Entweder ist das Zentrum der Welt aktiv - und dann ist auch die Welt, die mit unendlich vielen Zentren ausgestattet und bereichert ist, unendlich aktiv - oder es wird von der Gesamtheit der Welt angegriffen, oder besser gesagt es gerät zur Zielscheibe der Welt.
Gegenwärtig erprobt er die zweite Grundbedingung, er weiß, daß er psychologisch
kugelförmig ist, und daß er sich im Zentrum einer
großen Zahl von Strahlen befindet, die seltsamerweise alle auf ihm zusammentreffen
und ihn mit ihren Lichtspitzen durchbohren. In den leeren Ausbuchtungen
des Raums sieht er einen Bogen aus undenkbar hartem Material sich handlos
spannen und einen Pfeil lossehnellen, der ihn anläßlich seines sechzigsten
Geburtstags treffen wird. Er versucht wegzurücken, zu fluktuieren, aber
er weiß, daß jede Bewegung seines kugelförmigen Körpers ihn zur Zielscheibe
für andere Konstellationen macht ? hinter Sternen versteckte Sterne, Wolken
und Tiere. Doch mehr als jeder Stern oder Nebel erschreckt es ihn, daß
das Nichts und die Stille unablässig nach ihm zielen. Er weiß nicht, wo
das Nichts ist und argwöhnt, daß es sich in ihm versteckt habe, in diesem
Fall wäre er die Beute einer inneren Durchbohrung, einer so tiefen Durchbohrung,
daß seine Kugel ihr nicht standhalten könnte, obwohl er nicht weiß, was
dieser Schuß bedeutet, was die Stille angeht, so ist sie ? das hat er sehr
wohl verstanden ? gegeben durch die Unterdrückung aller Stimmen, der Gesamtheit
der Stimmen die sich in endgültiger Weise an ihn wenden könnten, um ihn
- und das ist grauenvoll - ohne jegliche Waffe zu durchbohren. Überall
da, wo Stille herrscht, ist eine Stimme versteckt, und diese Stimme denkt
an ihn, prüft ihn, erforscht ihn. Wenn das Nichts und die Stille sich verbünden,
Informationen austauschen, die er nicht begreift? was wird dann aus ihm?
Oh, er fürchtet den Speer nicht, den der Zentaur am Tage seiner Geburt
nach ihm geworfen hat und der ihn jetzt erreicht, er wehrt sich nicht gegen
die müde Lanze, welche die Welt durchmißt, mit der Absicht ihn zu verwunden;
aber eines beunruhigt ihn: daß er nicht mehr unterscheiden kann zwischen
sich selbst als Schmerz, Auflösung, Tod und sich selbst als Zentrum der
Welt. - (
pill
)
Mittelpunkt (2) Deus est
sphaera cuius centrum ubique, circumferentia nusquam - Buch
der 24 Philosophen
(ca. 1200 )
Mittelpunkt (3) Man bat jemanden (erzählt Müller
in seiner ersten Anmerkung zu Kopernikus' Revolution) eine Definition Gottes
zu geben: Gott ist, sagte er, eine Kugel, deren Mittelpunkt überall und
deren Umfang nirgends ist. - (licht)
Mittelpunkt (4) Das Universum
ist eine Kugel, deren Mittelpunkt überall und deren
Umfang nirgends ist - E.
A. Poe
(der Pascal zitiert)
Mittelpunkt (5) Mir geht in der Welt nichts über
mich / Denn Gott ist Gott, und ich bin ich. - Goethe, Satyros oder Der
vergötterte Waldteufel (1773)
Mittelpunkt (6) Lebt Feuerbach in einer anderen
als in seiner Welt? Lebt er etwa in Hess', in Szeligas, in Stirners Welt?
Ist die Welt nicht dadurch, dass Feuerbach in ihr lebt, die ihn umgebende,
die von ihm d.h. feuerbachisch empfundene, angeschaute, gedachte Welt?
Er lebt nicht bloss mitten in ihr, sondern ist ihre Mitte selbst, ist der
Mittelpunkt seiner Welt. Und wie Feuerbach, so lebt niemand in einer anderen
als in seiner Welt, wie Feuerbach, so ist jeder das Zentrum seiner Welt.
