter, wie sein Lehrjunge sein werde.  - Karl Philipp Moritz, Anton Reiser. Stuttgart 1972 (zuerst 1785 - 90)

 

Großzügigkeit Wohltat

 

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