rchitekturtraum   Ich schien mich in einem riesigen, überwölbten Raum zu befinden, dessen hohe steinerne Gratbögen sich fast im Dunkel verloren. In welcher Zeit oder an welchem Ort die Szene auch spielen mochte, das Prinzip des Bogens schien ebensogut bekannt zu sein und ebensooft verwandt zu werden wie bei den Römern.

Der Raum hatte kolossale, runde Fenster und hohe, überwölbte Türen, und in ihm standen Sockel oder Tische, von denen jeder so hoch war wie ein normales Zimmer. Lange Regale aus dunklem Holz zogen sich an den Wänden entlang und waren anscheinend mit Büchern von riesigem Format und mit seltsamen Hieroglyphen auf den Rücken gefüllt.

Die freiliegenden Steinwände waren mit kuriosen, eingemeißelten Mustern aus mathematischen Kurven bedeckt, und außerdem gab es Inschriften in denselben Hieroglyphen, die sich auf den Büchern fanden. Das dunkle, granitene Mauerwerk war von monströser, megalithischer Art und so gebaut, daß die konvexen Oberseiten der einzelnen Blöcke genau in die konkaven Unterseiten der darüberliegenden Schicht von Steinen paßten.

Es gab keine Stühle, aber die Oberseiten der riesigen Sockel waren mit Büchern, Papier und mit Gegenständen bedeckt, die offensichtlich Schreibgeräte waren - kurios geformte Fäßchen aus einem leicht purpurnen Metall und Stäbe mit verschmierten Spitzen. So hoch diese Sockel waren, schien ich doch manchmal imstande, sie von oben zu sehen. Auf manchen von ihnen standen große Kugeln aus leuchtendem Kristall, die als Lampen dienten, sowie undefinierbare Maschinen mit Glasröhren und Metallstangen.

Die Fenster waren verglast und mit groben Stäben vergittert. Obwohl ich es nicht wagte, an eines heranzutreten und hinauszuschauen, sah ich die wehenden Wipfel einzigartiger Farngewächse. Der Boden bestand aus massiven, achteckigen Fliesen, während Teppiche und Vorhänge völlig fehlten.

Später träumte ich, daß ich durch zyklopische Korridore aus Stein schwebte und mich auf gigantischen Rampen derselben monströsen Bauart auf und ab bewegte. Nirgends gab es Treppen, und keiner der Gänge war weniger als dreißig Fuß breit. Manche der Gebäude, durch die ich schwebte, mußten sich mehrere tausend Fuß in den Himmel erheben.

Weiter unten waren zahlreiche Stockwerke mit dunklen Gewölben sowie nie geöffneten Falltüren, die mit Metallbändern verschlossen waren und undeutlich von einer bestimmten Gefahr umgeben schienen.

Ich war anscheinend ein Gefangener, und düsteres Grauen hing über allem, was ich sah. Ich spürte, daß die irritierenden, krummlinigen Hieroglyphen an den Wänden mit ihrer Botschaft meine Seele verbrennen würden, wenn mich nicht barmherzige Unwissenheit davor bewahrt hätte, sie zu verstehen.

In noch späteren Träumen blickte ich aus den großen runden Fenstern und von dem gigantischen flachen Dach mit seinen wunderlichen Gärten, seinem großen dürren Gebiet und seiner hohen, geschwungenen Brustwehr aus Stein, zu dem die oberste Rampe führte.

Es gab fast endlose Ansammlungen riesiger Gebäude, aufgereiht an Straßen von vollen hundert Fuß Breite, jedes mit einem eigenen Garten. Sie unterschieden sich im Aussehen beträchtlich, aber nur wenige waren kleiner als fünfhundert Fuß im Quadrat oder niedriger als tausend Fuß. Viele schienen so endlos, daß ihre Front mehrere tausend Fuß lang sein mußte, während manche zu gewaltigen Höhen in den grauen, dunstigen Himmel emporragten.