Welt ist ja nur das, was er nicht selber
ist, was aber zu ihm gehört, mit ihm in Beziehung steht, für ihn ist. -
Max
Stirner
Mittelpunkt (7) Jeder ist Mittelpunkt der Welt. -
Ernst
Jünger
,
Eumeswil, Stuttgart 1977
Mittelpunkt (8) Für jetzt mag es genügen, wenn ich
den klassischen Spruch zitiere: Die Bibliothek
ist eine Sphäre, deren eigentlicher Mittelpunkt jedes beliebige Sechseck,
und dessen Umfang unzugänglich ist. - J. L.
Borges
,
Die Bibliothek von Babel, In: J.L.B., Blaue Tiger und andere Geschichten.
München 1988 (zuerst 1941)
Mittelpunkt (9) Jeder sitzt im Mittelpunkt der Welt.
- Arno
Schmidt
,
Abend mit Goldrand
Mittelpunkt (10) Nach Philolaus befindet
sich in der Mitte des Weltgebäudes ein großer Weltheerd: die Sonne
ist ein Spiegel, welcher die Strahlen des Centralfeuers auf die Erde reflectirt.
Die Ecclipsen werden durch eine Gegenerde (Antichthon)
bewirkt, welche man später mit Amerika verwechselt hat. - Alexander von Humboldt,
Über das Universum. Die Kosmosvorträge 1827/28 in der Berliner Singakademie.
Frankfurt am Main 1993 (it 1540)
Mittelpunkt (11) Jenes Gefühl: »ich bin der
Mittelpunkt der Welt!« tritt sehr stark auf, wenn man plötzlich von der
Schande überfallen wird; man steht dann da wie betäubt inmitten einer Brandung
und fühlt sich geblendet wie von einem großen Auge, das von allen
Seiten auf uns und durch uns blickt. - (
mo
)
Mittelpunkt (12) Daß die Erde in der Mitte der Welt liegt, ergibt sich aus mehreren unbezweifelten Gründen, am deutlichsten aber aus der Gleichheit der Stunden im Aquinoktium. Denn daß, wäre sie nicht in der Mitte, auch keine gleichen Tage und Nächte stattfinden könnten, beweisen schon die Dioptern*, nach welchen zur Äquinoktialzeit Aufgang und Untergang in ein und derselben Linie, sowie der Solstitialaufgang und Brumaluntergang in einer Linie liegen.
Alles dies könnte auf keine Weise stattfinden, wenn die Erde nicht in
der Mitte läge. - (
pli
)
*Wörtlich:
Durchsichten, auch Sonnenquartanten genannt, ein Instrument, an welchem
die Sonne [sic!] durch eine Öffnung auf eine Fläche fällt und die
Zeit angibt
Mittelpunkt (13) In einem Roman
müßte es sich gut ausnehmen, des Helden Begriffe z. B, von der Erde in
einer kleinen Karte vorzustellen. Die Welt würde rund vorgestellt, in der
Mitte liegt das Dorf wo er lebt, sehr groß mit allen Mühlen pp vorgestellt,
und dann umher die andern Städte, Paris London sehr klein, überhaupt wird
alles sehr viel kleiner, wie es weiter wegkömmt. - (
licht
)
Mittelpunkt (14)
- N.N.
Mittelpunkt (15) In der Mitte ist eine schwarze Sonne oder der Mond zu Zeiten, wo er am Himmel nicht zu sehen ist, beziehungsweise: die Mitte ist Sonne respektive Mond, wenn man den hypertrophierten schwarzen Punkt als Symbol für Sonne oder Mond nimmt. Insbesondere das letzte wird nahegelegt durch die Ähnlichkeit dieses Punktes mit dem Kalendersymbol, das den Erdtrabanten im Zustand der Abwesenheit signalisieren soll, quasi den Nicht-Mond. Die Mitte ist zu verstehen als Zentrum eines Planquadrats, beziehungsweise: ein Rahmenquadrat umschließt siebzehn Quadrate, deren jeweiliger Flächeninhalt begrenzt wird durch Friese von Buchstaben, Zahlen, Interpunktionszeichen sowie juristischen, musikalischen und Kursbuch-Ideogrammen.
