nnehmen
Es gibt keinen Grund zu leben, es gibt aber auch keinen Grund zu sterben. Die
einzige uns verbliebene Art, unsere Verachtung des Lebens zu bezeugen, ist,
es anzunehmen. Das Leben lohnt nicht die Mühe, es aufzugeben. Man kann es aus
Mitleid einigen ersparen, aber sich selbst? Verzweiflung, Gleichgültigkeit, Treue,
Einsamkeit, Familie, Freiheit, Schwere, Geld, Armut, Liebe, keine Liebe, Syphilis,
Gesundheit, Schlaf, Schlaflosigkeit, Verlangen, Impotenz, Plattheit, Kunst,
Anständigkeit, Ehrlosigkeit, Mittelmäßigkeit, Intelligenz — das hat alles nichts
zu sagen. Wir wissen zu genau, wie die Dinge eingerichtet sind, um darauf achtzugeben;
gerade recht um einige unwichtige Selbstmord-Unglücke zu verbreiten. (Natürlich
gibt es körperliche Leiden. Mir geht es gut; schade um die, die Leberschmerzen
haben. Ich habe wirklich nichts für Opfer übrig, aber ich mache den Leuten keinen
Vorwurf, wenn sie glauben, einen Krebs nicht ertragen zu können.) Und dann,
nicht wahr: was uns befreit, was uns jede Chance von Leiden nimmt, das ist der
Revolver, mit dem wir uns heute abend töten, wenn wir
dazu Lust haben. Ärger und Verzweiflung sind ja immer nur neue Gründe, am Leben
festzuhalten. Der Selbstmord ist sehr bequem,
denke ich dauernd; zu bequem: ich habe mich nicht umgebracht. Immer bleibt ein
Bedauern: man möchte nicht weggehen, ohne sich kompromittiert zu haben; man
möchte beim Abtreten Notre-Dame, die Liebe oder die Republik mit sich ziehen.
- Jacques Rigaut, nach: Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte
und Dokumente, Hg. Günter Metken. Stuttgart 1976
Annehmen (2) »Sie bezweifeln also«, fuhr Pater Jacopo fort, von seinem Thema hingerissen, »daß wir alle eins sind! Und müssen, doch wissen, daß einer für uns alle gestorben ist!«
»Für mich nicht«, sagte Lady
Flora schneidend. »Ich bitte, mich auszunehmen. Nie im Leben habe ich ein menschliches
Wesen - viel weniger einen Gott - gebeten, für mich zu sterben, und ich muß
darauf bestehen, daß mein eigenes, persönliches Konto in diese Rechnung nicht
einbezogen wird. Mein Leben lang«, fuhr sie fort, »habe ich mir einen Haufen
Plunder aufhängen lassen - vor allem hier in Italien - und habe mit gutem englischem
Geld dafür bezahlt. Was ich aber weder bestellt noch bezahlt
habe, nehme ich auch nicht ab!« -
Tania Blixen, Widerhall. Letzte Erzählungen. München 1968
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