Sie schienen vorwiegend aus Stein oder Beton erbaut, und bei den meisten war die seltsame Bauweise angewendet worden, die ich an dem Gebäude bemerkt hatte, in dem ich mich befand. Die Dächer waren flach und mit Gärten bedeckt und hatten meistens geschwungene Brüstungen. Manchmal waren inmitten der Gärten Terrassen und erhöhte Plateaus sowie weite, offene Flächen. Die großen Straßen schienen von Bewegung erfüllt, aber in den anfänglichen Träumen konnte ich diese Eindrücke nicht in erkennbare Einzelheiten auflösen.

An bestimmten Stellen sah ich riesige, dunkle, zylindrische Türme, die alle anderen Bauwerke weit überragten. Sie waren absolut einzigartig und wiesen Anzeichen von unermeßlichem Alter und beginnendem Verfall auf. Sie waren aus bizzaren Basaltquadern erbaut und verjüngten sich gegen ihre abgerundeten Spitzen. An keinem konnte ich die geringsten Anzeichen von Fenstern oder irgendwelchen anderen Öffnungen entdecken, abgesehen von riesigen Türen. Ich bemerkte auch einige niedrige Gebäude - alle von jahrtausendelanger Verwitterung gezeichnet-, die in der grundlegenden Bauweise diesen dunklen, zylindrischen Türmen ähnelten. Über all diesen Anhäufungen rechteckiger Bauwerke lag eine unerklärliche Aura konzentrierter Furcht und Bedrohung, ähnlich der, die von den verschlossenen Falltüren ausging.

Die allgegenwärtigen Gärten waren beinahe furchterregend in ihrer Seltsamkeit; bizarre, ungewohnte Arten von Vegetation hingen über breite Wege, die von sonderbar behauenen Monolithen eingesäumt waren. Abnorm große, farnartige Gewächse herrschten vor- manche grün und manche von einer geisterhaften, schwammigen Blässe.

Dazwischen wuchsen große, gespenstische Pflanzen, die wie Kalamiten aussahen und deren bambusartige Stämme in schwindelnde Höhen aufragten. Dann gab es auch buschige Formen - legendäre Zykaden, und groteske, dunkelgrüne Sträucher und Bäume, die wie Nadelhölzer aussahen.

Die Blumen, die in geometrisch angelegten Beeten und verstreut zwischen den anderen Pflanzen blühten, waren klein, farblos und unbestimmbar. In einigen der Terrassen- und Dachgärten waren größere und lebhaftere Blüten, die fast abstoßende Formen hatten und künstlich gezüchtet schienen. Pilze von unerklärbarer Größe, Form und Farbe wuchsen verstreut in den Gärten und bildeten ein scheckiges Muster, das auf eine fremdartige, aber gut entwickelte gärtnerische Tradition schließen ließ. In den größeren Gärten zu ebener Erde hatte man versucht, die Unregelmäßigkeiten der Natur zu bewahren, aber auf den Dächern waren die Pflanzen sorgfältig ausgesucht und kunstvoll beschnitten.

Die Luft war fast immer feucht und der Himmel bewölkt, und manchmal glaubte ich gewaltige Regengüsse mitzuerleben. Hin und wieder jedoch kamen die Sonne - die unnatürlich groß schien - und der Mond durch, dessen Zeichnung in einer Art vom Normalen abwich, die ich mir nie erklären konnte. Wenn der Himmel - was selten geschah - wenigstens teilweise aufklarte, sah ich Sternbilder, die fast nicht zu erkennen waren. Die Umrisse ähnelten manchmal denen der bekannten Sternbilder, deckten sich aber fast nie mit ihnen; aus den wenigen Sternbildern, die ich erkannte, glaubte ich schließen zu können, daß ich mich auf der südlichen Hemisphäre der Erde befand, nahe beim Wendekreis des Steinbocks.

Der ferne Horizont war immer dunstig und verschwommen, aber ich konnte sehen, daß große Dschungel unbekannter Baumfarne, Kalamiten, Schuppen- und Siegelbäume die Stadt umgaben; ihr phantastisches Laub wogte gleichsam spöttisch im wechselnden Wind hin und her.  - H. P. Lovecraft, Der Schatten aus der Zeit. In: H. P. L., Das Ding auf der Schwelle. Frankfurt am Main 1976 (st 357)

 

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