Das gemeinsame Zentrum aller Quadrate ist der oben beschriebene schwarze
Punkt, der auch ein Brunnenloch von Geburt und
Tod, das Auge Gottes, eine Stadt, ein Verkehrsschild
oder das Schwarze einer Zielscheibe sein kann,
nur daß den Mittelpunkt einer Zielscheibe konzentrische Kreise umgeben.
- Hans Jürgen Fröhlich, Vorwort zu: Giorgio Manganelli, Omegabet.
Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)
Mittelpunkt (16) Wir könnten die Umschlagzeichnung
als eine stillstehende Explosion verstehen; doch sie unterscheidet sich
davon beträchtlich durch die quadratische Form. Sofern wir aber das Innere
dieser quadratischen Explosion betrachten, enthüllen
sich die Splitter als Zeichen, Zahlen, Ideogramme,
Buchstaben. Haben wir es also mit einer alphabetischen Explosion zu tun?
Mit der nominalistischen Besitzergreifung des Raums?
Jedenfalls kann man dem Planquadrat, ob unbewegt oder bewegt, nicht eine
zentrumsstrebige Neigung absprechen. Die Zeichen
könnten in diesem Fall statt als Explosion oder Ausbruch beschrieben werden
als Implosion oder Einbruch — als ein Zusammenrinnen, betrachtender oder
leidenschaftlicher Art, auf das Zentrum zu. Dieses glatte, undifferenzierte
zentrale Vakuum kann verschiedentlich beschrieben werden: als Brunnenloch
von Geburt und Tod; als Mond, ertappt auf dem widersprüchlichen Zustand
des Nicht-Mondes; als schwarze Sonne, von ebenso schöpferischer Dringlichkeit
wie majestätischer Finsternis. Kurzum, es scheint jedenfalls klar, daß
die Zeichen zu ihrem Ende oder Anfang oder Dasein irgendeiner fortdauernden,
nächtlichen Katastrophe bedürfen, und daß sie sogar
von dieser Katastrophe beordert und beschlossen sind. - Giorgio Manganelli,
Omegabet. Frankfurt am Main 1988 (zuerst 1969)
Mittelpunkt (17) Robert South schrieb den berühmten Satz. »Ein Aristoteles war nicht mehr als Adams Schlacke, und Athen die Überreste des Paradieses.« In diesem verzagten Jahrhundert wurde der absolute Raum, der die Hexameter des Lukrez inspiriert hatte, der absolute Raum, der für Bruno eine Befreiung gewesen war, ein Labyrinth und ein Abgrund für Pascal. Dieser verabscheute das Universum und hätte gern Gott angebetet, aber Gott war für ihn weniger wirklich als das verabscheute Universum. Er bejammerte das Schweigen des Firmaments, er verglich unser Leben mit dem von Schiffbrüchigen auf einer öden Insel. Er empfand die unaufhörliche Last der physischen Welt, er empfand Schwindel, Furcht und Einsamkeit und drückte sie mit anderen Worten aus.
