So lange aber der menschliche Geist wach und gesund ist, ist er nicht
das willenlose Spiel oder Produkt der Geister,
die in ihn hineinwachsen oder aus denen er zusammengewachsen erscheint;
sondern das was eben diese Geister verknüpft, der unsichtbare urlebenskräftige
Mittelpunkt voll geistiger Anziehungskraft,
in den alle zusammenströmen, in dem sich alle kreuzen und durch wechselseitigen
Verkehr miteinander die Gedanken zeugen, dieser ist nicht erst durch die
Kreuzung der Geister entstanden, sondern ist dem Menschen als sein Ureigentum
bei der Zeugung eingeboren; und der freie Wille, die Selbstbestimmung,
das Selbstbewußtsein, die Vernunft und der Grund aller geistigen Vermögen
liegen hierin enthalten. Aber alles das liegt bei der Geburt noch darin
wie in einem unaufgeschlossenen Keime, erst harrend der Entwicklung zum
Organismus voll lebensvoller individueller Wirklichkeit. So wie der Mensch
in das Leben getreten ist, spüren es die fremden Geister und drängen sich
von allen Seiten heran und suchen seine Kraft zu der ihrigen zu machen,
um durch sie ein Moment ihrer selbst zu verstärken, aber indem ihnen dies
gelingt, wird zugleich dies Moment Eigentum des Menschengeistes selbst,
wird ihm eingebildet und trägt zu seiner Entwicklung bei. - Gustav
Theodor Fechner, Das Büchlein vom Leben nach dem Tode, in: G.T.F., Das
unendliche Leben. München 1984 (Matthes & Seitz debatte 2, zuerst 1836)
Ein anderer ist imstande, sich neben einem Pulverfaß eine Zigarre anzustecken, um zu sehen, um zu wissen, um das Schicksal zu versuchen, um sich selbst zu zwingen, einen Beweis von Tatkraft zu geben, um den Spieler vorzustellen, um die Lustgefühle der Angst kennen zu lernen, für nichts, aus Laune, weil er nichts zu tun hat.
Es handelt sich da um eine Art von Tatkraft, die aus der Langeweile und der Träumerei aufspringt und die Menschen, bei denen sie sich so überraschend offenbart, sind im allgemeinen, wie ich schon sagte, die lässigsten und träumerischsten Geschöpfe.
Ein anderer, der derart scheu ist, daß er die Augen schon vor den Blicken
der Menschen niederschlägt, derart scheu, daß er seinen armen Willen mit beiden
Händen zusammen nehmen muß, um in ein Cafe einzutreten, oder sich an einer Theaterkasse
anzustellen, an der die Aufsichtsbeamten ihm mit der Würde eines Minos, Äakus
und Rhadamanthes bekleidet zu sein scheinen, kann ganz plötzlich einem vorübergehenden
alten Herrn an den Hals springen und ihm voller Begeisterung vor der erstaunten
Menge einen Kuß versetzen. - Charles
Baudelaire, Der Spleen von Paris. In: C. B., Die Tänzerin Fanfarlo und Der Spleen von Paris. Zürich
1977 (detebe 20387)
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