»Die Natur ist eine unendliche Sphare, deren Mittelpunkt überall und deren Umkreis nirgendwo ist.« So publiziert Brunschvicg den Text, dagegen läßt die kritische Ausgabe von Tourneur (Paris, 1941), die die Tilgungen und Schwankungen des Manuskripts verzeichnet, erkennen, daß Pascal zuerst »effroyable« geschrieben hatte: »... eine furchtbare Sphäre, deren Mittelpunkt überall und deren Umkreis nirgendwo ist.«
Vielleicht ist die Universalgeschichte die Geschichte der unterschiedlichen
Betonung einiger weniger Metaphern. - (
bo2
)
Mittelpunkt (18) Judas. Da ist er, in der
Mitte der Hölle, dem Punkt, der zugleich die Basis
der ganzen Stätte ist. Über dem Raum, der ihn birgt, erhebt sich das geheimnisvolle
Haus, ein ungeheuer weiter und anscheinend chaotischer Bau, von dem niemand
weiß, wo er anfängt, noch bis wohin er sich erstreckt; aber einige seiner
Gemächer betreten wir, an einigen seiner Mauern schreiten wir, die nicht
Gestorbenen, auf dieser Erde entlang, ohne es zu wissen; vielleicht spüren
wir es, denn hier ist es, wo das Reich beginnt, das wir uns mit einer Gebärde
öffnen können: Man erkennt sie — diese Zimmer, jene Mauern — trotz ihres
natürlichen, menschlichen Ansehens, an einem eigenartigen, trockenen, fiebrigen
Pochen, das wir mit bestürzender Deutlichkeit wahrnehmen würden, legten
wir eine Hand auf ihre Flächen; man sagt, es seien
die Herzschläge des Verdammten, der in der Mitte ist, und sie seien stärker
am äußeren Rande des Gebäudes zu spüren als auf der Brust dessen, aus dem
sie pochen, der doch schlaff und tot dazuliegen scheine; aber nur einer
hat diese Brust berührt. - H. A. Murena, Die Mitte der
Hölle (1957) nach (
boc
)
Mittelpunkt (19)
Hierbei, o Memmius, mußt du dem Glauben von Grund aus entsagen,
Doch selbst gäb' es die Mitte, warum denn sollte man glauben,
|
- (
luk
)
Mittelpunkt (20) Schon an anderer Stelle habe ich
einmal ausgefühlt, wie es kommt, daß der Genitalapparat beim modernen Literaten
so sehr in den Mittelpunkt rückt. Der Grund - ein Grund, der so einfach
ist, daß er schwer erkannt wird - lautet einfach, daß der Literat zuwenig
zu tun hat und zuwenig vom Leben kennt, als daß ihm nicht gerade das Menschlichste
und Selbstverständlichste zum Problem werden sollte. Es ist der Mangel
an Problemen und an Arbeit in der äußeren Welt, der das Sexuelle beim Literaten
zum Problem erhebt. Im Sexuellen findet er den Stoff, der nicht bloß abstrakt
und der doch ohne Sondererfahrung des Lebens und Berufes, an der es ihm
mangelt, zu behandeln und dabei der allgemeinen Teilnahme sicher ist. -
Carl Christian Bry, Verkappte Religionen. Kritik des kollektiven Wahns.
Nördlingen 1988 (Greno 10/20 85, zuerst 1924)
Mittelpunkt (21) Alle Bauten des Panopticon-Prinzips zeichnen sich dadurch aus, dass von einem zentralen Ort aus alle Fabrikarbeiter oder Gefängnisinsassen beaufsichtigt werden können. Im Mittelpunkt steht ein Beobachtungsturm, von welchem aus Zelltrakte abgehen (in sog. Strahlenbauweise). So kann der Wärter in der Mitte in die Zellen einsehen, ohne dass die Insassen wiederum den Wärter sehen können. Das liegt daran, dass die Gefangenen aus der Sicht des Wärters im Gegenlicht gut sichtbar sind, der Wärter selbst jedoch im Dunkel seines Standortes nicht ausgemacht werden kann. Mithin wissen diese nicht, ob sie gerade überwacht werden.
Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Bentham, dass sich alle Insassen zu jeder Zeit unter Überwachungsdruck regelkonform verhalten (also abweichendes Verhalten vermeiden), da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Dies führe vor allem durch die Reduktion des Personals zu einer massiven Kostensenkung im Gefängnis- und Fabrikwesen, denn das Verhältnis zwischen erzeugter Angst, beobachtet zu werden, und tatsächlich geleisteter Überwachungsarbeit ist sehr hoch.
Der Informationstheoretiker Branden Hookway führte 2000 das Konzept
des Panspectrons ein, eine Weiterentwicklung des Panopticons dahingehend, dass
es kein Objekt der Überwachung mehr definiert, sondern alle und alles überwacht
wird. Das Objekt wird erst im Zusammenhang mit einer konkreten Fragestellung
definiert -
wikipedia
Mittelpunkt (22) Irgendwann in einem August, den ich an einem Strand der Bretagne verbrachte, ist mir bei einem Spaziergang - bestimmt um die Mittagsstunde -, als ich mich vom Meeresufer entfernte und die Küstenlandschaft, deren Weite mich in ihren Bann gezogen hatte, aus den Augen verlor, das traditionelle Sonnenzeichen erschienen - ein Punkt in einem Kreis -, aber nicht als herkömmliches Sigel, sondern als ein Bild, das mir konkrete Wahrheiten greifbar nahe rücken ließ. Ein Bild, das um so mehr mit Leben erfüllt wirkte, als erst kurz zuvor die Tropenreise zu Ende gegangen war, auf der ich schon beinahe die Vorstellung entwickelt hatte, ich stünde mit der Sonne im Bunde, deren sengende Glut in jenen Breiten offenbar schon ausreicht, böse Fieber und Abenteurermut zu wecken.
So wie ich dastehe mit meinem Schatten, der in dem Maße, wie der Tag verstreicht, um mich wandert wie die Schattennadel um eine Sonnenuhr, befinde ich mich da nicht im Mittelpunkt einer Außenwelt, einer kreisförmigen Kulisse, die - für meine Augen - der Horizont umschließt, jene trügerische Gerade, die sich - wie ich doch genau weiß - krümmt, bis sie sich schließlich in den eigenen Schwanz beißt?
Krone und Zepter, Vulva und Penis, der Kreis und der Punkt. Mit dem Kopf
voran, als ein neugeborener König tritt der Mensch hervor aus jenem Mutterschoß,
den der Horizont umschließt. Wie ein Kiesel, der in das Urwasser geschleudert
wird, zeichnet der Punkt einen Kreis, dann eine Folge konzentrischer Kreise
in dieses Wasser, das der Aufprall kräuselt. So wie ein Kieselstein hineingeschleudert
in die Welt, kann ich mich mit ihr auf mannigfache Art zusammenschließen wie
ich mag, nichts werde ich hervorbringen, was ihr Neues hinzufügen könnte, und
für die ganze Dauer meines Daseins bin ich nur der Schöpfer meines eigenen Gefängnisses:
des Horizonts (jener scheinbaren Grenze der Natur), der sich bei meinem Sturz
um mich geschlossen hat. - (
leiris2
)
Mittelpunkt (23)
Da alles sich dehnt ins Unendliche, fehlt ihm die Mitte. |
- (
luk
)
Mittelpunkt (24) Jedes Individuum
ist der Mittelpunkt des Universums. Ein einzelner Gedanke ist nichts als die
Darstellung, die Nachbildung eines Individuums. Jeder einzelne Gedanke
kann also der Mittelpunkt aller anderen sein. - (
hds
)
Mittelpunkt (25) Allen Bauten des Panopticon-Prinzips ist gemeinsam, dass von einem zentralen Ort aus alle Fabrikarbeiter oder Gefängnisinsassen beaufsichtigt werden können. Im Mittelpunkt steht ein Beobachtungsturm, von welchem aus Zelltrakte abgehen (in sog. Strahlenbauweise). So kann der Wärter in der Mitte in die Zellen einsehen, ohne dass die Insassen wiederum den Wärter sehen können. Das liegt daran, dass die Gefangenen aus der Sicht des Wärters im Gegenlicht gut sichtbar sind, der Wärter selbst jedoch im Dunkel seines Standortes nicht ausgemacht werden kann. Mithin wissen diese nicht, ob sie gerade überwacht werden. Im Ergebnis kann also mit geringem personellem Aufwand eine große Zahl von Menschen permanent und total überwacht werden.
Von diesem Konstruktionsprinzip erhoffte sich Jeremy Bentham, dass sich zu jeder Zeit alle Insassen regelkonform verhalten, da sie jederzeit davon ausgehen müssten, beobachtet zu werden. Dies führe zu einer massiven Kostensenkung im Gefängnis- und Fabrikwesen, denn das Verhältnis zwischen effektiv geleisteter Überwachungsarbeit und erzeugter Angst, beobachtet zu werden, ist sehr hoch.
1811 wurde das erste Projekt zum Bau eines Gefängnisses
nach dem Panopticon-Prinzip abgebrochen, Bentham wurde für seinen Planungsaufwand
zwei Jahre später mit £ 23.000 entschädigt. -
Wikipedia
Mittelpunkt (26)
Mittelpunkt (27)
Mittelpunkt (28) Das Geschlechtsverhältniß spielt
in der Menschenwelt die wichtigste Rolle, als wo es eigentlich der unsichtbare
Mittelpunkt alles Thuns und Treibens ist und trotz allen ihm übergeworfenen
Schleiern überall hervorguckt. Es ist die Ursache des Krieges und der Zweck
des Friedens, die Grundlage des Ernstes und das Ziel des Scherzes, die unerschöpfliche
Quelle des Witzes, der Schlüssel zu allen Anspielungen und der Sinn aller geheimen
Winke, aller unausgesprochenen Anträge und aller verstohlenen Blicke, das tägliche
Dichten und Trachten der Jungen und oft auch der Alten, der stündliche Gedanke
des Unkeuschen und die gegen seinen Willen stets wiederkehrende Träumerei des
Keuschen, der allezeit bereite Stoff zum Scherz, eben nur weil ihm der tiefste
Ernst zum Grunde liegt. Das aber ist das Pikante und der Spaaß der Welt, daß
die Hauptangelegenheit aller Menschen heimlich betrieben und ostensibel möglichst
ignorirt wird. In der That aber sieht man dieselbe jeden Augenblick sich als
den eigentlichen und erblichen Herrn der Welt, aus eigener Machtvollkommenheit,
auf den angestammten Thron setzen und von dort herab mit höhnenden Blicken der
Anstalten lachen, die man getroffen hat, sie zu bändigen, einzukerkern, wenigstens
einzuschränken und wo möglich ganz verdeckt zu halten, oder doch so zu bemeistern,
daß sie nur als eine ganz untergeordnete Nebenangelegenheit des Lebens zum Vorschein
komme. -
(wv)
Mittelpunkt (29) Der Egoismus ist, seiner Natur nach, gränzenlos: der Mensch will unbedingt sein Daseyn erhalten, will es von Schmerzen, zu denen auch aller Mangel und Entbehrung gehört, unbedingt frei, will die größtmögliche Summe von Wohlseyn, und will jeden Genuß, zu dem er fähig ist, ja, sucht wo möglich noch neue Fähigkeiten zum Genüsse in sich zu entwickeln. Alles, was sich dem Streben seines Egoismus entgegenstellt, erregt seinen Unwillen, Zorn, Haß: er wird es als seinen Feind zu vernichten suchen. Er will wo möglich Alles genießen, Alles haben; da aber dies unmöglich ist, wenigstens Alles beherrschen: »Alles für mich, und nichts für die Andern«, ist sein Wahlspruch. Der Egoismus ist kolossal: er überragt die Welt. Denn, wenn jedem Einzelnen die Wahl gegeben würde zwischen seiner eigenen und der übrigen Welt Vernichtung; so brauche ich nicht zu sagen, wohin sie, bei den Allermeisten, ausschlagen würde. Demgemäß macht Jeder sich zum Mittelpunkte der Welt, bezieht Alles auf sich und wird was nur vorgeht, z. B. die größten Veränderungen im Schicksale der Völker, zunächst auf sein Interesse dabei beziehn und, sei dieses auch noch so klein und mittelbar, vor Allem daran denken.
Keinen größern Kontrast giebt es, als den zwischen dem hohen und exklusiven
Antheil, den Jeder an seinem eigenen Selbst nimmt,
und der Gleichgültigkeit, mit der in der Regel alle Andern eben jenes Selbst
betrachten; wie er ihres. Es hat sogar seine komische Seite, die zahllosen Individuen
zu sehn, deren jedes, wenigstens in praktischer Hinsicht, sich allein für real
hält und die andern gewissermaaßen als bloße Phantome
betrachtet. Dies beruht zuletzt darauf, daß Jeder sich selber unmittelbar gegeben
ist, die Andern aber ihm nur mittelbar, durch die Vorstellung
von ihnen in seinem Kopfe: und die Unmittelbarkeit behauptet ihr Recht. Nämlich
in Folge der jedem Bewußtseyn wesentlichen Subjektivität, ist Jeder sich selber
die ganze Welt: denn alles Objektive existirt nur mittelbar, als bloße Vorstellung
des Subjekts; so daß stets Alles am Selbstbewußtseyn hängt. Die einzige Welt,
welche Jeder wirklich kennt und von der er weiß, trägt er in sich, als seine
Vorstellung, und ist daher das Centrum derselben. Deshalb eben ist Jeder sich
Alles in Allem: er findet sich als den Inhaber aller Realität
und kann ihm nichts wichtiger seyn, als er selbst. Während nun in seiner subjektiven
Ansicht sein Selbst sich in dieser kolossalen Größe darstellt, schrumpft es
in der objektiven beinahe zu Nichts ein, nämlich zu ungefähr 1/1 000 000 000 der
jetzt lebenden Menschheit. Dabei nun weiß er völlig gewiß, daß eben jenes über
Alles wichtige Selbst, dieser Mikrokosmos, als dessen
bloße Modifikation oder Accidenz, der Makrokosmos auftritt, also seine ganze
Welt, untergehn muß im Tode, der daher für ihn gleichbedeutend ist mit dem Weltuntergange.
- Arthur Schopenhauer, Preisschrift Über die Grundlage der Moral (1840)
Mittelpunkt (30) Das Universum ist zugleich ganz
Zentrum und ganz Peripherie. - Giordano Bruno, Über die Ursache,
das Prinzip und das Eine. Stuttgart 1986 (zuerst 1584)
Mittelpunkt (31) Sie rannten, ihre Fäuste umklammerten
Stangen oder Latten, die mit schwarzen Tüchern umwickelt waren: man konnte nicht
erkennen, ob es sich um Fahnen oder Waffen handelte, das war Teil des elementar
Geheimnisvollen der Stadtguerilla. Im Rennen kam ihre sexvergessene Männlichkeit,
die sich in ihrem fraglos monströsen Zivilengagement manifestierte, geradezu
schamlos zur Geltung. Die Hosen waren um das Becken herum so straff, daß man
fast alles von ihren Geschlechtsteilen erkennen konnte, Glied und Hoden, doch
war alles in einer weichen, geheimnisvoll gestalteten Masse zusammengezwängt,
die sich auf der linken wie auf der rechten Seite des Reißverschlusses vorwölbte,
so als dürfe dieses Geschlechtsteil seine übliche tierische Form nicht annehmen
| darstellen |, als wäre es bloß Gewicht, Eigenschaft, Beiwerk, unendlich viel
funktionaler als seine Funktion und eigentlich ziemlich bescheiden. Ihnen war
das alles nicht bewußt. Sie waren in diesem Augenblick nicht nur weit von einem
derartigen Gedanken entfernt; vielleicht hatten sie ihn auch nie gehabt oder
würden ihn nie haben. Sie trugen dieses massige Gewicht ihrer Männlichkeit,
eingezwängt in ihre engen Hosen, wie eine dunkle Drohung, etwas, das in diesem
Augenblick im Überschuß vorhanden war, aber alles bedeutete, etwas, das sich
im Mittelpunkt ihres Körpers befand und damit im Mittelpunkt der Welt, zu deren
Gebietern sie sich machen wollten. - Pier Paolo Pasolini, Petrolio. Berlin 1994
Mittelpunkt (32) Ebenso wie der Mensch für
Gott geschaffen ist, damit er nämlich ihm dienen kann, ist der Mensch in den
Mittelpunkt des Universums gesetzt, damit er sowohl dienen wie auch bedient
werden kann. - Petrus Lombardus, nach: Bernard Lovell, Das
unendliche Weltall. Geschichte der Kosmologien von der Antike bis zur Gegenwart.
München 1988
Mittelpunkt (33) Was kümmert es mich, ob der Himmel
als Kugel die Erde in der Mitte der Welt einschließt, oder ob er zu beiden Selten
überhängt? - Augustinus, nach: Bernard Lovell, Das unendliche
Weltall. Geschichte der Kosmologien von der Antike bis zur Gegenwart. München
1988
Mittelpunkt (34) Jedes Individuum ist der Mittelpunkt
des Universums. Ein einzelner Gedanke ist nichts als die Darstellung, die Nachbildung
eines Individuums. Jeder einzelne Gedanke kann also der Mittelpunkt aller anderen
sein. - (hds)
Mittelpunkt (35) Endlich sehe ich von weitem ein Schild auf dem steht
ZENTRAL-BAR.
Gut daß ich eine Bar gefunden habe, die Zentral-Bar. Zentral im Hinblick
worauf? Das heißt in wessen Zentrum glaubt ihr zu sein? Im Zentrum der Welt?
Schaut das Zentrum der Welt ist nicht in dieser Gegend. - Luigi Malerba, Salto mortale. Frankfurt am Main 1987
(zuerst 1968)
Mittelpunkt (36)
Mittelpunkt (37) Gegen Ende des vierten Jahrhunderts
fragte sogar der Hl. Augustinus: „Was kümmert es mich, ob der Himmel als Kugel
die Erde in der Mitte der Welt einschließt, oder ob er zu beiden Seiten überhängt?"
Aber Himmel und Erde bestanden weiter, und im Lauf der Jahrhunderte wurde um
die Vorstellung der ruhenden Erde ein ungeheurer Bau geistlicher und weltlicher
Gelehrsamkeit errichtet. Im zwölften Jahrhundert veröffentlichte Petrus Lombardus,
ein berühmter Theologe an der Universität von Paris, seine Sammlung von Sentenzen,
die für einige hundert Jahre als Handbuch der Theologie dienten. Darin schrieb
er über die Beziehung des Menschen zum Weltall: „Ebenso wie der Mensch für Gott
geschaffen ist, damit er nämlich ihm dienen kann, ist der Mensch in den
Mittelpunkt des Universums gesetzt, damit er sowohl dienen wie auch bedient
werden kann." - Bernard Lovell, Das unendliche Weltall. Geschichte
der Kosmologie von der Antike bis zur Gegenwart. München 1988
Mittelpunkt (38)
Die Welt ist struppig I Das Wirtshaus ist die Mitte der Welt. (Wirtshaus gehört grammatikalisch zu den Sammelnamen; es sind das Wörter, deren Singular mehrere Wesen oder Dinge umfaßt, sie in sich sammelt. Eine Vielheit wird sprachlich durch eine Einheit ausgedrückt. Die Mitte der Welt ist analog zu den Sammelnamen ein Sammelbegriff.) Das Wirtshaus ist die Mitte der Welt. II »Diese Welt die ist je wirklich sehr groß die III Ich fahre jetzt jeden Tag mit der S-Bahn von Berlin-Friedenau zum Wansee. Dabei sehe ich ein schönes Stück Welt. Häuser, manchmal weitet sich das Bahngelände, Kohlenlager, Bäume, kahle Bäume und Kiefern, ein Stück vom zugefrorenen Schlachtensee, Schnee liegt, und es schneit. So vermittelt sich mir jeden Tag ein Bild von der Welt.Wiener Prater. IV Soeben arbeitete ich an der Übersetzung eines Gedichts von Elio Pagliarani: »Lang schon regen die Abenteuer des Geists mich nicht mehr auf, lang schon macht mich was brennt nur noch kaputt, kann ich keinen Vers mehr schreiben auf meiner Haut, meine Niederlagen mir nicht mehr verschleiern, Bedeutsamkeit mir nicht mehr einbilden ..,« v das Wirtshaus ist die Mitte der Welt. Mag auch die Erde rund sein, Die Welt ist es keinesfalls. Nichts geht auf. Nein, die Welt ist nicht rund: die Welt ist eher struppig, verquer . . . VI Solange das Wirtshaus die Mitte der Welt ist, ist man im Wirtshaus Vergleichsweise sicher. Solange man noch sicher ist, denkt man im Wirtshaus: man soll sich kein Vergnügen entgehen lassen, solange man sichs inmitten der Welt noch leisten kann. |
- Gerald Bisinger,
nach
(weltb)
- Ernst Jünger, Aus der Goldenen Muschel. Gänge am Mittelmeer. Stuttgart 1984 (entst. 1929 ff.)